# taz.de -- Landwirtschaftsminister auf Kuschelkurs: Ein Fähnchen im Wind von rechts
       
       > Agrarminister Cem Özdemir hat in zwei Jahren kaum etwas erreicht für
       > Umwelt- und Tierschutz. Im Dieselstreit lobbyiert er für Bauern statt
       > fürs Klima.
       
 (IMG) Bild: Verhöhnt: Landwirtschaftsminister Cem Özdemir während des Bauernprotests am 18. Dezember in Berlin
       
       Spätestens bei der Bauerndemonstration am Montag in Berlin sollte
       Bundesagrarminister Cem Özdemir verstanden haben, wes Geistes Kind manche
       Landwirte sind. Und dass seine für einen Grünen sehr konfliktscheue
       Agrarpolitik nicht funktioniert. Obwohl auch Özdemir das Ausmaß der
       geplanten Kürzungen von Rabatten bei Diesel- und Kfz-Steuer für
       Agrarfahrzeuge kritisierte, buhten erboste Bauern ihn gnadenlos aus.
       
       Der Vorstandssprecher der Bewegung „Landwirtschaft verbindet Deutschland“,
       Claus Hochrein, erntete Lacher, als er dem neben ihm stehenden Özdemir
       sagte: „Wenn ich Sie das erste Mal dann die letzten Tage vor der Presse
       gehört hab, hab ich mich gefühlt wie auf ’nem [1][türkischen Basar].“ In
       Wirklichkeit habe Özdemir von den Kürzungsplänen gewusst.
       
       Der Grüne ist der erste Bundesminister, dessen Eltern aus der Türkei
       eingewandert waren. Deshalb antwortete er Hochrein [2][in seiner Rede], man
       könne „gerne über türkischen Basar reden … aber ich frage mich auch, ob Sie
       diese Reden auch schon gehalten haben bei früheren Regierungen, als es noch
       ’n bisschen anders aussah“. Die Tierrechtsorganisation Peta warf Hochrein
       vor, Özdemir „rassistisch beleidigt“ zu haben, sogar die Bild schrieb von
       einem [3][„rassistischen Spruch“].
       
       Als Pöbler auf der Demo den Minister gar nicht mehr zu Wort kommen ließen,
       bat Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied zwar um Respekt und Fairness,
       sodass Özdemir weiterreden konnte. Aber der Bauernchef distanzierte sich
       nicht von dem als rassistisch verstandenen Spruch. Vielleicht dämmert
       Özdemir jetzt: Die meisten Landwirte mögen einfach keine Grünen. Und
       deshalb hat es auch keinen Sinn, sie unnötig zu schonen. Jedenfalls nicht
       so stark, dass man seine eigenen WählerInnen aus dem Blick verliert.
       
       Das ist das, was Özdemir in seiner bisherigen Amtszeit passiert ist. Die
       Grünen haben in der Landwirtschaft stets mehr Tier- und Umweltschutz
       gefordert. Denn die Branche trägt maßgeblich dazu bei, dass immer mehr
       Arten aussterben, das Grundwasser verschmutzt und das Klima belastet wird.
       Viele Tiere in deutschen Ställen leben unter ethisch nicht vertretbaren
       Bedingungen.
       
       Deshalb waren die Hoffnungen groß, als Özdemir im Dezember 2021 als seit 16
       Jahren erster Grüner die Leitung des Agrarministeriums übernahm. Doch er
       hat diese Erwartungen bisher noch nicht einmal im Ansatz erfüllt. Nach zwei
       Jahren geht es so gut wie keinem Tier besser, das Artensterben läuft
       ungebremst weiter. Ungebrochen ist der Trend, dass der [4][Anteil der
       Landwirtschaft an den Treibhausgasemissionen] in Deutschland steigt.
       
       ## Verrat an grünen Positionen
       
       Im aktuellen Fall Agrardiesel verrät Özdemir grüne Positionen und
       Parteifreund Robert Habeck regelrecht. Der Vizekanzler hatte sich mit den
       Koalitionspartnern SPD und FDP darauf geeinigt, das Haushaltsloch nach dem
       [5][Urteil des Bundesverfassungsgerichts] zur Schuldenbremse auch durch
       insgesamt 920 Millionen Euro für Agrardiesel und Zulassungssteuer für
       landwirtschaftliche Fahrzeuge zu schließen. Das ist ein großer Posten, aber
       lange nicht der größte.
       
