# taz.de -- Umgang mit der AfD: Wir können so nicht weitermachen
       
       > Fakten gehen nicht so leicht viral, die Framings und Verdrehungen von AfD
       > und Co hingegen schon. Es ist Zeit für ein Umdenken.
       
 (IMG) Bild: Im Gespräch mit Rechten gewinnt oft deren Framing
       
       Ich muss eine kleine Warnung aussprechen: Ich werde jetzt einige Dinge
       fordern und vorschlagen, die mit dem klassischen (Selbst-)Verständnis von
       Journalisten brechen. Aus gutem Grund. Was die deutsche Medienlandschaft
       bisher macht, scheint ja nicht zu funktionieren. Und auch was „wir“ als
       Zivilbevölkerung machen, verpufft irgendwie. Wenn wir etwas verändern
       wollen, müssen wir etwas anders machen. Und 2024 haben wir noch eine Chance
       dazu. Wer weiß, ob sich dieses Fenster nicht bald schließt.
       
       Das sind dramatische Worte, ich weiß. Aber es sind auch dramatische Zeiten.
       Die rechtsextreme AfD würde laut Umfragen zurzeit bundesweit rund ein
       Fünftel aller Wählerstimmen erhalten. In den ostdeutschen Bundesländern
       sogar bis zu jeder dritten. Die AfD aber ist kein normaler demokratischer
       Mitbewerber.
       
       In einem Großteil der Bundesländer wird die Partei [1][vom
       Verfassungsschutz] beobachtet, in dreien gilt sie sogar als gesichert
       rechtsextremistisch. Und spätestens seit [2][den Enthüllungen] der
       Correctiv-Recherchen sickert es durch: Diese Partei bespricht wirklich, den
       Rechtsstaat auszuhebeln, Millionen Menschen [3][zu deportieren], kurz, die
       Demokratie in diesem Land zu beenden und einen weißen Ethnostaat
       einzuführen. Ihre teils widersprüchlichen Relativierungsversuche sollten
       uns nicht länger beschwichtigen. Die Pläne der AfD klingen extrem
       dramatisch, gar unglaublich.
       
       ## AfD-Verbot allein reicht nicht
       
       Aber hier soll es nicht um die Ziele und die Gefährlichkeit dieser Partei
       gehen. Wir können uns darüber totdiskutieren, noch mehr Studien
       durchführen, Analysen anfertigen – bis zur „Machtergreifung“, wie es der
       Ehrenvorsitzende der AfD, Alexander Gauland, einst selbst bezeichnete. Das
       wurde und wird zur Genüge getan. Es soll auch nicht darum gehen, dass die
       wehrhafte Demokratie langsam mal ihre Wehrhaftigkeit zeigen muss, mit den
       vom Grundgesetz gegebenen Mitteln wie [4][einem AfD-Verbot]. Es ist kein
       Geheimnis: Ich setze mich dafür ein, dass das Bundesverfassungsgericht sich
       mit dieser Frage befassen soll.
       
       Aber selbst bei einem erfolgreichen und vermutlich auch notwendigen Verbot
       dieser Partei verschwindet ja nicht das extremistische Gedankengut, das sie
       erst möglich macht und das sie inzwischen schon erfolgreich verbreitet hat.
       Und für die drei Landtagswahlen 2024, ausgerechnet in den ostdeutschen
       Bundesländern, wo diese Partei am stärksten ist, käme dies ohnehin zu spät.
       Nein, wie können wir als Journalisten, Wissenschaftler, allgemein Aufklärer
       die Menschen mit Fakten erreichen, die noch erreichbar sind, um das
       Problem einzudämmen? Was können wir als Zivilgesellschaft machen, wie kann
       jeder von uns seine Stimme hörbar machen?
       
       ## Dauerlügen nicht auch noch erklären
       
       Ich habe etwas Radikales versucht. Ich habe mich gefragt, wie ich auch
       Fakten(checks) viral gehen lassen kann. Wie ich die immer gleichen Fehler
       vermeiden kann: nicht ständig die Mythen zu wiederholen und sie so
       versehentlich zu verstärken; nicht immer so „fair“ zu sein und so zu tun,
       als dürfe man Dauerlügner bei ihrem Wort nehmen, und auch noch zu erklären,
       was sie wirklich meinen; ihre Aussagen und Euphemismen und Lügen
       einzuordnen und einzubetten. Wie kann ich das Framing durchbrechen und zum
       Gegenstand der Diskussion und Analyse machen – um nicht die Diskussionen zu
       führen, die Populisten und Fake-News-Verbreiter ja führen wollen?
       
