# taz.de -- Kuratoren über Kunst im Krieg: „Wir können nicht alles retten“
       
       > Die Kyiv-Biennale 2023 geht ins Exil, auch nach Polen. Wie zeigen
       > Kunsthäuser im lang PiS-regierten Land Solidarität mit der ukrainischen
       > Kulturszene?
       
 (IMG) Bild: Dänische Künstlergruppe Superflex Studio in der exilierten Hauptausstellung der Kyiv-Biennale in Wien
       
       taz: Trotz Krieg in der Ukraine findet jetzt die Kyiv-Biennale 2023 statt
       – vornehmlich im Exil. Die Kunstschau, die 2015 auch als Reaktion auf
       Russlands Annexion der Krim vom Visual Culture Research Center aus Kyiv ins
       Leben gerufen wurde, erstreckt sich nun auf sieben Städte in Europa, drei
       davon in der Ukraine. In Wien eröffnete kürzlich die Hauptausstellung.
       Warum ist auch Ihr Museum für Moderne Kunst in Warschau Teil dieses
       künstlerischen wie auch institutionellen Solidaritätsnetzwerks, Magdalena
       Lipska? 
       
       Magdalena Lipska: Unser Museum arbeitet schon länger mit
       Kulturinstitutionen aus der Ukraine zusammen. 2018 luden wir auch das
       Visual Culture Research Center mit Kurator Vasyl Cherepanyn ein, eine
       Ausgabe unseres Festivals „Warsaw under Construction“ zu gestalten. Es ging
       damals um die Beziehungen zwischen beiden Ländern, die durch die starke
       Einwanderung ukrainischer Arbeitskräfte nach Polen geprägt waren.
       Ukrainer:innen sind heute die größte Minderheit in Polen. [1][Nach dem
       24. Februar 2022] richteten wir im Museum ein Hilfszentrum für Geflüchtete
       ein. Als die Idee aufkam, die Kyiv-Biennale im Exil stattfinden zu lassen,
       war es für uns selbstverständlich, teilzunehmen.
       
       Waldemar Tatarczuk, warum ist die Galeria Labirynt in Lublin mit einer
       Ausstellung dabei? 
       
       Waldemar Tatarczuk: Als Kurator und Künstler beschäftige ich mich viel mit
       Performancekunst und fahre deswegen häufig in die Ukraine. Die Szene dort
       ist groß. Man denke an die Gruppe R.E.P. mit ihren Interventionen im
       öffentlichen Raum oder an Pavlo Kovach. Kovach ist jetzt an der Front. Es
       gibt derzeit überall in Europa Ausstellungen mit Kunst aus der Ukraine.
       Doch die ukrainischen Künstler:innen an der Front geraten dabei in
       Vergessenheit. Es ist wichtig, dass auch sie, die Putin gezwungen hat,
       Soldat:innen zu werden, wieder öffentlich gezeigt werden.
       
       Wie arbeiten Sie für Ihre Ausstellung mit Künstler:innen zusammen, die
       gerade im Krieg an der Front sind? 
       
       Waldemar Tatarczuk: Es ist schwer. Ich kommuniziere auf fünf
       Messenger-Kanälen gleichzeitig, die Leute schicken mir ihre Sachen
       zwischendurch von der Front, mal per Instagram, mal per Whatsapp. Für
       eine:n Kurator:in ist es wichtig, eng mit den Künstler:innen
       zusammenzuarbeiten. Es verlangt professionell viel ab, wenn sie schwer zu
       erreichen sind. Und menschlich ist es unerträglich, über viele Tage nichts
       von ihnen zu hören, sie gar tot zu glauben. Der Krieg ist immer präsent,
       auch wenn er in den Kunstwerken vielleicht nicht Thema ist. Als ich
       kürzlich Yurko Vovkohon fragte, ob seine Soundarbeit, die bei uns in der
       Ausstellung zur Kyiv-Biennale gezeigt wird, abgeschlossen ist – es handelt
       sich um Sprachnachrichten, die er sich mit seinem Freund Evhen Hulevich
       hin- und hergeschickt hat –, antwortete er, dass Evhen an der Front
       gefallen sei, die Arbeit müsse daher abgeschlossen sein.
       
