# taz.de -- Rechtsextremes Geheimtreffen: Allein mit den Deutschen
       
       > Rechte fantasieren von „Remigration“, alle sind schockiert. Doch der
       > Ethnopluralismus ist alt und findet sich auch in der Linken.
       
 (IMG) Bild: „Danke, wir brauchen euch nicht mehr“– in den 1980er Jahren versuchte Deutschland viele „Gast arbeiter“ wieder loszuwerden
       
       Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach. Das ist
       kein Geheimplan. Das ist ein Versprechen. Für mehr Sicherheit. Für mehr
       Gerechtigkeit. Für den Erhalt unserer Identität. Für Deutschland.“ So
       antwortete der Bundestagsabgeordnete René Springer von der AfD auf die
       Aufregung [1][über ein Treffen von rechtsextremen Identitären, AfDlern und
       Mitgliedern der Werteunion], das ein völkisch denkender Zahnarzt
       organisiert hatte.
       
       Bei dieser Zusammenkunft sei, so hieß es [2][im Bericht des Medienhauses
       Correctiv], ein „Masterplan“ zur „Remigration“ unerwünschter Menschen
       diskutiert worden, darunter etwa Asylbewerber und Ausländer mit
       Bleiberecht. Als größtes „Problem“ seien „nicht assimilierte Staatsbürger“
       ausgemacht worden: Deutsche, die den Rechten nicht deutsch genug sind.
       „Remigration“ soll die Lösung der angeblich wesentlichen Frage unserer Zeit
       sein: „Ob wir als Volk im Abendland noch überleben oder nicht“.
       
       In einem Punkt hatte AfD-Mann Springer recht: Was da in einem Potsdamer
       Hotel gegen Ende des Jahres 2023 verhandelt wurde, war kein „Geheimplan
       gegen Deutschland“, wie Correctiv seine Geschichte überschrieb. In Potsdam
       wurde einmal mehr das identitäre Programm der Neuen Rechten vorgetragen. Es
       ist weder neu noch unbekannt.
       
       Im Jahr 1978 erschien ein Buch, in dem unter dem Titel „Nationale
       Identität“ einige Aufsätze und Vorträge von Henning Eichberg versammelt
       waren. Eichberg widmete sich darin unter anderem der Volksmusik „zwischen
       imperialistischer Mode und nationaler Revolution“. Eichberg war gegen
       amerikanischen Pop, daher freute er sich über Neuerungen „auf der Ebene
       praktischen Singeverhaltens: Auf Studentenfesten singt man gemeinsam
       Volkslieder, auch in Mundart. Jusos veranstalten Sonnwendfeiern mit
       Klampfenmusik. Zum Leitmotiv neuerer Demonstrationen wurde ein Vers nach
       der Melodie ‚Hejo, spann den Wagen an‘: ‚Wehrt euch, leistet Widerstand
       gegen das Atomwerk hier im Land. Haltet fest zusammen, haltet fest
       zusammen.‘“
       
       Da verwundert es nicht, dass Eichberg ein Jahr nach Erscheinen seines Buchs
       zu den Mitbegründern der Grünen gehörte.
       
       ## „Gastarbeit“ war eine Fiktion
       
       Eichbergs zentrale Kategorie war das Volk. Das Volk fühle sich durch
       Einwanderung seiner selbst entfremdet, meinte Eichberg. In Westeuropa seien
       nicht nur Ethnien wie die Bretonen, Iren, Waliser, Basken oder Katalanen
       durch eine „Politik der kulturellen und demographischen
       Entpersonalisierung“ bedroht, sondern auch die Zentren – „und zwar durch
       die Politik des Transfers der euphemistisch sogenannten ‚Gastarbeiter‘“.
       
       Die Ergebnisse dieses „Transfers“ stünden allen vor Augen, klagte Eichberg:
       „Ein afrikanisiertes Paris, ein ethnisch gesichtsloses Brüssel und ein
       Berlin-Kreuzberg mit 20 Prozent Türken.“ Damit formulierte Eichberg im
       Grunde bereits die inzwischen weit verbreitete identitäre
       Verschwörungstheorie des „Großen Austauschs“.
       
       Vierzehn Millionen „Gastarbeiter“ waren zwischen 1955 und 1973 angeworben
       worden. Sie sollten im Wirtschaftswunderland fehlende Arbeitskraft
       kompensieren, die Gewerkschaften schwächen und Lohndumping ermöglichen. Die
       Gastarbeiter sollten eigentlich rotieren, doch die deutsche Wirtschaft
       wollte nicht ständig neue Arbeiter anlernen.
       
