# taz.de -- Theaterstück „Männerphantasien“ am DT: Freikorps, Vorstadtgrill, Femcels
       
       > Theresa Thomasberger wagt sich am Deutschen Theater in Berlin an ein
       > Update von Klaus Theweleits Studie über den soldatischen Mann.
       
 (IMG) Bild: Dampfplauderei aus der Pizzaschachtel: Caner Sunar als frauenverachtende Ex-Kickboxer Andrew Tate
       
       „Was man bekämpfen will, muss man zunächst gefühlt haben.“ Mit dieser
       verblüffenden Forderung startet Caner Sunar in die theatralische Exegese
       von Klaus Theweleits bahnbrechender Analyse des soldatischen und
       faschistischen Mannes am Deutschen Theater Berlin (DT).
       
       Es ist eine starke Forderung. Denn sie bedeutet eine Fahrt in unsichere
       Gefilde. [1][Fühlen bedeutet eben auch, nicht sofort Zuflucht zu suchen] im
       soliden Analysegebäude, das Faschismus gern als eine Ideologieform der
       anderen, der vermeintlich Abgehängten, Abnormen und Verführten zu
       beschreiben sucht.
       
       Vielmehr erzeugt diese Bearbeitung von „Männerphantasien“ durch die 15
       Jahre nach Erscheinen des Buches geborene Regisseurin Theresa Thomasberger
       in dieser Eingangssequenz die Illusion, ein ernsthafter Versuch zu werden,
       das Verführungspotenzial dieser durchaus antikapitalistischen und –
       zumindest für die Inkludierten – soziale Wärme versprechenden Ideen- und
       Begehrensproduktion auszuloten.
       
       Faschismus sei Produktion von Realität, heißt es frei nach Theweleit
       weiter. Und das macht neugierig. Denn faschistische Realität wird derzeit
       massiv produziert. In einem Ausmaß sogar, das wohl über die schlimmsten
       Befürchtungen des 1977 – ausgerechnet im „Deutschen Herbst“ –
       herausgekommenen Werks hinausgeht.
       
       ## Urinierende Prolls und viel deutscher Wald
       
       Bühnenbildnerin Mirjam Schaal hat dazu eine deutsche Gebirgs- und
       Waldlandschaft mit Watzmann-Gipfel und viel deutschem Wald als Fotowand in
       die Box des Deutschen Theaters gestellt. Vor diesem Hintergrund arbeiten
       sich Svenja Liesau, Daria von Loewenich, Abak Safaei-Rad und eben Caner
       Sunar als auf Unterschicht getrimmte toxische Männer ab. Das ist
       stellenweise witzig. Es unterschlägt allerdings das intellektuelle
       Potenzial dieser Männer, die Theweleit seinerzeit noch in gehobeneren
       Schichten verortete.
       
       Hier sind es Prolls, die saufen, urinieren und fade Witze reißen. Sie
       sprechen Theweleit’sche Texte, gewiss, mitunter sogar chorisch. Aber es
       verschwimmt, was originäres Zitat soldatischer Männer ist, was Analyse sein
       könnte und was nur billige Selbstironie ist.
       
       Einen stärkeren Zugriff findet Thomasberger auf aktuelle Texteinschübe der
       Autorinnen Svenja Viola Bungarten, Ivana Sokola und Gerhild Steinbuch. So
       verkörpert Sunar den Frauen verachtenden Ex-Kickboxer und Unternehmer
       Andrew Tate, der aus einer dampfenden Pizzaschachtel seine Suadas
       verbreitet und dann zurück in den Orkus gestopft wird. Daria von Loewenich
       porträtiert eine Ex-Feministin, die ihr antikapitalistisches Glück als
       Stay-at-Home-Geliebte findet.
       
       Frau mit Kind am Herd ist schließlich den Zumutungen neoliberaler
       Ausbeutung entzogen, wenn der Mann nur genug Geld nach Hause bringt. Hübsch
       ist der Passus, in dem Burn-out nicht als Versagen des Körpers im
       kapitalistischen System bezeichnet, sondern als klassisches Symptom von
       Ausbeutung charakterisiert wird. In Momenten wie diesen findet die
       Inszenierung tatsächlich zu sich selbst. Die originalen Theweleit-Passagen
       werden hingegen nur recht oberflächlich und seltsam leblos in den
       Zuschauerraum gepostet.
       
       ## Die Show nach der Show
       
       Kleine Höhepunkte sind noch eine Grillmeistereinlage von Liesau am Ende
       sowie die eingestreuten Gesänge des engelsgleichen Countertenors Steve
       Katona. Aber insgesamt hat dieser Abend viel gewollt und wenig eingelöst.
       
       Ein recht prächtiges Exemplar des soldatischen Mannes Theweleit’scher
       Prägung hat das DT dann immerhin im Abenddienst. Groß gewachsen, ein
       bisschen Blondes ist auch im Haar, das Auftreten zwar nicht sehr hart, aber
       die alten Freikorps-Männer, die Theweleit analysiert, hatten ja oft auch
       einen weichen Kern. Und eben diesem Exemplar kann es nicht schnell genug
       gehen, dass das Publikum den Saal verlässt.
       
       Vielleicht sind ihm die Zuschauer zu unrein, vielleicht stören sie auch
       einfach nur die Abläufe, wenn sie über die vom Hause zugemessene Ration
       Theaterkunst noch einen Blick mehr auf die Bühne erhaschen wollen. Und wenn
       sonst ganze Abteilungen sich an Audience Development und
       Reichweitenerhöhung abarbeiten, so ist diesem Soldaten des abendlichen
       Ablaufs jedes Wesen, das nicht sofort das Weite sucht oder am besten noch
       an der Theaterbar seinen Tribut zum Einnahmesoll der Gastronomie leistet,
       ein Dorn im Auge.
       
       Zuschauer sind ihm Hindernisse, die aus dem Raum schleunigst zu eliminieren
       sind. In dieser Wärterfunktion ist er flugs wiederauferstanden, ganz ohne
       Regieanweisung sogar: der im Befehlston zu sich selbst findende deutsche
       Mann. Schade, dass Thomasberger nicht dieses prächtiges Exemplar auf die
       Bühne brachte. So bleibt nur zu konstatieren, dass die Show nach der Show
       zuweilen erhellender ist als die Show selbst.
       
       3 Dec 2023
       
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