       Die Galeria Labirynt beherbergt derzeit eine Bibliothek für queere
       Literatur des Künstlers Filip Kijowski, die zum Treffpunkt der Lubliner
       LGBTIQ-Community geworden ist, auch für viele Ukrainer:innen. Sie
       organisierten unter anderem eine Ausstellung von Protestplakaten gegen die
       rechte PiS-Regierung. Für solch Kunstprojekte wurden Sie viel von rechten
       Politikern attackiert. Die PiS hat in der Vergangenheit gerne
       Direktor:innenposten öffentlicher Kunsthäuser mit Personal besetzt,
       das ihr ideologisch zugewandt ist. Wie konnten Sie Ihren Posten behalten? 
       
       Waldemar Tatarczuk: Die Galeria Labirynt wird von der Stadt Lublin
       finanziert, auch jetzt die Ausstellung zur Kyiv-Biennale. Das hat uns
       bislang vor den ideologischen Einschnitten der PiS-Regierung geschützt. Der
       noch amtierende Bildungsminister Przemysław Czarnek wetterte zwar in den
       Medien gegen uns, meinte etwa, eine unserer Ausstellungen über schwule Lust
       sei derart obszön, dass man Kinder davor schützen müsse, aber der Lubliner
       Bürgermeister Krzysztof Żuk von der liberalen Bürgerplattform unterstützt
       uns. Früher erhielten wir noch ein zusätzliches Budget vom
       Kulturministerium, mit der PiS-Regierung ging das nicht mehr. Mal schauen,
       wie sich das mit der neuen Regierung entwickelt.
       
       Hätte der noch amtierende Kulturminister Piotr Gliński von der PiS Ihren
       Beitrag zur Kyiv-Biennale finanziert, Magdalena Lipska?
       
       Magdalena Lipska: Gut möglich. Zumal unsere Konferenz, die wir gerade für
       die Biennale mit polnischen und ukrainischen Museumsfachleuten organisiert
       haben, die Frage der Sicherheit und des Schutzes von Sammlungen in Zeiten
       bewaffneter Konflikte behandelte. Beide Themen – die nationale Sicherheit
       und die Unterstützung der Ukraine – waren für die PiS-Regierung von
       Priorität, zumindest bis zum Wahlkampf. Aber wir haben eine Förderung beim
       Ministerium gar nicht mehr geprüft. Die Gelder für die Kyiv-Biennale kommen
       letztlich von der EU.
       
       Erhält die Kyiv-Biennale auch eine EU-Förderung, weil der Ukraine eine
       EU-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt wird? 
       
       Magdalena Lipska: Unser Museum ist seit 2018 Mitglied von L’Internationale
       – der europäischen Konföderation von Museen und Kunstinstitutionen. Nach
       Beginn des russischen Angriffskriegs konnten wir ukrainische Institutionen
       in die Konföderation aufnehmen und luden das Visual Culture Research Center
       ein. Es ist nun Teil der Gruppe „Museum of the Commons“, die zwei Ausgaben
       der Kyiv-Biennale – also für 2023 und 2025 – erarbeitet und mitfinanziert,
       wiederum mit Geldern aus dem Programm „Kreatives Europa“ der EU. Dass nun
       Kulturinstitutionen aus der Ukraine Partner in einem EU-Projekt sein
       können, ist auch eine Reaktion auf die russische Invasion. Ob solch eine
       Förderung in den nächsten Jahren weiter möglich sein wird, hängt wohl davon
       ab, wie der Krieg in der Ukraine ausgeht und ob die Ukraine Teil der EU
       wird.
       
       Ihre Konferenz für die Kyiv-Biennale richteten Sie gemeinsam mit Olha
       Honchar aus, der Direktorin des Gedenkmuseums für totalitäre Regime aus
       Lviv. In einem Interview mit dem Kunstmagazin Frieze sagte Honchar Anfang
       des Jahres, sie habe als Museumsdirektorin alle Regularien für die Rettung
       von Kulturgütern im Katastrophenfall studiert, doch als der Krieg ausbrach,
       waren sie nicht anwendbar. Wie kommt das? 
       
