# taz.de -- Spielfilm über Künstler Edvard Munch: Malen, solange der Atem reicht
       
       > Er will unbedingt unangepasst sein: Der neue Film des norwegischen
       > Regisseurs Henrik Martin Dahlsbakken erzählt von Edvard Munch.
       
 (IMG) Bild: Edvard Munch (Mattis Herman Nyquist) bereitet in dieser Szene seine Ausstellung in Berlin vor
       
       Für Edvard Munch war der künstlerische Ausdruck seines Seelenlebens, der
       Erlebnisse, die sich tief darin eingeschrieben haben, unentbehrlich. Ein
       Leben ohne das Malen war für den norwegischen Künstler kaum vorstellbar:
       „Ich glaube nicht an die Kunst, die nicht das zwanghafte Ergebnis des
       menschlichen Drangs ist, sein Herz zu öffnen“, brachte er sein daraus
       gewachsenes Verständnis von kreativem Schaffen als existenzieller
       Notwendigkeit selbst einmal auf den Punkt.
       
       Was zunächst so klingen mag wie die kapriziösen Ausführungen eines
       allürenreichen Künstlers, der sein Werk unbedingt mit Bedeutung aufladen
       will, gewinnt unweigerlich an Authentizität, wenn man sich mit den
       Widrigkeiten seiner Vita auseinandersetzt. Die Biografie [1][Edvard Munchs,
       der 1863 in der damals noch „Christiania“ genannten und strenggläubigen
       Hauptstadt eines seinerzeit verarmten Norwegens zur Welt kam], war von
       Kindheit an durch eine danteske Schwere geprägt.
       
       ## Erfahrungen von Krankheit und Tod
       
       Seine frühen Erfahrungen von Krankheit und Tod, das sich später zur einer
       ständigen Wegbegleiterin entwickelnde Erleben von Verlust und Isolation
       schlagen sich in einer Malerei aus schwerfälligen Pinselstrichen und
       sattfinsteren Farben nieder. In Bildern, die nicht den Anschein erwecken,
       als hätte Munch es auf eine Zurschaustellung elaborierter Handwerkskunst,
       sondern vielmehr auf das Sichtbarmachen der Essenz seiner Erfahrungen
       abgesehen. So, als könnte jede Zierde die Bestimmtheit dieser Erfahrung
       schmälern.
       
       Das Wesen des Porträtierten, seines Lebens wie seiner Schöpfungen, dem
       Publikum begreiflich zu machen, ist die wahrscheinlich vornehmste Aufgabe
       einer Filmbiografie. Vielleicht, so denkt man anfangs noch, in der Absicht,
       dieser Anforderung gerecht zu werden, hat Regisseur Henrik Martin
       Dahlsbakken für seine Annäherung an den Ausnahmekünstler einen reizvoll
       atypischen Ansatz gewählt. Sein Spielfilm „Munch“ verzichtet nicht nur
       gänzlich auf eine lineare Erzählstruktur, sondern fokussiert sich zudem
       allein auf vier Fragmente seiner Vita.
       
       ## Dialoge mit dänischen Psychiater Daniel Jacobsen
       
       Das Drehbuch, das der ebenfalls aus Norwegen stammende Dahlsbakken
       gemeinsam mit Mattis Herman Nyquist, Fredrik Høyer, Gine Cornelia Pedersen
       und Eivind Sæther verfasste, wirft Schlaglichter auf Edvard Munch im Alter
       von 21, 30, 45 und 80 Jahren – jeweils dargestellt von anderen
       Schauspielern. Statt durch Chronologie sind die Stationen durch eine Art
       thematische Assoziationskette miteinander verbunden, wodurch der Plot
       wiederholt zwischen ihnen wechselt.
       