       „Gastarbeit“ [3][war eine Fiktion]. Die Gastarbeiter holten ihre Kinder
       nach, neue Kinder wurden in Deutschland geboren. „Wir riefen Arbeitskräfte,
       und es kamen Menschen“, analysierte der Schriftsteller Max Frisch schon
       1965. Acht Jahre später warnte Kanzler Willy Brandt davor, dass „die
       Aufnahmefähigkeit unserer Gesellschaft erschöpft“ sei. Brandts
       sozialliberale Regierung beschloss einen Anwerbestopp.
       
       ## „Verlust des Wesens“
       
       Für den identitär denkenden Henning Eichberg hatten auch die Türken ein
       Existenzrecht – in ihrem ursprünglichen kulturellen Raum, also da, wo sie
       angeblich hingehören. Das ist die zentrale Idee des Ethnopluralismus, die
       Eichberg maßgeblich formuliert hat. Die in Deutschland lebenden
       Gastarbeiter nannte Eichberg daher in einem erstaunlichen begrifflichen
       Dreh einmal gar „durch den Arbeitsmarkt Heimatvertriebene“.
       
       Als Heimatvertriebene hatte man in der Bundesrepublik bis dahin nur die am
       Ende des Kriegs aus Ostpreußen, Schlesien und dem Sudetenland Geflohenen
       und Vertriebenen genannt. Nun gelten die Türken also auch als
       Heimatvertriebene, denen man dabei helfen muss, in ihre Heimat zurückkehren
       zu können.
       
       Der Ethnopluralist Eichberg gestand allen Völkern ihre kulturelle
       „Eigentümlichkeit“ zu. Die Kategorie „die Deutschen“ reichte ihm angesichts
       der im Land lebenden ehemaligen Gastarbeiter nicht mehr aus: Deutschland
       solle den „deutschen Deutschen“ vorbehalten sein. Ironischerweise erkannte
       er damit implizit an, dass es auch türkische, italienische, griechische,
       spanische und jugoslawische Deutsche gab.
       
       Es ist kein Zufall, dass Eichberg damals zwischen deutschen Deutschen und
       nicht-deutschen Deutschen zu unterscheiden begann. Der erste Leiter des
       Amts des Ausländerbeauftragten der Bundesregierung, Heinz Kühn,
       veröffentlichte 1979 ein Memorandum, das erstmals offiziell aussprach, dass
       Deutschland faktisch ein Einwanderungsland geworden war.
       
       ## „Die nationale Frage, wiederaufgelegt.“
       
       Es war die Realität der Einwanderungsgesellschaft, auf die neue Rechte wie
       Eichberg reagierten. Woher aber hatten sie die Idee der „Identität“?
       
       1976 diagnostizierten namhafte deutsche Intellektuelle bei einer Tagung,
       die bundesdeutsche Gesellschaft sei orientierungslos geworden. Dafür sei
       ein Mangel an „deutscher Identität“ verantwortlich. Es müsse darum gehen,
       „unsere historische Identität wieder zu gewinnen und zu vertiefen“, meinten
       die einen. Zukunft brauche Herkunft, postulierten andere, denn „der moderne
       Verlust des Wesens“ verlange „als sein Minimalsurrogat die Identität“. Für
       den vermeintlichen Identitätsverlust wurden nicht die Fremden im Land
       verantwortlich gemacht, sondern das moderne Leben und der Einfluss
       amerikanischer Konsumkultur.
       
       Drei Jahre später gab Jürgen Habermas zwei Bände heraus, die „Stichworte
       zur geistigen Situation der Zeit“ geben sollten. Anlass war die Etablierung
       der Neuen Rechten in der Bundesrepublik. Nach dem Ende der bis 1972
       währenden „Reformphase“ aber setzte laut Habermas eine „Tendenzwende“ ein:
       Die Linke habe die intellektuelle Hegemonie an die Neue Rechte verloren.
       