       Magdalena Lipska: Dafür gibt es viele Gründe – der offensichtlichste ist
       der Krieg selbst. Vorschriften werden in Friedenszeiten gemacht, im Krieg
       herrscht aber Chaos. Oft steht die Rettung von Museumssammlungen ganz unten
       auf der langen Prioritätenliste. Zunächst gilt es, Menschen zu retten.
       Viele der bestehenden Regeln wurden zudem nach dem Zweiten Weltkrieg
       aufgestellt, sie entsprechen nicht mehr der heutigen Realität im Krieg.
       Museumsleiter:innen müssen dann plötzlich allein Entscheidungen
       treffen.
       
       Sollten Museumssammlungen aus der Ukraine in andere Länder evakuiert
       werden? 
       
       Magdalena Lipska: Nach Kriegsausbruch haben viele polnische Institutionen
       angeboten, Sammlungen aus der Ukraine aufzunehmen. Eine Ausfuhr von
       Kulturgut scheint naheliegend, wird aber kaum umgesetzt. Sie ist logistisch
       sehr riskant und schwierig – etwa würde keine Versicherung eine Police für
       den Kunsttransport durch ein Land ausstellen, das sich im Krieg befindet.
       Und eine Ausfuhr sendet die falsche Botschaft an die Bevölkerung, der Staat
       würde sich gerade selbst evakuieren. Eine Strategie der ukrainischen
       Institutionen ist nun, Objekte ins Ausland zu verleihen. Ein Beispiel dafür
       war kürzlich [2][die Ausstellung „Kaleidoskop der Geschichte(n).
       Ukrainische Kunst 1912–2013“] im Dresdener Albertinum mit öffentlichen und
       privaten Leihgaben.
       
       Es ist unmöglich, den ganzen Sammlungsbestand eines Museums mit Tausenden,
       manchmal vielen Hunderttausenden Objekten in einem Katastrophenfall zu
       retten, wie trifft man eine Auswahl? 
       
       Magdalena Lipska: Jedes Museum sollte eine Liste der Gegenstände anlegen,
       die zuerst gerettet werden müssen. In der Regel sind darauf die
       wertvollsten Objekte, aber nicht immer. Eine Evakuierung muss schnell
       erfolgen, alltägliche Faktoren wie die Breite der Tür und die Höhe des
       Treppenhauses sind häufig ausschlaggebend dafür, was auf den Listen steht.
       Große und schwere Objekte sind oft nicht darauf, zumal in Kriegszeiten die
       Männer an der Front sind und meist Frauen den Transport übernehmen, wie wir
       es in der Ukraine sahen.
       
       Die Auswahl hängt vom Wissen der Entscheidungssträger:innen ab, aber
       werden Kulturgüter auch nach ideologischen Kriterien gerettet? 
       
       Magdalena Lipska: Ja, natürlich. Milena Chorna, Expertin für kulturelles
       Erbe, beschrieb auf der Konferenz, dass in der Ukraine zunächst Objekte von
       historischer Bedeutung evakuiert wurden, die man als wichtig für eine
       nationale Identität erachtet. Sie führte das Beispiel von Armeeuniformen
       der Ukrainischen Volksrepublik (UNR) auf, des ersten ukrainischen
       Nationalstaats von 1917 bis 1921.
       
       Waldemar Tatarczuk, bei den Ausstellungen der Kyiv-Biennale überrascht,
       dass unter den über 100 Teilnehmenden wenige sehr bekannte
       Künstler:innen auftauchen – Hito Steyerl, Wolfgang Tillmans. Muss die
       Biennale mit großen Namen um ein Publikum werben? 
       
       Waldemar Tatarczuk: Bei der [3][Venedig-Biennale 2022], kurz nach Beginn
       des Angriffskriegs, wollte die Kunststiftung des Oligarchen Wiktor
       Pintschuk, der in der Ukraine ein einflussreicher Mäzen ist, mit einer
       Ausstellung auf den Krieg aufmerksam machen und zeigte hierfür ukrainische
       Künstler:innen wie Nikita Kadan oder Lesia Khomenko zusammen mit
       Megastars wie Damien Hirst oder Marina Abramović. Die Exponate hatten
       überhaupt nichts miteinander zu tun, hier dienten die Stars der Werbung.
       Doch wenn jetzt Hito Steyerl oder Henrike Naumann dabei sind, dann ist das
       von ihnen vor allem ein Zeichen der Solidarität.
       
       27 Oct 2023
       
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