       Wie kann ich auch mal bewusst mit den Fakten Emotionen nutzen, die nicht
       nur enorm der Reichweite in Social Media helfen, sondern auch den sehr
       emotionalen Lesern Halt geben? Eine emotionale Unwahrheit ist attraktiver
       als eine langweilige Wahrheit, ja. Eine emotionale Wahrheit ist aber noch
       besser. Es bringt uns nichts, wenn wir wissenschaftlich und akribisch
       arbeiten, wenn das dann keiner mitkriegt.
       
       Während wir uns hier Mühe geben, glaubwürdig zu sein, gewinnen Faschisten
       wieder Wahlen mit Lügen. Und selbst wenn wir gehört werden, glauben uns
       viele sowieso nicht, weil die Faschisten längst Lügen über uns streuen.
       
       ## Für Demokratiefeinde wird unsere Integrität zur Waffe
       
       Es kann so nicht weitergehen. Entgegen der versessenen Kritik von rechts,
       dass unser Journalismus nicht „neutral“, nicht „kritisch“ oder nicht
       „ausgewogen“ genug sei, zu „aktivistisch“, zu „meinungslastig“, kommt ein
       nüchterner und wissenschaftsbasierter Blick zum gegenteiligen Ergebnis.
       Auch ich nehme einen Großteil der Journalisten als extrem integer wahr. Die
       Ideale des Journalismus werden allgemein sehr hochgehalten.
       
       Und während das lobens- und bewundernswert ist, wissen Demokratiefeinde
       inzwischen sehr gut, wie sie das zu ihrem Vorteil ausnutzen können. Wie sie
       die edlen Ansprüche der Medien als Waffe gegen diese verwenden können. Wie
       sie Kontroversen inszenieren können, wie sie Berichterstattung forcieren,
       wie sie ihre Kampfbegriffe und Themen zum wichtigsten Debattenpunkt machen
       können.
       
       Von Trollhorden in den Kommentarspalten, die nicht oder nicht genug
       moderiert werden, über Discord-Server, wo Kampfbegriffe und Hashtags
       koordiniert werden, und ein teils von Millionären finanziertes,
       rechtsradikales Mediennetzwerk, das Narrative, Framings und Fake News
       skrupellos und maximal ausschlachtet, bis hin zur AfD, die gezielt
       provoziert, Grenzen überschreitet und unsere demokratischen Institutionen
       ausschließlich dazu missbraucht, Propaganda zu produzieren, und sich sonst
       jeglicher konstruktiver demokratischer Arbeit verweigert – all das „zwingt“
       unser mediales System quasi, sich mit den Themen, Narrativen und
       Forderungen dieser rechtsextremen Ideologen zu beschäftigen.
       
       Sie wissen, dass wir ihnen immer Raum geben werden, ihre Seite
       darzustellen. Sie wissen, dass ihre Grenzüberschreitungen für Klicks und
       Auflage sorgen. Sie wissen, dass wir nicht anders können, als zu versuchen,
       ihre vielen Fehler und Lügen argumentativ zu widerlegen. Denn wir sind
       Demokraten, wir sind fair, wir wollen bei der Wahrheit und den Fakten
       bleiben, und wir möchten zeigen, wo sie inhaltlich falschliegen und wo sie
       die Unwahrheit sagen. Wir wollen nicht übertreiben, wir wollen seriös und
       sachlich sein. Und darum verlieren wir gerade gegen sie.
       
