# taz.de --  Präsidentschaft Guatemalas: Die endlich teilhaben wollen
       
       > Guatemalas Indigene setzen große Hoffnungen in den gewählten Präsidenten
       > Bernardo Arévalo. Er kann nun vor allem dank ihnen sein Amt antreten.
       
 (IMG) Bild: Indigene marschieren in Guatemala-Stadt zur Unterstützung des gewählten Präsidenten Bernardo Arevalo und der Partei „Seed Movement“
       
       Jaime Choc Cucul rückt den Strohhut zurecht, bevor er spricht: „Unser
       Protest kommt von ganz unten. Alle, die so wie ich nach Guatemala-Stadt
       gefahren sind, um vor dem Ministerio Público oder dem Congreso zu
       protestieren, sind auf eigene Rechnung gefahren“, sagt der 41-Jährige. Er
       ist ein mittelgroßer, stämmiger Mann.
       
       Die beiden Orte, die er nennt – die Generalstaatsanwaltschaft und das
       Parlament –, sind zwei Drehscheiben der Macht, von denen der designierte
       Präsident Bernardo Arévalo [1][und seine Partei] [2][mit allerlei
       juristischen Winkelzügen ferngehalten] werden sollten.
       
       „Dagegen haben wir landesweit protestiert. Ich war drei- oder viermal zu
       den Protesten in der Hauptstadt“, sagt Choc Cucul, der aus der Kleinstadt
       Cahabón im Verwaltungsdistrikt Alta Verapaz stammt.
       
       Er ist ein Indigener aus dem Volk der Maya Q’eqchi und zugleich Autoridad
       Ancestral – so werden die spirituellen und politischen Führer:innen der
       indigenen Völker genannt. Seit dem 2. Oktober haben sie landesweit deutlich
       an Bekanntheit gewonnen und sind zu Gesichtern des Widerstands gegen ein
       hyperkorruptes System geworden. An dem Tag begann die landesweite Rebellion
       gegen den Versuch, den am 20. August [3][mit deutlicher Mehrheit gewählten
       Präsidenten Bernardo Arévalo] nicht ins Amt kommen zu lassen.
       
       Ausgangspunkt für die juristische Offensive, die Arévalo als Versuch eines
       [4][„juristischen Staatsstreichs“] bezeichnete, war die
       Generalstaatsanwaltschaft. Rund um das von einem mächtigen, mit
       Transparenten dekorierten Metallzaun eingefassten Gebäude finden nun seit
       mehr als 100 Tagen täglich Veranstaltungen, Kundgebungen, Mahnwachen, aber
       auch Workshops und Konzerte statt.
       
       ## Indigene wehren sich gegen Diskriminierung
       
       „Für uns ist ein Wendepunkt erreicht. Heute fordern wir unsere Rechte
       offensiv ein, verteidigen unsere Territorien und wollen teilhaben an der
       gesellschaftlichen Entwicklung“, erklärt Choc Cucul, der wie alle indigenen
       Autoritäten des Landes zur Vereidigung des neuen Präsidenten für mehrere
       Tage nach Guatemala-Stadt fahren wird. „Wir verteidigen die Reste unserer
       Demokratie und wollen Bernardo Arévalos Weg zur Präsidentschaft begleiten.“
       
       Präsenz zeigen, insistieren und die neue Regierung unterstützen, lautet die
       Strategie der basisdemokratisch organisierten Indigenen, die rund 44
       Prozent der Bevölkerung stellen, über deren Köpfe aber traditionell
       hinwegregiert wird.
       
       Genau das soll sich ändern, und dafür engagiert sich auch Wendy López. „Wir
       sehen uns einer institutionalisierten Diskriminierung und latentem
       Rassismus gegenüber und wehren uns“, sagt die indigene Rechtsanwältin der
       Menschenrechtsorganisation Udefegua.
       
       ## Die Kernursache ist Korruption
       
       Sie stammt aus der Region Sololá, gehört den Quiché-Mam an und hat als
       erste Frau aus der indigenen Gemeinde Panajachel das juristische
       Staatsexamen absolviert – dank eines Stipendiums der jesuitischen
       Universität Rafael Landívar. „An der staatlichen Universität San Carlos
       hätte ich kaum eine Chance gehabt, musste aber nach Quetzaltenango
       ziehen, um studieren zu können. In meiner Region wäre das unmöglich
       gewesen“.
       
