# taz.de -- Neues Grundsatzprogramm der CDU: Ende der abstrakten Bekenntnisse
       
       > Die CDU will sich offenbar von der Aussage abwenden, dass der Islam zu
       > Deutschland gehöre. Sie erinnert damit an eine notwendige Debatte.
       
 (IMG) Bild: Sind das unsere Werte? CDU-Chef Friedrich Merz auf dem Gillamoos, einem Volksfest in Abensberg
       
       Horst Seehofer hat die [1][Migration mal als „Mutter aller Probleme“]
       identifiziert. Und vom CDU-Kanzler Helmut Kohl wurde bekannt, dass er 1982
       die [2][Zahl der in Deutschland lebenden Türken halbieren wollte.] Zehn
       Jahre später, kurz vor dem sogenannten Asylkompromiss und den von Nazis in
       Brand gesteckten Häusern türkeistämmiger Familien, sprach er im Kontext
       [3][Migration von „Staatsnotstand“]. Der aktuelle CDU-Chef Friedrich Merz
       dagegen hält sich an einen Berliner Stadtteil: „Das ist hier nicht
       Berlin-Kreuzberg, [4][das ist mitten in Deutschland]“, sagte er 2020 in
       Apolda und drei Jahre später: „Nicht Kreuzberg ist Deutschland,
       [5][Gillamoos ist Deutschland].“
       
       Insofern überrascht die Nachricht vom Montag nicht übermäßig, dass die CDU
       nun den Satz [6][„Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu
       Deutschland“] in ihr Grundsatzprogramm schreiben will – um sich somit von
       der Aussage zu distanzieren, dass [7][der Islam zu Deutschland gehöre,] die
       mit Wulff, Schäuble und Merkel verbunden wird. Auch deswegen nicht, da die
       CDU Oppositionsarbeit unter Merz vor allem als regelmäßigen rechten
       Grenzgang versteht. Also: CDU doing CDU things. Auch wenn historische
       Ausnahmen die Regel bestätigen.
       
       Bezeichnend ist aber, dass man von den Parteien links der CDU, wenn man sie
       überhaupt noch so einordnen kann, wenig bis gar nichts zu der Thematik
       hört. Die andere ehemalige Volkspartei SPD zum Beispiel hat erst an diesem
       Wochenende bei ihrem Parteitag [8][zu „sozialdemokratischem Ton“
       zurückgefunden], wie man liest. Sie hätte bestimmt trotz des vielen
       gegenseitigen Applaudierens etwas Zeit übrig gehabt, um über „unsere Werte“
       zu diskutieren. Und wo verstecken sich die Grünen eigentlich gerade?
       
       Dass man von diesen Parteien nichts zu „unseren Werten“ hört, liegt daran,
       dass sie sich in dieser Frage nicht prinzipiell vom politischen
       Konkurrenten unterscheiden. Denn die Zugehörigkeit „des Islam“ zu
       Deutschland abstrakt zu behaupten, ist kaum weniger mutlos, als diese
       abstrakt in Abrede zu stellen. Mutig wäre es dagegen, sich im Konkreten
       über die Fragen zu streiten, die sich nicht erst seit dem 7. Oktober
       aufdrängen. Die Empörung, die auf solche CDU-Vorstöße oft folgt, bleibt
       nicht ohne Grund ungenau. Sie geht zurück auf die Haltung: Wir haben zwar
       nichts gegen Ausländer, wir wollen aber auch nichts mit ihnen zu tun haben.
       Macht ihr mal euer Ding!
       
       ## Über „unsere Werte“ streiten
       
       Viel zu lange haben sich deutsche Politiker:innen parteiübergreifend
       notwendigen, aber mühsamen Auseinandersetzungen über „unsere Werte“ nicht
       gestellt. Oft genug haben sie die Regressivsten als Sprecher vielfältiger
       und widersprüchlicher migrantischer Communitys anerkannt, obwohl sich viele
       Menschen von diesen nicht repräsentiert sahen. Und sie haben Extremisten
       oft genug staatlich bezuschusst.
       
       Die Razzien beim [9][Islamischen Zentrum Hamburg], das als verlängerter Arm
       Irans gilt, die erst im November stattgefunden haben, zeigen, wie sehr
       tagesaktueller Opportunismus und diplomatischer vorauseilender Gehorsam den
       Umgang mit migrantischen Extremisten bestimmt. Genauso die Tatsache, dass
       der Bundestag die Bundesregierung mittlerweile schon vor über drei Jahren
       damit beauftragt hat, Organisationsverbote gegen Vereine der
       [10][türkisch-rechtsextremen Grauen Wölfe] zu prüfen – bisher ohne
       Ergebnis. Der [11][Moscheeverband Ditib], der der türkischen Regierung
       untersteht, kann eh machen, was er will – trotz aller Differenzen bezüglich
       „unserer Werte“.
       
       Die anderen relevanten Parteien sollten der CDU also dankbar sein, dass sie
       die [12][Frage nach „unseren Werten“] für sie noch rechtzeitig aufwirft,
       wenn auch aus niederen Motiven. Über sie zu diskutieren, auch zu streiten
       wäre für die Konkurrenz links der CDU kein altruistischer Antirassismus. Es
       ist in ihrem ureigenen Interesse, wollen sie die Diskurshoheit nicht
       komplett an jene abgeben, die es auf keinen Fall gut meinen mit dem
       gesellschaftlichen Frieden.
       
       Wie werden „unsere Werte“ eigentlich von muslimisch sozialisierten Menschen
       definiert, die ein Problem mit den Bekannten und Verwandten haben, die in
       den Juden den Ursprung allen Übels sehen? Was sagen muslimisch
       sozialisierte Feministinnen dazu? Queere Personen? Was sagen die Mitglieder
       der Parteien, auf die all das zutrifft?
       
       Das abstrakte Bekenntnis „der Islam gehört zu Deutschland“ ist jedenfalls
       nicht mehr zeitgemäß. Es braucht einen neuen, viel konkreteren Satz.
       Möglicherweise passt das, was es zu erstreiten gilt, auch nicht mehr in
       einen einzigen Satz.
       
       12 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Innenminister-Seehofer-zu-Migration/!5533764
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 (DIR) [4] /Friedrich-Merz-ueber-Berlin-Kreuzberg/!5664214
 (DIR) [5] /Merz-ueber-Gillamoos-und-Kreuzberg/!5955170
 (DIR) [6] https://www.tagesspiegel.de/politik/bericht-uber-korrektur-der-haltung-zum-islam-cdu-spitze-legt-entwurf-fur-neues-grundsatzprogramm-vor-10908112.html
 (DIR) [7] https://www.deutschlandfunk.de/der-islam-gehoert-zu-deutschland-die-geschichte-eines-satzes-100.html
 (DIR) [8] /Parteitag-in-Berlin/!5975911
 (DIR) [9] /Islamisches-Zentrum-Hamburg-durchsucht/!5973440
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Volkan Ağar
       
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