       Am meisten soll laut der am Mittwoch vom Kabinett zur Kenntnis genommenen
       [6][Liste] der Klima- und Transformationsfonds sparen, dessen Ausgaben
       um 12,7 Milliarden Euro fallen sollen. Gleichzeitig sollen die
       VerbraucherInnen einen höheren CO2-Preis für Heizöl, Gas und Sprit berappen
       als ursprünglich geplant. Die Bundesagentur für Arbeit muss 1,5 Milliarden
       Euro an den Bund zurückzahlen, die während der Coronakrise als Zuschuss
       flossen. Das macht Beitragssenkungen in der Arbeitslosenversicherung noch
       unwahrscheinlicher.
       
       Die EU-Abgabe auf nicht recyceltes Plastik in Höhe von 1,4 Milliarden Euro
       sollen nicht mehr die Steuerzahler, sondern die Verursacher des Mülls
       tragen. Vor allem aus dem Etat des Entwicklungsministeriums, aber auch des
       Auswärtigen Amts und des Wirtschaftsressorts werden zusammen 800 Millionen
       Euro für Internationales gestrichen. Habeck stimmte genau wie Kanzler Olaf
       Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) zu, bei
       Rentenversicherung und Bürgergeld zu sparen. Bis der Bundestag all das im
       Januar beschließen soll, wird sicher fleißig lobbyiert und die Liste
       verändert.
       
       ## „Özdemir ist eine Fehlbesetzung“
       
       Falls der Agrardieselrabatt ausläuft, entspräche das einer alten Forderung
       der Grünen. Denn 2015, als Özdemir Vorsitzender der Partei war, sprach sich
       ihre Bundestagsfraktion klar dafür aus, den Rabatt zu streichen. Das
       Umweltbundesamt kritisiert beide Privilegien schon lange als
       umweltschädliche [7][Subventionen]. Doch kurz nach Bekanntgabe der
       Sparpläne wehrte sich Özdemir dagegen, die Bauern „überproportional“ zu
       belasten. Kürzungen „in diesem Umfang“ seien nicht okay, sagte er am
       Montag. Sie würden der EU-Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Bauern
       schaden.
       
       Damit erzürnt er Umweltschützer, die eigentlich den Grünen nahestehen.
       Martin Hofstetter, Agraringenieur bei Greenpeace, findet zwar auch eine
       Vermögenssteuer für Reiche, höhere Abgaben auf Fleisch oder eine Streichung
       des Dienstwagenprivilegs sinnvoller als Kürzungen beim Agrardieselrabatt.
       Der würde aber nun mal die Anreize zum Kraftstoffsparen verringern.
       
       Deshalb sagte Hofstetter: „Özdemir hat keinen Arsch in der Hose.“ Der
       Minister sollte argumentieren, dass es keinen Berufsstand gebe, „der so am
       Subventionstropf hängt“. In manchen EU-Ländern sei die Steuerbelastung auch
       höher. Aber Özdemir biedere sich bei den Bauern und der CDU in
       Baden-Württemberg an, wo er als künftiger Ministerpräsident einer
       grün-schwarzen Koalition gehandelt wird. „Özdemir hat keinen
       Gestaltungswillen. Er ist eine Fehlbesetzung“, so Hofstetter.
       
       Der Bund für Umwelt und Naturschutz kritisierte zwar, dass die Streichung
       von Kfz-Steuerbefreiung und Agrardieselrabatt zusammen die Landwirte zu
       stark belaste. Aber der Verband befürwortete das Ende der Dieselförderung,
       weil es „ein Schritt zu weniger Treibhausgasen“ sei.
       
       Die 920 Millionen Euro Kürzungen würden sich auch nicht so negativ
       auswirken, wie Özdemir suggeriert. Im Schnitt verlöre jeder der [8][rund
       254.000 Agrarbetriebe] in Deutschland knapp 3.600 Euro – im Jahr und bei
       einem Wert der produzierten Güter in Höhe von [9][300.000 Euro]. Deshalb
       würden wohl kaum Höfe pleitegehen oder die Lebensmittelpreise merklich
       steigen.
       
       ## Kein Veto gegen Glyphosat
       
       Auch bei anderen Themen liegt Özdemir mit wichtigen Teilen der grünen
       Klientel über Kreuz. Bei der entscheidenden Abstimmung der EU-Staaten über
       das umstrittene Pestizid Glyphosat legte sein Ministerium kein Veto ein
       gegen eine Zulassung für zehn weitere Jahre. Ein Nein-Signal hätte andere
       Staaten wie Frankreich beeinflusst und möglicherweise die Zulassung
       verhindert.
       