       Diese Tendenzwende beschrieb Habermas als „Symptom eines Gesinnungswandels,
       der die Mentalität des Kalten Krieges von der Fixierung auf den äußeren
       Feind löst, und für die Ausgrenzung des inneren Feindes mobilisiert“. Doch
       paradoxerweise hatte das erste, wenn auch laut Habermas ironisch gemeinte,
       Kapitel seiner „Stichworte zur geistigen Situation“ die Überschrift: „Die
       nationale Frage, wiederaufgelegt.“
       
       ## An den Busen der Nation
       
       Dort kamen abermals führende Intellektuelle zu Wort. Der sich damals zur
       Linken zählende Schriftsteller Martin Walser erklärte in seinem Beitrag,
       „unsere nationale und gesellschaftliche Ratlosigkeit“ sei eine Folge
       „unserer Entfremdung von unserer Geschichte“. Walser war nicht der einzige,
       den es nun an den Busen der Nation zog. „Einige Linke beginnen ohne Zögern
       über ihre ‚Liebe zum deutschen Volk‘ und ihren Stolz auf dessen Eigenart zu
       reden“, hielt Iring Fetscher in seinem Beitrag fest. Trotz aller Kritik am
       neuen linken Nationalismus zeigte er Verständnis: „Wir haben zu lange
       verdrängt, was wir sind und wo wir herkommen.“
       
       Gegen ein Bedürfnis nach Überlieferung und Wissen über die eigene
       Geschichte ist nichts zu sagen. Problematisch ist seine Verknüpfung mit
       einem Identitätsbegriff, der eine ominöse Substanz postuliert, wo
       Gesellschaft ist. Der von Intellektuellen aus dem rechten wie dem linken
       Lager in den 1970ern ins Spiel gebrachte Begriff der „Identität“ wurde
       prompt von der Neuen Rechten genutzt, um Menschen aus dem nationalen
       Kollektiv auszuschließen. Nach Auschwitz war es nicht mehr opportun, Volk
       als biologische Tatsache zu postulieren. Da kam die zur Mode gewordene Rede
       von der „Identität“ gerade recht.
       
       Als im Jahr 1982 die Arbeitslosenzahlen deutlich stiegen, kam auch Helmut
       Schmidt zum Schluss, dass der Einwanderung Einhalt geboten werden müsse.
       „Mir kommt kein Türke mehr über die Grenze“, sagte der Bundeskanzler im
       Sommer dieses Jahres. Seinem Nachfolger reichte es nicht mehr, weitere
       Einwanderung zu verhindern. Kurz nach seiner Wahl im Herbst 1982 traf sich
       Helmut Kohl mit der britischen Premierministerin Margaret Thatcher. Kohl
       erklärte ihr, über die nächsten vier Jahre werde es notwendig sein, die
       Zahl der Türken in der Bundesrepublik um 50 Prozent zu reduzieren, aber er
       könne dies noch nicht öffentlich sagen. Es sei unmöglich, die Türken in
       ihrer gegenwärtigen Zahl zu assimilieren. Deutschland habe kein Problem mit
       den Portugiesen, den Italienern, selbst den Südostasiaten, weil diese
       Gemeinschaften sich gut integrierten.
       
       Ein Jahr später ließ Kohls Regierung Taten folgen und führte die sogenannte
       Rückkehrprämie ein. 10.500 D-Mark plus eingezahlte Rentenbeiträge sollten
       türkischstämmige Menschen dazu animieren, in ihr Heimatland zurückzukehren.
       
       Wenn dieser Tage „Remigration“ [4][zum „Unwort des Jahres“ erkoren wird],
       wird vergessen, dass solche Fantasien schon lange kursieren und bereits vor
       über 40 Jahren Regierungshandeln bestimmt haben – allerdings nur in Gestalt
       finanzieller Anreize. Ein weiterer, wesentlicher Unterschied besteht
       darin, dass aus den Ausländern von damals dank mehrerer Reformen des
       Staatsbürgerschaftsrechts in den 1990ern längst deutsche Staatsbürger
       geworden sind. Daher haben wir es nun mit einer identitären Bewegung zu
       tun, die „nicht-assimilierte“ Staatsbürger aus dem Land vertreiben will
       und sich damit gegen Recht und Gesetz stellt. Man könnte sich angesichts
       dessen heute auch an eine Parole erinnern, die Anfang der Achtziger viele
       westdeutsche Häuserwände zierte: „Ausländer, lasst uns mit den Deutschen
       nicht allein.“
       
       21 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Enthuellungen-ueber-AfD-Geheimtreffen/!5982734
 (DIR) [2] https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen/
 (DIR) [3] /60-Jahre-Anwerbeabkommen/!5808609
 (DIR) [4] /Unwort-des-Jahres-2023/!5982972
       
       ## AUTOREN
       
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