# taz.de -- Andreas Spechtl über Rechtspopulismus: „Faschisten wollen umgraben“
       
       > Andreas Spechtl über Rockgitarren auf dem neuen Album seiner Austro-Band
       > Ja, Panik, den Reiz von Grenzorten und das Selbstverständnis von Rich
       > Kids.
       
 (IMG) Bild: Kein böses Omen: Ja, Panik und Andreas Spechtl, zweiter von rechts
       
       taz: Andreas Spechtl, spielen Sie eigentlich gerne Gitarre? 
       
       Andreas Spechtl: Ja, sehr gerne. Ich hab es ein bisschen vernachlässigt die
       letzten Jahre, aber wenn es mit dieser Bandkarriere nichts geworden wäre,
       dann wäre ich wahrscheinlich Gitarrenlehrer oder Musiklehrer geworden.
       Früher hatte ich das auch mal richtig ernsthaft verfolgt und wollte aufs
       Konservatorium. Die alte Leidenschaft habe ich für die neuen Songs wieder
       ein bisschen aufgewärmt.
       
       Ihr neues Album „Don’t Play With The Rich Kids“ fühlt sich auf jeden Fall
       im Vergleich zu den Vorgängern sehr gitarrenlastig an. Warum haben Sie sich
       für diesen rockigen Sound entschieden? 
       
       [1][Den Vorgänger „Die Gruppe“ haben wir nach einer sechsjährigen
       Kunstpause aufgenommen]. Und als es dann 2021 ins Studio ging, hat direkt
       die Pandemie begonnen. Die Musik war sehr stark ausproduziert, da wir kaum
       Zeit gemeinsam verbringen konnten. Der Prozess war sehr hermetisch. Touren
       ging natürlich auch nicht. Das heißt, wir konnten erst anderthalb Jahre
       später wieder richtig gemeinsam in einem Raum Musik machen – und in
       Wahrheit war das eigentlich erst der Moment, in dem wir als Band wieder
       zusammengefunden haben. Mit dieser Live-Energie sind wir dann direkt die
       Songs für das jetzige Album angegangen.
       
       Und der Rocksound? 
       
       Was mich lange am Sound der Gitarre gestört hat, war, dass sie für mich
       immer so authentisch und handgemacht klingt. Dieses Klangbild wollten wir
       unterwandern: Gerade die Gitarren haben wir daher stark verfremdet. In
       Songs wie „Dream 12059“ ist sie digital verzerrt und die Bitrate
       heruntergerechnet, so wie man es eher in der elektronischen Musik macht.
       Das heißt: Die Synthesizer klingen hier eigentlich echter als die Gitarren.
       
       Und dennoch enden Sie das Album im Finale „Ushuaia“ mit einem
       siebenminütigen Gitarrensolo, das man durchaus als „gniedelig“ bezeichnen
       könnte. 
       
       Das ist auf jeden Fall der Moment, der am meisten live ist. Das war so
       ziemlich das letzte, was wir im Studio aufgenommen haben. Ist eigentlich
       aus einem Spaß entstanden, alles war ja eh schon voll mit Gitarren … Dann
       haben wir aus Übermut noch einen 20-Minuten-Jam aufgenommen. Sehr lustig!
       Wir haben uns generell vorgenommen, dass wir auf diesem Album mehr die
       humorige Seite von Ja, Panik durchkommen lassen.
       
       Ist ja auch nicht das erste Mal, dass ein Ja, Panik-Album mit einem
       exzessiven Song endet. Das Finale von „DMD KIU LIDT“ (2011) umfasst 14
       Minuten und 1.300 Wörter. 
       
       [2][Ja, genau das ist unser Spiel mit den Erwartungen.] 
       
       Vielleicht ist der Rocktouch auch ein bisschen zu dick aufgetragen.
       Insgesamt sind Sie sehr vielseitig aufgestellt. Da gibt es zum Beispiel den
       Song „Hey Reina“ mit Ravebeat und Autotune-Gesang. 
       
       Das ist auf jeden Fall das speziellste Stück auf dem Album. Da haben wir
       uns zum ersten Mal mit Stimmeffekten auseinandergesetzt. Früher wäre das
       bei uns wahrscheinlich eine ziemlich punkige Nummer geworden. In der Mitte
       gibt es einen Teil, in dem jemand wie am Spieß schreit, aber halt mit
       Autotune verfremdet. Dann kommt später ein Gospelteil, der plötzlich ganz
       naturalistisch und folkig klingt. Auf jeden Fall eines meiner liebsten
       Stücke, gerade weil es so herausfällt.
       
       Sie befinden sich gerade in Argentinien, richtig? 
       
       Genau, in Córdoba. Ich bin erst vor zwei Tagen hier angekommen.
       
       Dort wurde auch ein Großteil der Songs für das Album komponiert. Wie hat
       über die Entfernung zwischen zwei Kontinenten die Zusammenarbeit mit Ihrer
       Band funktioniert? 
       