       Dabei hatte Özdemir sich zuvor gegen das Pestizid ausgesprochen, weil es so
       gut wie alle Pflanzen tötet und die Artenvielfalt gefährdet. Abgesehen
       davon hat die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation
       Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Die Ampel hatte in
       ihrem Koalitionsvertrag auch klipp und klar vereinbart: „Wir nehmen
       Glyphosat bis 2023 vom Markt.“
       
       Doch weil die FDP davon jetzt nichts mehr wissen will, knickte Özdemir ein.
       Das hätte der Grüne bei einem so wichtigen Thema nicht tun dürfen.
       Glyphosat wird laut Umweltbundesamt auf rund 40 Prozent der Felder
       hierzulande gespritzt. Die FDP hätte bei einem Nein wohl kaum die Koalition
       aufgekündigt. Sie hat im Bundestag derzeit keine Bündnisalternative und bei
       Neuwahlen müsste sie um den Einzug ins Parlament bangen.
       
       Diese Schwäche sollte Özdemir auch bei anderen Konflikten gegen den
       kleinsten Koalitionspartner nutzen. Etwa bei der Tierwohl-Abgabe auf
       Fleisch, mit der Bauern den viehfreundlichen Umbau ihrer Ställe finanzieren
       könnten. Oder beim [10][Exportverbot] für hierzulande aus
       Gesundheitsgründen untersagte Pestizide. All das blockiert die FDP bisher.
       
       ## Özdemir schielt nach Baden-Württemberg
       
       Aber Özdemir kämpft eben nicht gerade mit Herzblut für die grüne
       Agrarprogrammatik. Bevor er Landwirtschaftsminister wurde, hatte er sich so
       gut wie nie zu Agrarthemen geäußert. Da er kein Überzeugungstäter ist, aber
       auf eine Karriere in Baden-Württemberg schielt, will er es sich nicht zu
       arg verscherzen mit den Bauern. Denn die haben bei seinem möglichen
       Koalitionspartner CDU großen Einfluss.
       
       Dieses Kalkül ist nicht nur ungünstig für Umwelt und Tiere, sondern auch
       noch sinnlos: Viele Bauern prügeln auf Özdemir ein, auch wenn er ihnen
       entgegenkommt.
       
       Natürlich ist Özdemir aus Umwelt- und Tierschutzsicht besser als seine
       Unions-VorgängerInnen. Er hat erreicht, dass der Bund ab 2024 die Pflicht
       einführt, auf unverarbeitetem Schweinefleisch [11][zu kennzeichnen], wie
       das Tier gehalten worden ist. Flankiert wird das mit Subventionen für
       bessere Ställe. Auch wenn das nur einen kleinen Teil des Fleischmarkts
       betrifft, ist das schon mehr als Stillstand oder gar der Rückschritt unter
       Julia Klöckner (CDU). Aber bei einem Grünen sind die Erwartungen von
       Umwelt- und Tierschützern einfach höher.
       
       Vielleicht kann er doch noch punkten. Wenn Özdemir die Unterstützung der
       eigenen Basis zu verlieren droht, wird er stärker für ihre Anliegen
       kämpfen. Denn dann wäre seine Karriere akut in Gefahr – auch in
       Baden-Württemberg.
       
       23 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=Etxo0q3BDB8
 (DIR) [2] https://www.youtube.com/watch?v=6j8ftz3Cy_g
 (DIR) [3] https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/auf-bauern-demo-oezdemir-kontert-dummen-tuerken-spruch-86479582.bild.html
 (DIR) [4] https://www.landwirtschaft.de/landwirtschaft-verstehen/haetten-sies-gewusst/infografiken/treibhausgasemissionen-in-deutschland-die-rolle-der-landwirtschaft
 (DIR) [5] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/bvg23-101.html
 (DIR) [6] https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/pressemitteilungen/zum-haushalt-2024-2250336
 (DIR) [7] https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/umweltschaedliche-subventionen-in-deutschland-0
 (DIR) [8] https://www.situationsbericht.de/3/33-betriebe-und-betriebsgroe%C3%9Fen
 (DIR) [9] https://www.bmel-statistik.de/fileadmin/daten/3130400-0000.xlsx
 (DIR) [10] /Gesundheitsschaedliche-Chemikalien/!5956922
 (DIR) [11] /Gesetz-zur-Kennzeichnung-der-Tierhaltung/!5937724
       
       ## AUTOREN
       
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