# taz.de -- SPD-Plan für Industriepolitik: „Europa fällt zurück“
       
       > Die EU muss im globalen Wettbewerb mit China und den USA aufholen,
       > fordert SPD-Chef Lars Klingbeil. Er wirbt für eine europäische
       > Industriepolitik.
       
 (IMG) Bild: Selfie für Europa: SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil und Europawahl-Spitzenkandidatin Katarina Barley
       
       BERLIN taz | SPD-Parteichef Lars Klingbeil macht sich Sorgen. Ausnahmsweise
       mal nicht um den Zustand seiner Partei, die bei den [1][Landtagwahlen in
       Bayern] und Hessen noch schlechter abgeschnitten hat, als insgeheim
       befürchtet. Nein, zwei Tage nach den Landtagswahlen geht es ihm um die
       Europäische Union.
       
       Die war 2008 im globalen Wettbewerb noch der wirtschaftsstärkste Raum. Doch
       in den vergangenen 15 Jahren habe sich das Bruttoinlandsprodukt der USA und
       Chinas verdoppelt beziehungsweise verdreifacht, rechnet Klingbeil vor, aber
       in der EU liege es immer noch auf auf dem gleichen Niveau „Europa fällt
       zurück“, konstatierte Klingbeil.
       
       In einer europapolitischen Grundsatzrede acht Monate vor der Europawahl
       forderte der Sozialdemokrat mehr gemeinsame europäische Power. Heißt: mehr
       gemeinsame Investitionen und Kredite in erneuerbare Energien und
       Wasserstoff, aber auch in öffentliche Güter wie Sicherheit und eine
       gemeinsame Energieversorgung. „Es geht darum, dass wir die Kraft von 27
       Staaten und 450 Millionen Bürgerinen und Bürgern viel stärker bündeln“,
       meint Klingbeil.
       
       Klingbeil wirbt für eine europäische Antwort auf den [2][Inflation
       Reduction Act]. Die USA schafften mit Milliarden gerade Anreize für
       Investitionen in klimaneutrale Geschäfsmodelle und lockte damit private
       Investitionen aus aller Welt an. In Südkorea investiere Samsung gemeinsam
       mit dem Staat rund 230 Milliarden Dollar, um das Land zum größten
       Chiphersteller der Welt zu machen. Klingbeil fordert auch für die EU ein
       „neues Zusammenspiel zwischen Markt und Staat“. „Es braucht staatliche
       Strukturen, die die Kräfte des Marktes in Richtung Dekarbonisierung und
       Digitalisierung lenken“, so der SPD-Parteivorsitzende.
       
       Unterstützung bekam er von der ehemaligen schwedischen Ministerpräsidentin
       Magdalena Andersson. „Wir brauchen Investitionen in großem Umfang“, sagte
       die Sozialdemokratin. Sie sieht einen „Backlash“ bei der grünen
       Transformation, der in ihrem Land bereits stattfinde und sich auch in
       Deutschland abzeichne. Um dem partiellen Kulturkampf der Rechten auf diesem
       Feld zu begegnen, sei es wichtig, eine glaubwürdige Politik zu machen, die
       bei allen Menschen ankomme.
       
       ## Ukraine Zutritt zum Binnenmarkt gewähren
       
       Doch bekanntlich ist die EU keine Konföderation, sondern ein Verbund von
       Nationalstaaten, die jeweils eigene Interessen verfolgen und über ihre
       jeweiligen nationalen Budgets wachen. Woher also das Geld nehmen? Klingbeil
       fordert Instrumente wie den europäischen Wiederaufbaufonds auf Dauer zu
       stellen. Der Fonds mit 800 Milliarden Euro wurde als europäisches
       Konjunkturpaket eingerichtet, um vor allem die Folgen der Corona-Pandemie
       abzufedern, aber auch um Europa grüner, digitaler und stärker zu machen.
       
       Dabei will Klingbeil Beitrittskandidaten wie die Ukraine, Moldau und die
       Westbalkanstaaten schneller reinholen. „Ich könnte mir vorstellen, dass man
       den Beitrittskandidaten den vollen Zugang zum EU-Binnenmarkt in Aussicht
       stellt, noch bevor sie volle EU-Mitglieder werden.“ Aus seiner Sicht könnte
       der Erweiterungsprozess damit flexibler werden und Zwischenschritte
       ermöglichen. Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten hatte auch der
       französische Präsident Emmanuel Macron einst gefordert, war damit bei
       Kanzler Olaf Scholz allerdings nicht auf Begeisterung gestoßen.
       
       Vor gut einem Jahr hatte Klingbeil auf der sogenannten Tiergartenkonferenz
       der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (die direkt neben dem Berliner
       Tiergarten liegt) noch über die neue [3][Führungsrolle Deutschlands in
       Europas referiert] und dabei glatt vergessen, Frankreich zu erwähnen. Ein
       Jahr später betonte er, es komme auf das deutsch-französische Tandem an,
       wenn es darum gehe Führung zu übernehmen – etwa in der gemeinsamen
       europäische Sicherheitspolitik. Ein Signal auch nach Hamburg, wo zeitgleich
       die deutsch-französischen Regierungskonsultationen stattfinden.
       
       [4][Die Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl, Katarina Barley,]
       widersprach Klingbeil in einem Punkt: Mit Zahlen werde man die Menschen
       nicht für Europa begeistern. „Man verliebt sich nicht in einen
       Binnenmarkt“, zitierte sie den französischen Sozialdemokraten und
       ehemaligen Kommissionspräsidenten Jaques Delors, der diesen Binnenmarkt
       einst vorangetrieben hatte.
       
       „Wir müssen Europa emotionalisieren“, so Barley. Sie warnte vor dem
       Rechtsruck in Europa, der im Grunde in Kommission und Rat bereits Fakt sei.
       Als Korrektiv gebe es nur noch das Parlament. Es klang ein wenig, als sei
       die SPD bereits wieder im Wahlkampf.
       
       10 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Landtagswahl-Bayern/!t5481761
 (DIR) [2] https://en.wikipedia.org/wiki/Inflation_Reduction_Act
 (DIR) [3] /Kongress-der-Friedrich-Ebert-Stiftung/!5862123
 (DIR) [4] /SPD-Spitzenfrauen-fuer-den-Wahlkampf/!5959704
       
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