# taz.de -- Die Kunst der Woche: Im Zeichen der Städte und Tiere
       
       > Diese Woche erscheinen Städte in den Bildern einer Sofortbildkamera.
       > Leuchtend gemalte Tiere legen sich schlafen, Farbschüttungen gesellen
       > sich dazu.
       
 (IMG) Bild: Rodrigo Hernández, „stars around this beautiful moon (3)“, 2023
       
       Der glückliche Zufall, von dem der Titel der Ausstellung im [1][Atelier
       André Kirchner] spricht, ist die Entdeckung einer Kamera. Und zwar einer,
       die für Heather Schmaedeke, die 2003 ihre Ausbildung zur Fotografin in
       Chicago abgeschlossen hat, eigentlich ein Spielzeug ist, die ihr aber
       gerade deshalb ganz neue Impulse gab. Die Fujifilm Instax Mini Evo Black
       „im Retro Charme“ – wie sie beworben wird – ist eine digitale
       Sofortbildkompaktkamera, die ihrem Namen entsprechend Mini-Polaroids
       ausspuckt. Sie speichert die Bilder aber auch auf einem Chip oder kann sie
       per Bluetooth aufs Handy übertragen, sodass man von den Aufnahmen auch
       große Abzüge in erstaunlicher Qualität machen kann.
       
       Das zeigen die Schwarzweiß-Fotografien von Heather Schmaedeke, die sie auf
       einer Städtereise aufnahm, die sie 2022 und 2023 unter anderem nach Posen,
       Warschau, Arlington, Chicago, Metz, St. Malo oder Valencia geführt hat. Das
       Schwarzweiß ist digital einstellbar, ebenso der Objektivmodus Vignette, mit
       dem typischen Effekt einer zu den Ecken hin abfallenden Helligkeit.
       Eigentlich ein Abbildungsfehler minderwertiger Objektive nutzt Heather
       Schmaedeke die Vignettierung um die Kontraste zu erhöhen. Das hilft, die
       komplexen Bildebenen zu sortieren, denn die Fotografin arbeitet gerne mit
       den Spiegelungen des urbanen Alltags. In der Flüssigkeitslache auf ihrem
       Tisch im Café des Chicago Art Institute sieht sie eine Fensterreihe
       verdoppelt, ihr Coffee-to-go-Becher daneben nimmt die gesamte Bildhöhe ein.
       
       Tatsächlich scheint sich in ihrer Stadtfotografie auch Fotografiegeschichte
       zu spiegeln: Eine Treppe in einer Häuserschlucht in Warschau erinnert an
       Berenice Abbotts Wall-Street-Bilder aus den 1930er Jahren. Und wieder ein
       Blick von oben hinab auf einen Balkon in Warschau erinnert an das Bauhaus
       und Umbo. Gleichzeitig gelingt es Heather Schmaedeke den Eigensinn des
       jeweiligen Ortes einzufangen.
       
       Die Palmen in „Walking in Sunshine“ würde man trotz großer Ähnlichkeit
       instinktiv nicht in Los Angeles vermuten, sie stammen aus Valencia, und
       ebenso ist man sich unbewusst sicher, dass „Striated“ eindeutig Chicago und
       nicht New York zeigt. Zunächst fast unmerklich durchbricht die
       Farbfotografie „Die Wellen“, aufgenommen 2022 in Posen, die Reihe der
       Schwarzweißaufnahmen. Ein leiser, fein gesetzter Wink, die selbstbewusste,
       selbstreflexive Komposition der Bilder zu akzentuieren.
       
       ## Wenn Tiere schlafen
       
       Die große Tafel, die sich aus acht kleineren Tafeln aus handgeschlagenem
       Edelstahl zusammensetzt, schimmert silbern. In ihrem Glanz, in dem der Raum
       und man selbst sich gebrochen widerspiegeln, ist eine große Linie zu
       erkennen, die sich über die gesamte Tafel zieht und einen Affen zeigt, der
       sich an eine ruhende menschliche Figur schmiegt.
       