       ## Egal, was wir machen. Es funktioniert nicht
       
       Ich weiß, wovon ich spreche. Mit meinem Blog „Volksverpetzer“ setze ich
       mich seit Jahren für Fakten ein. Ich mache seit 2015 Faktenchecks, ich
       möchte, dass wir einen Diskurs führen, der auf Fakten und Wissenschaft
       beruht. Aber von Jahr zu Jahr sieht es düsterer aus. Wir diskutieren, was
       wahr ist und was nicht. Nicht nur lähmt das jeglichen demokratischen
       Meinungsfindungsprozess. Diejenigen, die grundlegende Fakten und
       wissenschaftliche Ergebnisse kategorisch infrage stellen, versuchen, ihre
       realitätsferne Weltanschauung mit Gewalt und Druck durchzusetzen. Sie
       versuchen, uns mundtot zu machen durch Einschüchterungen und Drohungen,
       aber auch, indem sie ihre Anhängerschaft konstant mit weiteren Lügen
       indoktrinieren, uns als Feinde zu betrachten.
       
       Nicht nur, damit unsere Aufklärung wirkungslos verpufft. Ich mache seit
       Jahren Faktenchecks, liefere Tausende Quellen, Argumente, Einschätzungen
       von Experten. Nicht nur verhallen sachliche, unaufgeregte Artikel
       wirkungslos in Social Media, wo sich die Algorithmen nicht dafür
       interessieren. Die bereits Indoktrinierten lesen maximal die Überschriften
       und gehen dann ohne jegliche sachliche Auseinandersetzung in den Angriff
       über. Viele Journalisten und Faktenchecker kennen das: Man fragt sich,
       warum man das überhaupt macht.
       
       Egal, was wir machen: Es scheint nicht zu funktionieren. Immer mehr
       Politiker erkennen, dass Integrität oder Faktentreue egal sind, wenn man
       Tribalismus und populistische Forderungen ausnutzen kann, um Erfolg zu
       haben. Immer mehr Menschen werden immunisiert gegen seriösen Journalismus,
       gegen Faktenchecks, gegen Argumente. Die AfD gewinnt immer mehr an Zulauf.
       Natürlich mögen daran auch andere Faktoren ihren Anteil haben, die vielen
       Krisen, die innere Zerrissenheit der Ampelkoalition. Dass aber dann
       Menschen ernsthaft glauben, eine faschistische Partei sei eine Alternative
       – es ist ja nicht so, als gäbe es nicht gerade eine Oppositionspartei
       rechts der Mitte für die, die nach so was suchen –, spricht für die massive
       Desinformiertheit in der Bevölkerung. Die Propaganda scheint zu wirken.
       
       Wir als Medienschaffende können nicht so weitermachen wie bisher. Wir
       dürfen nicht mehr den Fake News hinterherlaufen, sie nicht mehr
       wiederholen, selbst wenn wir ihnen widersprechen wollen, wir dürfen nicht
       mehr die Faschisten in die Talkshows einladen, nur um danach verwundert zu
       sein, warum die ganze Aufklärung so wenig bringt. Dafür spricht nicht nur
       unsere Erfahrung, das zeigt auch die Wissenschaft. Eine Wissenschaftlerin,
       mit der ich sprach, forschte bereits nicht mehr darüber, welche Art der
       Faktenchecks besser funktionieren – sie forschte, warum kaum jemand die
       Erkenntnisse umsetzt. Jeder von uns ist gefragt, seine Stimme zu erheben,
       auf die Straße zu gehen, Faktenchecks zu teilen, seinen Abgeordneten zu
       schreiben. Wir müssen der trägen Politik und den trägen Medien mehr Druck
       machen.
       
       Ich fordere, dass wir mehr Werbung für die Wahrheit machen – ohne dabei
       ständig auf die Falschwahrheiten der Demokratiefeinde zu reagieren. Es ist
       mein Appell an die Mehrheit der Medienschaffenden, nicht immer die gleichen
       Fehler zu machen und dazuzulernen: sich nicht immer von reißerischen und
       oft auch einfach gelogenen Bild-Schlagzeilen vor sich her treiben zu
       lassen, aus festgefahrenen Denkstrukturen auszubrechen. Das ist natürlich
       nicht nur die Aufgabe der Medienschaffenden, es ist eine
       gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
       
       Bei den kommenden Wahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen ist es
       wichtiger denn je, dass ordentlicher Journalismus und Fakten den Diskurs
       dominieren. Das wird die AfD nicht verschwinden lassen, aber die Wahrheit
       allein wird sie schon schwächen. Wir müssen extrem schnell dazulernen.
       Sonst haben wir vielleicht wirklich keine Gelegenheit mehr dazu.
       
       10 Feb 2024
       
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