# taz.de -- EU und der Westbalkan: Länder im Dauerwartezustand
       
       > Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union führen viele Länder des
       > Westbalkans schon seit Jahren. Voran geht dabei nur wenig.
       
 (IMG) Bild: Serbien muss warten, obwohl die Präsidentin der Europäischen Kommission Belgrad gerade besucht hat
       
       SARAJEVO taz | Die EU tut sich schwer mit der Integration der
       Westbalkanstaaten. Da fehlte es bisher an Interesse, an Kenntnissen,
       Empathie und auch am Willen, die „da unten“ als gleichberechtigte Europäer
       anzuerkennen. Die kalte Schulter zu zeigen ist einfacher, als sich mit
       komplexen Verhältnissen auseinanderzusetzen. Immerhin, man ist jetzt im
       Zuge der Ukraine-Debatte dabei, die Positionen zu sortieren und für manche
       Länder eine neue Justierung vorzunehmen.
       
       [1][Denn seit Russland und auch China die von der EU lange vernachlässigte
       Region umgarnen], werden plötzlich auch für Brüssel strategische Interessen
       deutlich. Bis vor wenigen Jahren war die serbische Bevölkerung noch
       proeuropäisch eingestellt, das hat sich jetzt verändert. Russland versucht
       sich mit dem „Bruderland“ Serbien zu verbinden, setzt nicht nur auf die
       militärische Zusammenarbeit, sondern will das orthodoxe Serbien auch
       ideologisch, politisch und religiös aus dem Verbund mit den „Demokratien“
       lösen und damit die EU schwächen.
       
       Die EU setzt jetzt offenbar wieder auf die lange Jahre vernachlässigte
       Integrationsstrategie. Von den sechs Westbalkanstaaten ist zwar nun nur
       noch die Republik Kosovo kein offizieller Beitrittskandidat. Doch mit
       Montenegro, Serbien, Nordmazedonien und Albanien laufen bereits
       Beitrittsverhandlungen. Nun sollen auch Moldau und eingeschränkt Bosnien
       und Herzegowina auf einen Start von EU-Beitrittsverhandlungen hoffen können
       – und Georgien auf den Beitrittskandidatenstatus.
       
       Aber was wird das bringen? Vor allem für Bosnien und Kosovo ist diese
       Diskussion niederschmetternd. Immerhin wurde Bosnien und Herzegowina schon
       seit dem Treffen des Europäischen Rats in Santa Maria da Feira im Juni 2000
       als „potenzieller Beitrittskandidat“ betrachtet. In Thessaloniki 2003
       versprach die EU, die Region in eine gute Zukunft zu führen, wenn die
       einzelnen Länder sich um eine Demokratisierung, um die Bekämpfung der
       Korruption und die Demokratisierung der Institutionen bemühen würden.
       
       ## Viel Mühe, wenig Lohn
       
       Länder, die sich daran gehalten haben, wurden aber nicht belohnt. So ist
       Nordmazedonien, das schon 2006 alle Bedingungen für die Aufnahme erfüllt
       hatte und sogar bereit war, [2][seinen Staatsnamen zu ändern], nur um
       Griechenland entgegenzukommen, bisher nicht weitergekommen, weil Bulgarien
       das Land mit Forderungen wegen der Rechte der kleinen bulgarischen
       Minderheit am EU-Beitritt behindert.
       
       [3][Das seit 2008 von Serbien unabhängige Kosovo wird ständig von Serbien
       bedrängt], Belgrad akzeptiert die Unabhängigkeit wie fünf andere EU-Staaten
       – Griechenland, Zypern, Slowakei, Spanien und Rumänien – nicht. Dabei hat
       das Kosovo wie kein anderes Land die Korruption bekämpft, die Demokratie
       lebendig gemacht und unter der Regierung Albin Kurti die Weichen auf
       nachhaltiges Wachstum und die Verbesserung der Infrastruktur gestellt.
       
       Am 15. Februar 2016 hat der bosnische Staat seinen Beitrittsantrag bei der
       EU abgegeben und ist seit dem 15. Dezember 2022 zwar offizieller
       Beitrittskandidat. Doch die Leute in Sarajevo sind skeptisch. Warum zeigt
       die EU keine Krallen gegenüber dem radikalen Nationalismus von kroatischen
       und serbischen Machthabern, die Bosnien ständig destabilisieren? Und werden
       nicht nur in Bosnien die EU-Gelder in die Taschen der gierigen
       nationalistischen Machthaber wandern?
       
       Da man es auf dem Balkan teilweise mit Bevölkerungen zu tun hat, die vor
       Jahrhunderten schon den Islam als Religion annahmen, ist es leicht, in
       einer Zeit der Kriege im Nahen Osten und der Abwehr von Flüchtlingen
       Schreckgespenster an die Wand zu malen. So kürzlich in der Bild-Zeitung, wo
       man schon die Dschihadisten aus den Tiefen des Balkan Westeuropa überrennen
       sieht. Die ehemalige kroatische Präsidentin Grabar-Kitarović erklärte 2018
       sogar, 60.000 Islamisten stünden an den Grenzen Kroatiens – was totaler
       Quatsch, aber effektiv für folgende Wahlen war. Und dazu gedient hat,
       Bosnien weiter zu blockieren.
       
       Dass es sich dabei um eine Zivilisation handelt, die schon 1463 die
       Religionsfreiheit durchgesetzt hat, als bei uns noch Frauen als Hexen
       verbrannt wurden, will man in Westeuropa nicht zur Kenntnis nehmen. Auch
       nicht, dass es all die Jahrhunderte in Bosnien, Kosovo und Albanien weder
       zu Pogromen gegenüber Juden noch zu Verfolgungen Andersgläubiger gekommen
       ist. Albaner haben im Zweiten Weltkrieg viele Juden vor den Deutschen
       gerettet. Warum sollen also diese Länder nicht in die EU?
       
       9 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Erich Rathfelder
       
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