       Trennung waren wir ja schon von der Pandemie gewohnt, dass wir auch aus der
       Ferne zusammenarbeiten können. Und auch schon vorher: Bereits bei
       „Libertatia“ (2014) haben wir begonnen, uns immer Demos hin und her zu
       schicken. Das funktioniert bei uns sehr gut.
       
       Besagter Song „Ushuaia“ ist nach der südlichsten Stadt benannt – nicht nur
       von Argentinien, es ist die südlichste Stadt der Welt. Was verbindet Sie
       mit diesem Ort? 
       
       Als ich ihn komponiert hatte, war ich nicht vor Ort. Bis heute war ich da
       nicht. Der Song beschreibt eine geträumte, erfundene Reise. Je mehr ich in
       der Welt herumkomme, desto mehr faszinieren mich Grenzorte. Ich komme
       selber aus einem 300-Einwohner-Kaff in Österreich und konnte von dort zu
       Fuß nach Ungarn gehen. Als ich geboren wurde, war noch der Eiserne Vorhang,
       den konnte man von unserem Haus aus sehen. An diesen Grenzorten ergeben so
       viele unserer Konzepte keinen Sinn mehr: Sprache, Landschaft, Kultur, alles
       verschwimmt und bekommt so einen nichtigen Charakter. So eine Anziehung hab
       ich auch zu Ushuaia, der letzte Grenzort der Welt, vor Antarktika.
       
       Wie hat es Sie überhaupt nach Argentinien verschlagen? 
       
       Also, ich habe mir Argentinien nicht ausgesucht, Argentinien hat eher mich
       ausgesucht. Meine Partnerin arbeitet für den Deutschen Akademischen
       Austauschdienst. Eigentlich hatte sie sich für Mexiko beworben, doch dann
       wurde es Argentinien.
       
       Nun ist der Rechtspopulist Javier Milei, der neue argentinische Präsident,
       Anhänger der wirtschaftslibertären „Österreichischen Schule“. Holt Sie die
       alte Heimat doch irgendwie wieder ein? 
       
       Haha, ja, anscheinend. Bis jetzt sind alle hier sehr gespannt. Ich bin ja
       gerade erst aus Europa wieder hierher zurückgekehrt. Bei meiner letzten
       Abreise wurde Milei gerade gewählt. Der ist auf jeden Fall ein totaler
       lunatic … Unser Freundeskreis ist hier total im Schock. Zum Glück hat er
       keine Mehrheit im Parlament. [3][Und Argentinien hat sehr starke
       Gewerkschaften und eine einflussreiche Frauenbewegung.] Alle
       außerparlamentarischen Bewegungen sind hier historisch gewachsen. Also muss
       man sich erst einmal anschauen, was der wirklich umsetzen kann. Aber es ist
       natürlich für viele Leute hier eine absolute Katastrophe.
       
       Die ganze Welt scheint ob eines erstarkenden Rechtspopulismus in
       Alarmstimmung: Eine Parole Ihres Albums ist „Fascism Is Invisible“. Wie
       kann man das denn heutzutage behaupten? 
       
       Es ging mir um genau das, was alles in den Hinterzimmern passiert. Also,
       all das die Gesellschaft unterwandern wollende Getue der Rechten in den
       letzten Jahren, speziell in Österreich. Und dann hat sich der Titel vor
       zwei Wochen mit der Berichterstattung über das rechtsextreme Geheimtreffen
       von AfD, Unternehmern und Identitären in Potsdam auf sehr unheimliche Art
       und Weise bewahrheitet. Obwohl natürlich dadurch der Faschismus
       mittlerweile überhaupt nicht mehr unsichtbar ist. Aber da ist genau das
       eingetreten, was ich in dem Song anspreche: dass auf Geheimtreffen an der
       Öffentlichkeit vorbei die Gesellschaft umgegraben werden soll.
       
       Ein anderes wichtiges Motiv in den Songs des Albums findet sich direkt im
       Titel: Klassismus allgemein und die „Rich Kids“ im Besonderen. Das ist ja
       eigentlich ein Evergreen für Sie, oder? 
       
       Über Geld reden wir schon lange, etwa beim Albumtitel „The Taste And The
       Money“, (2006). Gegen das Diktum „Über Geld spricht man nicht“ haben wir
       schon immer angeschrien. Das Thema wird beim Älterwerden wichtiger, gerade
       wenn man Musik oder Kunst macht. Als Zwanzigjähriger lebst du noch ein
       Leben gegen die Gesellschaft, ohne Absicherung. Doch gerade bei den Leuten,
       die am lautesten auf die Gesellschaft geschissen haben, wartet dann mit
       Ende 30 die Eigentumswohnung. Aber man sagt ja immer, dass man so schlecht
       von Musik leben kann – und das heißt im Umkehrschluss, dass die, die das
       können, irgendwie abgesichert sind. Deswegen: Spielt nicht mit den reichen
       Kindern. Singt nicht ihre Lieder.
       
       2 Feb 2024
       
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