       Das Interessanteste dieser biografischen Bruchstücke ist dabei wider
       Erwarten nicht etwa eines, das sich einem Munch als angehenden und voller
       Lebensdrang steckenden Künstler widmet – womöglich, weil es eine solche
       Version seines Selbst niemals gab –, sondern dreht sich um den Maler im
       mittleren Alter. Dahlsbakken versammelt darin alle Dämonen, die Munch (Ola
       G. Furuseth) sein ganzes Dasein über plagten, und bringt sie durch Dialoge
       mit dem damals für seine fortschrittlichen Therapiemethoden bekannten
       dänischen Psychiater Daniel Jacobsen (Jesper Christensen) zum Vorschein.
       Nach einer langen Episode schweren Alkoholismus und einer ständigen inneren
       Unruhe begab sich Munch 1908 in dessen Klinik in Kopenhagen.
       
       ## Er malt blind-bleiche Gesichter
       
       Während des Aufenthalts, der sich durch schwermütige Schwarz-Weiß-Bilder im
       beengenden 4:3-Format vom Rest des Films abhebt, werden der jähe Tod der
       älteren Schwester Sophie, die im Alter von 15 Jahren an der Schwindsucht
       starb, und der frühe Verlust der Mutter, ebenfalls durch Tuberkulose, als
       einschneidende Erlebnisse in Munchs Leben skizzenhaft thematisiert. Einen
       Bezug dazu, wie diese seelischen Blessuren wiederum Stil und Sujets des
       Malers beeinflussten und in Werken wie „Das kranke Kind“ oder „Tote Mutter
       und Kind“ ganz konkret zum Ausdruck kamen, stellt „Munch“ als Film, der
       sich sehr im Vagen wohlzufühlen scheint, allerdings nicht her.
       
       Mitunter legt Dahlsbakken seinem 45-jährigen Munch zwar bedeutungsschwere
       Ausführungen in den Mund. Etwa wenn er ihn gegenüber seinem Nervenarzt
       davon sprechen lässt, die Personen hinter jeder Maske sehen zu können.
       Davon, dass sie ihn an Leichen erinnerten, die ohne Unterlass einen
       verschlungenen Pfad zu ihrem Grab entlang eilten. Um darin einen Verweis
       auf die eigentümliche Art, blind-bleiche Gesichter zu malen, die von
       Schmerz und Schrecken verzerrt beinahe jeder Menschlichkeit entbehren, zu
       erkennen, braucht es jedoch einiges an Interpretationswillen.
       
       ## Das tiefe Gefühl von Zurückweisung
       
       Ohnehin ist „Munch“ eine äußerst voraussetzungsstarke Filmbiografie, die
       kaum Verbindungen zu seiner Kunst herstellt und nur selten Konkretes zur
       Vita des Malers bietet. Die prägende, weil turbulente Beziehung zu Tulla
       Larsen (Gine Cornelia Pedersen) wird in eiligen Rückblenden aufgegriffen,
       ihre wichtige Rolle in Munchs Leben ist kaum zu erahnen. Dass es zwischen
       den beiden zu einem Streit kam, bei dem Munch durch einen Pistolenschuss
       immerhin ein Fingerglied verlor, ebenso wenig.
       
       Dahlsbakken ergründet die Liebe und ihre Enttäuschung als weiteres
       zentrales Thema seines künstlerischen Schaffens stattdessen im wohl
       konventionellsten Kapitel des Films. Es folgt dem 21-jährigen Munch (Alfred
       Ekker Strande) während eines gemeinsamen Sommers mit seiner verbleibenden
       Familie in Åsgårdstrand, wo er die verheiratete Milly Thaulow (Thea
       Lambrechts Vaulens) kennenlernt.
       
       Die Darstellung ihrer kurzen Affäre verlässt sich auf
       malerisch-sonnengeflutete Bilder, die um klischeebeladene Motive zwischen
       romantischem Waldspaziergang und einer Eifersuchtsszene auf einem
       Gartenfest kreisen. Für Munch, der den Abend später im Gemälde „Tanz des
       Lebens“ rekapitulierte, soll diese Beziehung immerzu von Bedeutung
       geblieben sein, das tiefe Gefühl von Zurückweisung ebenfalls. Weshalb, das
       vermag die unspezifisch erzählte Liebesgeschichte nicht zu vermitteln.
       
