# taz.de -- NSU-Komplex-Aufarbeitung in Hamburg: Die Zeit verrinnt
       
       > Hamburg hat als einziges Land mit NSU-Mord keinen Untersuchungsausschuss
       > eingesetzt. Auch die wissenschaftliche Aufarbeitung beginnt noch nicht.
       
 (IMG) Bild: Gedenkstätte in Hamburg für den dort vom NSU ermordeten Kaufmann Süleyman Tasköprü und andere Opfer
       
       HAMBURG taz | Der Antrag führte zu heftigen Auseinandersetzungen. Am 13.
       April dieses Jahres setzten in der Hamburger Bürgerschaft SPD und Grüne
       einen Beschluss für [1][eine wissenschaftliche und interdisziplinäre
       Aufarbeitung des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU)] durch. Laut
       Antrag soll die Aufarbeitung des rechtsterroristischen Netzwerks mit einer
       „parlamentarischen Begleitung durch einen interfraktionellen Beirat der
       Bürgerschaft“ umgesetzt werden. Weitere Konkretisierungen erfolgten jedoch
       erst knapp sechs Monate später, beklagt das „Hamburger Bündnis gegen
       Rechts“ (HBgR). „Viel Zeit verrinnt, wieder wird die Aufarbeitung
       verschleppt“, sagt Felix Krebs von HBgR.
       
       Der rot-grüne Senat hat zwar bereits für die wissenschaftliche Aufarbeitung
       250.000 Euro bereitgestellt, doch weitere Voraussetzungen werden gerade
       erst geschaffen. Sina Koriath, Sprecherin für Strategien gegen rechts der
       grünen Fraktion, erklärt gegenüber der taz, dass „der parlamentarische
       Beirat sich vor Kurzem konstituiert“ habe und man „sich in einer ersten
       Sitzung über die Eckdaten der Ausschreibung zum Forschungsantrag
       ausgetauscht“ habe.
       
       Der rot-grüne Antrag solle eine „gründliche und langfristige
       interdisziplinäre Aufarbeitung“ ermöglichen, wozu „entsprechende
       finanzielle und personelle Ressourcen“ geschaffen werden sollen. Doch da
       „bei der Geldsumme der EU-Schwellenwert von 215.000 Euro überschritten“
       werde, sei eine europaweite Ausschreibung erforderlich. Das könne bis zu
       zwei Jahre Zeit kosten, bevor die Aufarbeitung beginnen könnte, so Krebs.
       
       Seit der Selbstenttarnung des NSU-Kerntrios Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und
       Beate Zschäpe 2011 wehrt vor allem die SPD einen Parlamentarischen
       Untersuchungsausschuss (PUA) ab. Bei den Grünen hatte sich 2021 die
       Landesmitgliederversammlung noch explizit für einen PUA ausgesprochen. Doch
       nach zähem Ringen zwischen der Regierungsfraktion legten sie den
       gemeinsamen Antrag vor. Die Fraktion der Linken hatte bereits einen Antrag
       für einen PUA eingebracht.
       
       ## Streit um Nutzen von PUAs
       
       Die Debatte in der Bürgerschaft war schon zuvor hitzig. Sören Schumacher,
       innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, betonte: „Bei all diesen
       Untersuchungsausschüssen ist nichts herausgekommen.“ Dem widersprachen
       Mitglieder von PUAs aus anderen Bundesländern. Der Linken-Abgeordnete Deniz
       Celik hob hervor, dass das Ergebnis eines PUA erst an dessen Ende
       feststünde. Der Hamburger Abgeordnete hatte rund 100 offene Fragen zum
       Hamburger Fall aufgelistet. „Wir wissen aus anderen
       Untersuchungsausschüssen, dass es zumindest Beziehungen gab zwischen dem
       Umfeld des NSU-Trios und führenden Hamburger Neonazis“, so Celik im April
       2023.
       
       Die Grünen schwankten zwischen Regierungskoalition und
       Landesmitgliederbeschluss. Vor allem Miriam Block signalisierte öffentlich
       ihre Kritik an dem Kompromiss. Die wissenschaftliche Studie sei „ein
       wichtiger Beitrag zur Aufklärung rechter Netzwerke“, sagte die grüne
       Abgeordnete. Sie sei jedoch „kein Ersatz für einen PUA“. Bei der Abstimmung
       stimmte sie als einzige Grüne für den Antrag der Linken. [2][Konsequenz:
       Die Fraktion enthob sie ihrer Pflichten als wissenschaftspolitische
       Sprecherin] der Fraktion und auch aus den Ausschüssen für Wissenschaft und
       Inneres wurde sie abberufen.
       
       Mit dem Antrag scheint Hamburg das einzige Bundesland zu bleiben, im dem
       der NSU mordete und kein PUA erfolgte. Am 27. April 2001 haben Mundlos und
       Böhnhardt in der Schützenstraße Süleyman Taşköprü in seinem
       Lebensmittelladen erschossen. Er war das dritte Opfer des NSU, der von 2000
       bis 2006 zehn Menschen ermordete.
       
       Bei einer Podiumsdiskussion heute möchte der HBgR unter anderem mit
       [3][Christian Hammermann] über mögliche Formen der Aufarbeitung
       diskutieren, Hammermann hat zum NSU-Komplex und -Untersuchungsausschüssen
       promoviert. Zu Gast ist zudem Christoph Kopke, Professor für
       Politikwissenschaft und Zeitgeschichte an der Hochschule für Wirtschaft und
       Recht Berlin.
       
       2 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /NSU-Komplex-in-Hamburg/!5924645
 (DIR) [2] /Hamburger-Gruene-stimmt-fuer-NSU-Aufklaerung/!5929804
 (DIR) [3] https://www.verbrecherverlag.de/shop/aufklaeren-und-einmischen-der-nsu-komplex-und-der-muenchener-prozess/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Speit
       
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