# taz.de -- EU und Ukraine verhandeln über Beitritt: Die Tür öffnet sich weiter
       
       > Die EU-Kommission empfiehlt Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine.
       > Derartige Gespräche mit einem Land im Krieg wären eine Premiere.
       
 (IMG) Bild: Vorfreude: Ursula von der Leyen und Wolodimir Selenski zusammen in Kyjiw am 4.11.2023
       
       BRÜSSEL taz | Es ist eine Premiere: Erstmals hat die EU-Kommission die
       Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit einem Land im Krieg empfohlen. Die
       Ukraine habe mehr als 95 Prozent der Bedingungen erfüllt, sagte
       Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch in Brüssel.
       
       Auch [1][Moldau] bekam grünes Licht. Bosnien-Herzegowina muss nachsitzen,
       könnte bald aber ebenfalls in Verhandlungen mit der EU eintreten. Georgien
       soll nach dem Willen der Kommission den ersehnten Kandidatenstatus erhalten
       – eine Vorstufe zu Beitrittsgesprächen.
       
       Zuvor müssen aber noch alle 27 EU-Staaten zustimmen; dies soll beim
       nächsten Gipfeltreffen im Dezember geschehen. Die eigentlichen
       Verhandlungen könnten dann im März 2024 beginnen. Sie dauern meist mehrere
       Jahre und können auch im Nirgendwo enden – [2][wie im Fall der Türkei, die
       schon seit 1999 den Kandidatenstatus hat, ohne voranzukommen.]
       
       Von der Leyen sprach von einem „historischen Tag“. Zehn Jahre nach dem
       Euro-Maidan in Kyjiw, der Ende 2013 begann, komme die Ukraine auf ihrem
       europäischen Weg einen entscheidenden Schritt voran. Ein Datum für den
       Beitritt nannte sie nicht. Das hänge von Reformen ab.
       
       ## Die EU geht weiter von einem Sieg der Ukraine im Krieg aus
       
       Auf Nachfrage der taz, ob der Krieg ein Hindernis auf dem Weg in die EU
       darstelle, ging von der Leyen nicht ein. „Ich bin der festen Überzeugung,
       dass es (das grüne Licht für Verhandlungen, die Red.) auch eine Stärkung
       ist in ihrem beeindruckenden Kampf gegen den Angriffskrieg Russlands“,
       sagte die CDU-Politikerin. „Wir stehen voll an der Seite der Ukraine, und
       deshalb ist das auch ein klares Signal der Unterstützung“.
       
       Zuletzt waren Zweifel am Erfolg im Krieg gegen die russischen Besatzer
       aufgekommen. Generalstabschef Waleri Saluschni hatte vor einem
       militärischen Patt gewarnt. Die EU geht jedoch von einem Sieg der Ukraine
       und der vollständigen Rückeroberung aller besetzten Gebiete aus.
       
       Zugleich stellt sie dem Land ein überraschend positives Zeugnis aus.
       [3][Obwohl sich Präsident Wolodimir Selenski gegen die eigentlich fälligen
       Wahlen 2024 ausgesprochen hat], sei es um Demokratie und Rechtsstaat in
       Kyjiw gut bestellt. Und obwohl die Wirtschaft im vergangenen Jahr
       kriegsbedingt um 29,1 Prozent geschrumpft ist, sei die „Resilienz“, also
       Widerstandsfähigkeit, besser als erwartet.
       
       Um der EU beizutreten, müssen Kandidatenländer normalerweise in Frieden
       leben, eine funktionierende Marktwirtschaft vorweisen und stabile
       Institutionen haben. Dass Brüssel trotz Krieg und Krise grünes Licht gibt,
       ist ein Bruch mit dieser Linie.
       
       ## Juncker: Ukraine nicht beitrittsfähig
       
       Das Land sei nicht beitrittsfähig, hatte der frühere EU-Kommissionschef
       Jean-Claude Juncker noch im Oktober gewarnt. Das Land sei „auf allen Ebenen
       der Gesellschaft korrupt“ und brauche ein anderes Modell der Integration.
       Doch auch darauf ging von der Leyen nicht ein. Kyjiw habe große
       Fortschritte im Kampf gegen die Korruption gemacht, sagte sie. Einige
       nötige Reformen seien „noch in der Pipeline“. Diese könnten aber bis März
       umgesetzt werden.
       
       Nicht ganz so schnell dürfte es in Moldau und in Georgien gehen. Georgien
       verfüge zwar über eine aktive, proeuropäische Zivilgesellschaft, so die
       deutsche EU-Chefin. Die Politik müsse aber noch „einige Hausarbeiten“
       machen. Deshalb sei dem Land zunächst nur der Kandidatenstatus verliehen
       worden. Dennoch sei dies „ein Tag zum Feiern“
       
       In Moldau knallen offenbar schon die Sektkorken. Staatschefin Maia Sandu
       schrieb auf X, ehemals Twitter: „Vielen Dank, dass Sie uns zur Seite stehen
       und Moldau und die Moldauer auf ihrem EU-Weg unterstützen.“ Laut EU-Zeugnis
       steht das Land beim Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen
       aber noch ganz am Anfang.
       
       Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat die Empfehlung zur
       Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit seinem Land als „richtigen Schritt“
       begrüßt. „Trotz aller Schwierigkeiten bewegen wir uns vorwärts“, sagte er
       in Kyjiw. „Unser Land sollte Mitglied der EU sein.“
       
       Die Aufnahme der Ukraine und anderer Länder ist eine Priorität der EU, die
       sich zunehmend geopolitisch definiert und Russland Einhalt gebieten will.
       Allerdings sind die Brüsseler Institutionen selbst nicht auf 30 oder mehr
       Mitglieder vorbereitet. Der EU stehen daher noch schmerzhafte Reformen
       inklusive der Aufstockung der Beitragszahlungen ins Haus.
       
       8 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eric Bonse
       
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