       ## Der Wert des Nonkonformismus
       
       Wesentlich größere inszenatorische Experimentierfreudigkeit findet sich im
       Fragment, das sich den Wanderjahren Edvard Munchs widmet. Um die Zeit des
       norwegischen Malers in Berlin zu illustrieren, versetzt Dahlsbakken den
       30-Jährigen (Mattis Herman Nyquist) in die Hauptstadt der Gegenwart. Im
       Aufzug eines typischen Hipsters mit Oberlippenbart und Buzz-Cut-Frisur
       radelt er über das Tempelhofer Feld, der Morgenhimmel darüber wird zum Meer
       aus bunten Nebelschwaden, wie man sie aus einigen Gemälden des Künstlers
       kennt.
       
       Die spielerische Interpretation der Ereignisse des Jahres 1892, als der
       konservative Berliner Künstlerverein, echauffiert über die vermeintliche
       Rohheit von Munchs Stil, ein frühzeitiges Ende seiner Ausstellung erwirkte,
       verliert sich inhaltlich allerdings gleichfalls in Klischees: So versucht
       der vorerst verkannte Künstler seinen Frust in einem Underground-Club
       wegzutanzen, gerät dabei in einen berauschten Streit über den Wert des
       Nonkonformismus. Plötzlich wirkt Munch wie die unfreiwillige Karikatur
       eines von sich selbst überzeugten, aber talentlosen DJs, wie es sie
       weiterhin zahlreich nach Berlin zieht.
       
       ## Er verlässt sich auf exaltierte Kunstgriffe
       
       Des Eindrucks, dass Dahlsbakken für seine Filmbiografie womöglich selbst
       aus dem unbedingten Willen heraus, etwas Unangepasstes zu schaffen, zu
       einer ungewöhnlichen Struktur und plakativen Stilmitteln greift, kann man
       sich im Laufe dieses mitunter sehr erzwungen wirkenden Films immer weniger
       erwehren.
       
       Obwohl ein nonkonformistischer Ansatz im zuletzt übermäßig bemühten
       Biopic-Genre charmant anmutet, versäumt Dahlsbakken es, gewagteren
       inszenatorischen Entscheidungen einen tieferen Sinn zu verleihen, und lässt
       sie reizlos beliebig wirken. So auch die Besetzung des 80-jährigen Munchs
       mit einer weiblichen Schauspielerin (Anne Krigsvoll) in der das Geschehen
       einrahmenden Vignette, die ihn als zurückgezogenen Eremiten zeigt, der
       seine Gemälde zu einem Großteil der Stadt Oslo vermacht, um sie vor den
       Nazis zu beschützen.
       
       Wenn man so will, lässt sich Dahlsbakkens filmisches Verfahren als das
       genaue Gegenteil von Edvard Munchs Malerei beschreiben. Anstatt im Stil zu
       reduzieren, um die Essenz eines Motivs einzufangen, verlässt er sich auf
       exaltierte Kunstgriffe. Effektheischend setzt er in Szene, was auf
       inhaltlicher Ebene oft nicht über Allgemeinplätze hinausgeht.
       
       „Munch“ trübt so eher den Blick auf die Besonderheiten eines Künstlers, der
       sein Leben ganz und gar der Kunst verschrieb und rund 30.000 Werke
       hinterließ, als dass er sie seinem Publikum begreiflich machen würde. Das
       Interesse an einem Maler, dessen Bildern das „Malen-Müssen“ wahrlich
       anzusehen ist, sollte man sich dadurch nicht nehmen lassen. Und vielleicht
       ausnahmsweise lieber ins Museum gehen.
       
       13 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Edvard-Munch-in-Oslo/!5937246
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Arabella Wintermayr
       
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