# taz.de -- Die Kunst der Woche: Sichtbar versteckt
       
       > Karolina Jabłońska sucht bei Esther Schipper das ultimative Versteck. Bei
       > Sprüth Magers stellt Sylvie Fleury Noten eines egoistischen Mackers aus.
       
 (IMG) Bild: Blick in Karolina Jabłońskas Ausstellung „How to be invisible“
       
       Viele Gründe kann es geben, gerne mal für eine Weile oder auch für länger
       abtauchen zu wollen: die Laune, das Leben, die Lage. Das tatsächlich zu
       verwirklichen, ist jedoch leider gar nicht so einfach. Eine Anleitung hat
       auch die US-amerikanische Sängerin Kate Bush in ihrem 2005 veröffentlichten
       Song „How to be invisible“ nicht parat, aber sie beschwört darin ein
       Labyrinth aus Korridoren und Millionen von Türen hervor, die in die Welt
       des Unsichtbaren führen würden.
       
       In Karolina Jabłońskas gleichnamiger erster Einzelausstellung bei
       [1][Esther Schipper], die auf Kate Bushs Song Bezug nimmt, handelt es sich
       bei diesen Türen offenbar unter anderem um solche, die zu einem
       Kleiderschrank und einem Kühlschrank gehören. Da hinein versucht sich
       Jabłońskas Alter Ego – eine junge Frau mit buschigen Augenbrauen, brauner
       strähniger Mähne und ebensolchen riesigen braunen Augen – nämlich auf den
       Gemälden zu verkriechen. Auf anderen wiederum müssen ein Baum oder ein Hemd
       oder notfalls auch die eigenen Hände als Versteck ausreichen. Richtig gut
       funktioniert das alles nicht. Nicht zu übersehen, bleibt sie.
       
       Selbst die Flucht in die Menge scheint keinen Ausweg zu liefern: Umgeben
       von Doppelgängerinnen findet sich die Protagonistin dort wieder. Jedes
       Versteck wird auf seine Weise zur Falle. Das radikalste Bild findet die
       Malerin, die 1991 im polnischen Niedomice geboren ist, dafür in dem
       Triptychon „Red Preserves“. Sechs große Einmachgläser sind darauf zu sehen,
       eingelegtes rotes Wurzelgemüse und Fruchtkompott, das ganz rechte davon
       enthält jedoch eine andere Zutat: Der mittlerweile bekannte Frauenkopf
       steckt drin, mit wildem Haar und ebensolchem Gesichtsausdruck.
       
       Eingezwängt erscheint er im wörtlichen Sinne, der übertragene drängt sich
       gleich mit auf. Eine Allegorie für Sexismus, für Einschränkungen von Frauen
       in ihrer Lebensführung in patriarchal geprägten Gesellschaften wie auch der
       polnischen lässt sich darin lesen, die sich in strikten Rollenmustern, aber
       auch konkreter physischer Bedrohung äußert. Ist es möglicherweise nicht nur
       Rote Bete, die den Inhalt der Gläser rot einfärbt?
       
       Kleine groteske Elemente, surreale Vergrößerungen, zarte Verzerrungen der
       Perspektive laden Jabłońskas Motive auch auf den anderen Bildern dramatisch
       auf, lassen sie fast schon abstoßend anziehend wirken. Da sind mal die
       Hände etwas zu grobschlächtig oder Füße und vor allem die Zehennägel etwas
       zu groß geraten, scheinen die Augen aus dem Gesicht herauszuquellen.
       Emotional verdichtet, wie sie sind, könnte einem etwa Maria Lassnig als
       Referenz einfallen. Nötig ist es nicht, ihre Wirkung entfaltet Jabłońskas
       Malerei auch für sich betrachtet.
       
       ## Als Drohung oder als Versprechen?
       
       Ganz und gar nicht unsichtbar, sondern im Gegenteil wahrscheinlich sehr
       gern gesehen werden und im Mittelpunkt stehen möchte der Mann, der von dem
       Herrenduft „Égoïste“ angezogen werden soll. Das französische Luxuslabel
       Chanel bewirbt diesen auf seiner Website aktuell als einen, dessen
       Verführungskraft auf einem starken, unabhängigen und unergründlichen
       Charakter beruhe und dessen Komposition mit holzig-würzig-ambrierten Noten
       eine einzigartige und faszinierende Persönlichkeit zum Ausdruck bringe.
       
       In der Nase hat man den Geruch des edlen Wässerchens vielleicht nicht
       gleich, wenn man den Namen hört. Eingebrannt ins Gedächtnis aber hat sich
       zweifellos der Werbespot für den Duft aus den 1990er Jahren, in dem ein
       ganzer Hotelpalast voll empörter Damen nach und nach „Égoïste“ rufend die
       Balkontüren zuknallt. Der ungreifbare, rücksichtslose, eben egoistische
       Mann wird in der Kampagne als begehrenswert inszeniert, toxische
       Männlichkeit also geradezu zelebriert.
       
       Schon 1991 benutzte Sylvie Fleury, die sich bekanntlich mit Vorliebe mit
       Luxusartikeln und deren Distinktionsversprechungen auseinandersetzt, den
       Schriftzug des Parfums für ihre Installationen aus Einkaufstüten, später
       auch für Wand- und andere Arbeiten. Sie isolierte diesen vom Produkt
       selbst, reduzierte ihn allein auf dessen Verpackung und Vermarktungs- wie
       Verführungsstrategie.
       
       Nah an dem Werbespot ist die Version, die aktuell bei [2][Sprüth Magers]
       schon von draußen beim Vorbeigehen betrachtet werden kann: 13 Neonarbeiten
       sind im „Window“ verteilt, fast wie die Balkone im Hotel in der Reklame,
       und leuchten abends von dort den Passant*innen entgegen. Als Drohung
       oder als Versprechen? Es liegt im Auge der Betrachter*in.
       
       16 Feb 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.estherschipper.com/exhibitions/1271-how-to-be-invisible-karolina-jabonska/
 (DIR) [2] https://spruethmagers.com/exhibitions/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Beate Scheder
       
       ## TAGS
       
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