# taz.de -- Regisseurin über Science-Fiction-Theater: „Ein Mehr an Wirklichkeit“
       
       > Ehrliche Frage nach einem realen Problem: Regisseurin Alina Sobotta über
       > die Theatertauglichkeit von Stanisław Lems Science-Fiction-Roman
       > „Solaris“.
       
 (IMG) Bild: Differenzierter Blick auf den ja gerne mal lächerlichen Menschen: „Solaris“-Autor Stansislaw Lem (1921–2006)
       
       taz: Alina Sobotta, was macht einen Science-Fiction-Roman wie [1][Stanisław
       Lems] „Solaris“ zu einem Theaterstoff?
       
       Alina Sobotta: Es ist eigentlich sogar der perfekte Stoff. Weil wir
       gezwungen sind, uns hinauszubewegen über die Grenzen unserer bekannten
       Welt, aber auch denen unserer Fantasie – wenn wir Science-Fiction lesen,
       aber auch, wenn wir uns in den Theaterraum begeben. Beides sind Räume, die
       ein Mehr an Wirklichkeit ermöglichen und aufmachen. Wenn da ein Autor aus
       einer sehr konkreten autobiografischen Erfahrung, auch Gewalterfahrung
       heraus – Lem war ja Holocaustüberlebender – anfängt, auf einer
       Unbedingtheit von Mehr an Welt zu bestehen; darauf, dass wir uns bestimmte
       Fragen über uns als Menschheit, unsere Zukunft und die Möglichkeit anderer
       Welten stellen: Dann geht es ihm wie uns im Theater. Ich glaube, dass wir
       auch dort einen Raum haben, bei dem die Verabredung ist: Sobald wir durch
       die Tür treten, Platz nehmen, sind wir eingeladen, Raum und Zeit nochmal
       auf eine andere Art und Weise zu erleben. Das hat aber natürlich auch seine
       ganz eigenen Fallstricke.
       
       Inwiefern? 
       
       In Science-Fiction steckt immer ein bisschen die Behauptung: So, wir
       überlegen uns jetzt, ausgehend von unserer Welt – es ist ja gerade keine
       Fantasy –, noch mal eine ganz andere. Und dieses world building ist im
       Theater ein bisschen schwieriger.
       
       Warum? 
       
       Da haben wir es eigentlich immer schon mit einer nicht realen Welt zu tun.
       Demgegenüber hat es ein Andrei Tarkowski leichter …
       
       …der Regisseur der wohl bekanntesten [2][„Solaris“-Verfilmung].
       
       Denn [3][im Film] kann ich die Wege auf der Raumstation mitgehen, ich kann
       in die Kabine gehen, es gibt eine Küche, eine Bibliothek. Die Form der
       Realitätsbehauptung ist im Theater erst mal eine andere.
       
       Wie kam es nun aber konkret dazu, dass Sie sich mit „Solaris“ beschäftigen? 
       
       Also, ich bin ja auch Polin, da sind „Solaris“ und Lem Kanon. Das ist
       übrigens interessant: Ich habe gemerkt, dass es da wirklich einen
       Generationsunterschied gibt: Wer kennt Lem und gerade auch „Solaris“ – und
       wer nicht? Mich hat Lem eigentlich schon immer fasziniert. Es war aber eine
       meiner Dozentinnen an der [4][Musik- und Theaterhochschule], mit der ich
       mich unterhalten habe und dabei „Solaris“ erwähnt. Die sagte: [5][Ist das
       nicht der Stoff], nach dem du suchst? Und in dem Moment war das total
       einleuchtend.
       
       Woran genau würden Sie das festmachen? 
       
       An „Solaris“ berührt mich die Einsamkeit und Verlorenheit der Figuren auf
       der Station. Ihr Umgang mit ihren individuellen Traumata und Dämonen, die
       sie da draußen heimsuchen. Die Konfrontation mit ihren offenen Wunden. Was
       ich daran aber auch so aktuell und wichtig finde: Wir befinden uns gerade
       wieder in einer Art Wettlauf ins All, einem [6][Space Race] – ähnlich wie
       zur Entstehungszeit.
       
       Das Buch kam 1961 heraus, ein paar Monate nachdem die Sowjets mit „Sputnik
       5“ allerlei Tiere in den Weltraum befördert hatten – und einige davon auch
       wieder lebendig zurück. 
       
       Aber ich habe das Gefühl, wenn jetzt wieder ein Space Race stattfindet,
       passiert das in einer Manier, die Lem kritisiert hätte.
       
       Nämlich? 
       
       Es geht doch primär darum, unser Wirtschaftssystem auszuweiten in den
       Kosmos. Darum Rohstoffe und Ressourcen zu erwirtschaften und die zu
       kapitalisieren. Und verloren gegangen ist eine Form des ideologischen
       Wettlaufs um den Weltraum. An „Solaris“ finde ich schön und wichtig: die
       Skepsis, mit der Lem das Ganze betrachtet. Er lässt ja eine Figur fragen:
       Was suchen wir eigentlich? Wir brauchen keine anderen Welten, wir ersticken
       ja schon an unserer eigenen. Wir wollen in den Kosmos gehen, aber
       eigentlich nur Planeten finden, die aussehen wie ein Regenwald, wie eine
       Eiswüste, wie die Sahara. Denn wirklich andere Welten können wir uns
       eigentlich gar nicht vorstellen. Wir sehen immer nur uns und unsere Welt
       gespiegelt.
       
       Aber auch das hat seine Tücken. 
       
       [7][Wenn uns das gezeigt wird] – „unsere eigene monströse Hässlichkeit,
       unsere Albernheit und unsere Schande“, so heißt es ja im Roman –, dann
       können wir damit nicht umgehen. Und da mag ich Lems Blick auf die Menschen:
       Der ist sehr ehrlich, fast schmerzhaft ehrlich, Hässlichkeit und Albernheit
       finde ich da ein gutes Stichwort. Gleichzeitig trotzdem auch sehr
       liebevoll, und mit Potenzial für Solidarität und Trost. In dem Sinne finde
       ich Lem sehr umfassend und erkenne darin eine sehr menschliche Erfahrung.
       Sein Text ist eine sehr ehrlich gestellte Frage nach einem sehr realen
       Problem.
       
       Und da ist es dann überhaupt nicht mehr überraschend, dass dieser Stoff
       [8][auf einer Theaterbühne] landet: Wenn man die Sache so angeht, wird
       daraus genuiner Theaterstoff – wie [9][ein Königsdrama] welcher wäre. 
       
       Ja, total! Da stecken doch fast klassisch antike Dramen drin: der Mensch
       gegen das Schicksal. Die Menschen arbeiten sich an diesem fremden Ozean ab
       wie an einem Gott, bei dem man nicht weiß, ist der eigentlich gutwillig
       oder böswillig? Manipuliert er uns, oder sind das alles Kollateralschäden,
       dass uns jetzt hier unsere intimsten und schmerzhaftesten Erinnerungen
       heimsuchen auf dieser Raumstation?
       
       17 Jan 2024
       
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