       Es fehlt an Infrastruktur in den indigen geprägten Regionen Guatemalas: zu
       wenige, meist miese Schulen und Gesundheitseinrichtungen, dazu oft nur
       holprige Schlaglochpisten. Das sind Realitäten, die indigenes Leben in
       nahezu allen Regionen Guatemalas prägen.
       
       „Eine Kernursache dafür ist die Korruption. Investitionen in indigen
       geprägte Regionen Guatemalas verschwinden überproportional häufig und
       zementieren die Rückständigkeit unserer Gemeinden“, kritisiert die
       33-Jährige, die eine Reihe von Gemeinden juristisch vertritt.
       
       ## Wegen fingierter Beweise in Haft
       
       Bernardo Arévalo, 64 Jahre alt und Soziologe mit diplomatischer Erfahrung,
       ist nicht nur der Hoffnungsträger des indigenen Guatemalas, sondern
       insgesamt einer Zivilgesellschaft, die bisher systematisch kriminalisiert
       und ins Exil gedrängt wurde.
       
       Ein Beispiel dafür ist Bernardo Caal Xol. Der indigene Umweltaktivist und
       Lehrer aus Cahabón hat Widerstand gegen den Bau von Wasserkraftwerken
       organisiert, die über die Köpfe der indigenen Gemeinden hinweg genehmigt
       wurden. Nach einer Verurteilung aufgrund fingierter Beweise saß er trotz
       internationaler Proteste auch der Vereinten Nationen mehr als vier Jahre im
       Gefängnis in Cobán. Er ist kein Einzelfall.
       
       Bislang hat die indigene Bevölkerung nie von den schwachen demokratischen
       Strukturen im Land profitiert. Das soll sich nun ändern. „Wir haben
       erkannt, dass eine funktionierende Demokratie die besten Aussichten für
       die indigenen Völker bietet und glauben an Bernardo Arévalo, der angetreten
       ist, um die omnipräsente Korruption zu bekämpfen“, sagt Caal Xol.
       
       ## Indigener Widerstand ist ein Faktor geworden
       
       Die indigene Bevölkerung ist in den vergangenen Jahren sichtbarer geworden.
       Zum einen eine Folge von mehr Auslandserfahrung und Arbeitsmigration –
       vor allem in die USA. Zum anderen ein Ergebnis der digitalen Revolution,
       die zu mehr Information in den oft vernachlässigten indigenen Gemeinden
       führte und Vernetzung vereinfachte.
       
       Erstes deutliches Signal dafür war 2019 der vierte Platz bei den
       Präsidentschaftswahlen für Thelma Cabrera, erste indigene
       Präsidentschaftskandidatin seit der Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta
       Menchú, die 2007 angetreten war. Cabrera erhielt gut 10 Prozent der
       Stimmen, seitdem ist indigener Widerstand ein Faktor geworden. Dabei
       spielen indigene Medien genauso eine Rolle wie indigene Anwaltsbüros.
       
       Wendy López sieht die indigene Bewegung erst am Anfang. „Alle Indikatoren
       belegen, dass wir enormen Nachholbedarf haben: Bildung ist für uns das
       Trampolin in unsere Zukunft“, sagt die Juristin, die gerade einen immensen
       Erfolg zu feiern hat: ein Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofs für
       Menschenrechte von Mitte Dezember. Dieses verpflichtet die Regierung
       Guatemalas, indigene Gemeinden vor Großprojekten auf dem Territorium, das
       sie bewohnen, zu konsultieren und um Einverständnis zu bitten.
       
       De facto muss Guatemalas Regierung einen neuen Rechtsrahmen schaffen, „der
       die kollektiven Rechte der indigenen Völker als eigenständige rechtliche,
       soziale und politische Einheiten innerhalb des Nationalstaats wahrt“, so
       steht es in dem Urteil. Die Umsetzung liegt nun in den Händen der neuen
       Regierung von Bernardo Arévalo.
       
       14 Jan 2024
       
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