       So monumental „Flux of Things (Human & Monkeys)“ ist, dessen Machart sich
       von mexikanischem Kunsthandwerk herleitet, so kleinformatig sind dann die
       sechs Ölgemälde, die wiederum Affen, aber auch Fledermäuse zeigen.
       Auffällig ist, dass alle Tiere schlafen. Rodrigo Hernández, 1984 in Mexiko
       City geboren, hat mit seiner zweiten Einzelausstellung bei [2][ChertLüdde]
       eine Bühne der Wahrnehmungsreflexion geschaffen. Denn tatsächlich werden
       wir, die Besucher:innen, immer wieder auf uns selbst und unsere
       Möglichkeiten der Wahrnehmung zurück geworfen.
       
       Denn während wir die Tiere betrachten und uns fragen, was in ihnen vorgeht,
       an welchem Ort sie sich befinden, während sie so friedlich und entspannt
       schlafen, wie der Künstler sie gemalt hat, während wir uns fragen, ob sie
       träumen, und wenn ja, ob ihre Träume den unseren ähneln, ob sie in ihren
       Träumen Aufregung, Angst und Freude empfinden wie wir, während all dieser
       Überlegungen betrachten wir ja Gemälde.
       
       Und recht besehen begegnen wir dem Gemälde, gleichgültig ob es abstrakt,
       figurativ, konkret oder collagiert ist, wie dem schlafenden Tier. Wir
       wollen es verstehen, versuchen die Zeichen zu deuten, wir lassen uns vom
       Glanz des silbern geschlagenen Stahls (wie im Fell) verführen und empfinden
       Freude über die Farben auf der Leinwand (wie im Gefieder). Wir stehen nie
       nur als Betrachter vor dem Kunstwerk, sondern immer auch mit unsrer
       Vorstellungskraft, wie Rodrigo Hernández in seiner raffinierten
       Verdoppelung von Bild und Motiv deutlich macht.
       
       ## Mit Raum zur Leichtigkeit
       
       Kunst ist will nicht nur betrachtet, interpretiert und besungen werden, sie
       will auch gesammelt und gerne auch verschenkt werden. Zum Beispiel in Form
       eines Künstlerbuches wie dem großformatige Band [3][„Sa Real“], gestaltet
       und herausgegeben von Wilfried Dickhoff, mit Arbeiten auf Papier von
       Ingeborg zu Schleswig-Holstein. An Rodrigo Hernández anknüpfend sind die
       puristischen Farbverläufe der 1956 geborenen Künstlerin grandiose
       schlafende Tiere, die in den schönsten Farben, in den überraschendsten
       Formen träumen.
       
       „Sa Real“, schreibt Ingeborg zu Schleswig-Holstein, „ist ein Ort mit
       besonderem Licht, mit besonderem Klang, mit eigenen Farben und Strukturen.“
       Die dort auf Mallorca im Schatten wilder Olivenbäume entstandenen Ölgemälde
       auf Papier sind, so die Künstlerin, jedes für sich „ein kleiner Komos, das
       Licht, den Duft, die Intensität, die Vitalität und die Stille des Ortes
       atmend.“ Die Farben der Künstlerin sind leuchtend, gerne in Blau und
       Rottönen und deren auch mal dissonanten Nuancierungen ins Grün oder Orange.
       
       Die Farben fließen ineinander, halten sich aber an anderer Stelle auf
       Distanz, dort haben sie harte Grenzen, wirken aber bei näherem Hinsehen
       durchlässig. Manche der Farbgebilde lassen an Tauchgänge denken, an
       Unterwasserblumen oder -tiere. Tatsächlich sind sie Kondensate der
       Eindrücke vom morgendlichen Schwimmen und Spaziergang. Und ohne dem
       Eigensinn der Bilder Abbruch zu tun, werden ihnen gelegentlich Fotografien
       zur Seite gestellt, als assoziative Wahrnehmung, sei es eines Stoffs, einer
       Blume oder einer roten Zwiebel.
       
       Eine schöne und kluge Idee, die dem Band Leichtigkeit verleiht, weil sie
       dem alltäglichen Leben Raum gibt, in dem die farbenprächtigen Blätter
       entstanden sind.
       
       15 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.andrekirchner.de/aktuell
 (DIR) [2] https://chertluedde.com/
 (DIR) [3] http://www.wdpress.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Brigitte Werneburg
       
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