# taz.de -- Debatte um Wehrpflicht: Antreten zum Widerspruch
       
       > Unser Autor hat Soldaten aus der Nähe erlebt, sein Vater war Sanitäter.
       > Gedanken zur Diskussion um die Wehrpflicht aus dem Innersten der Armee.
       
 (IMG) Bild: Nachts knallen die Stiefel schlapp auf die Steinstufen im Treppenhaus des Bundeswehrblocks
       
       Nachts knallen die Stiefel schlapp auf die Steinstufen im Treppenhaus. Der
       Tritt hallt bis hinter die Wohnungs- und Kinderzimmertür. Und ich sitze
       froh und aufrecht im Bett: Mein Papa ist zurück. Alles ist gut. Auch der
       Rest des Hauses dürfte es wissen: Bis heute bin ich fest davon überzeugt,
       dass unser Bundeswehrblock so gebaut wurde, dass alle alles hören, dass wir
       uns gegenseitig kontrollieren. Der Schall verrät, wenn die Soldat*innen
       wieder zu Hause sind, und auch alles andere.
       
       [1][Mein Vater gehörte – das hoffe ich zumindest – zu den Soldat*innen],
       die nicht immer nur gefürchtet wurden. Er war bei den ABC-Truppen als
       Sanitäter. Hat im Ausland Menschen versorgt, die der Krieg töten wollte.
       Manche von ihnen beim Sterben begleitet. Denn gar nicht weit von den
       schweren, pflegenden Schritten meines Vaters, da marschiert der Tod.
       
       Mein Vater [2][war Anfang der 1990er in der iranischen Grenzregion zum
       Irak.] Als er ankam, erzählt er, habe es in der Region noch keine Zelte,
       keine Verpflegung, aber ein Minenfeld gegeben. Was Armeen bringen, lange
       bevor die Sanitäter*innen helfen, ist die Gewalt.
       
       Heute wirkt es auf viele, a[3][ls stünde der Krieg wieder vor „unserer“,
       der deutschen Tür.] Gebracht durch Wladimir Putin. Politiker*innen
       sprechen darüber, die Wehrpflicht wieder zu aktivieren. Ich dachte eine
       Zeit lang, ich will die Wehrpflicht. Sehen, was mein Vater so erlebt hat,
       lernen, was er kann. Ich selbst kenne den Bund nur von Sommerfesten mit
       Tour durch die Kaserne und von Konserven im Keller. Und von den Stimmen der
       Männer aus unserem Block. Zum Glück wurde ich ausgemustert. Die Bundeswehr
       ist – gegeben durch äußere Faktoren, die nicht geändert werden können – ein
       System der Zwänge, der Hierarchie und allein dadurch für viele schon ein
       System der Gewalt. Ich wäre daran zerbrochen.
       
       ## Wir sind gefragt
       
       Aber es bleibt: der Wunsch, ich hätte eben doch gelernt, wie ich mich
       verteidige, meine Familie, meine Wahlfamilie, die Menschen in meinem Haus,
       in meiner Community, in meiner Stadt. Nicht nur vor oder in einem Krieg,
       sondern vor ganz vielen anderen Dingen, bei denen die Bundeswehr nicht
       helfen kann, nicht helfen darf. Die drängendste Gefahr für dieses Land und
       all die Menschen, die darin leben, sind nicht Bomben. Es sind die
       Rechtsextremen, es sind die Ausbeuter, die Lügner, die Demagogen. Es sind
       die Menschenhasser. Und natürlich auch der Klimawandel.
       
       Die Bundeswehr kann, soll Menschen verteidigen, wenn sie mit Waffengewalt
       angegriffen werden. Für all das andere aber sind wir gefragt, nicht die
       Soldat*innen. [4][Die haben oft genug Probleme mit rechten und
       rechtsextremen Kamerad*innen.] Ich habe die Sprüche durchs Treppenhaus
       hallen gehört. Die Bundeswehr zu reformieren hat nicht funktioniert. Junge
       Erwachsene per Wehrpflicht in so ein System zu ziehen, das sich, trotz all
       der korrekten Soldat*innen, nicht gegen rechts wehren kann, ist ein
       Fehler, wenn man diese Menschen nicht vorher gestärkt hat, damit sie
       dagegen angehen können.
       
       Die Bundeswehr komplett abschaffen? Auch nicht möglich. Besonders jetzt.
       Denn auch wenn Putins Waffen nicht bis nach Deutschland kommen, müsste die
       Bundeswehr bereits jetzt – so habe ich den Job meines Vaters immer
       verstanden – jene Menschen schützen, die seit Jahren Schmerz und Tod
       erfahren, Krieg eben.
       
       Wir anderen aber müssen uns um andere Formen des Schutzes kümmern. Wir
       müssen lernen, uns und unsere Mitmenschen zu schützen, wie wir Sandsäcke
       schleppen bei Fluten, wie wir helfen können, wenn wieder gefühlt ganz
       Brandenburg brennt. Wir können in queeren Vereinen Karate lernen, um uns
       und unsere Community auf dem Nachhauseweg vor Gewalt zu bewahren. Wir
       können hacken. Wir können einfach mal dem Nazi in der U-Bahn widersprechen,
       wenn er einen Mitmenschen angreift, uns dazwischen stellen und dann mit
       der* Betroffenen sprechen, damit sie weiß, dass sie nicht allein ist.
       
       ## Alle dürfen mitmachen
       
       Dafür ist es aber notwendig, dass der Staat einer ganz anderen
       Verantwortung nachkommt als der Instandhaltung einer Armee. Die
       Wehrpflicht? Absoluter Humbug, solange der Staat Gelder in der politischen
       Bildung kürzt und so dafür sorgt, dass immer weniger Menschen
       antifaschistisch und demokratisch geprägt werden und so nicht ausreichend
       in den gesellschaftlichen Kampf für Freiheit und Gleichheit einbezogen
       werden.
       
       Für den muss man keine Musterung durchlaufen. Unsere Gelenke, Organe,
       Neurodivergenzen, Allergien und Geschlechter sind dafür egal. Alle dürfen
       mitmachen, sie müssen Skills bekommen. Der Staat baut hier ab. Will per
       Wehrpflicht tödliche Waffen in die Hand von Menschen drücken, die
       eigentlich mit Argumenten und Menschenliebe siegen sollten.
       
       Mein Vater ist nicht mehr beim Bund. Der Block, in dem ich aufgewachsen
       bin, ist schon lange kein Bundeswehrblock mehr. Heute leben darin vor allem
       viele andere Menschen, nur noch ein paar alte Bundeswehrler. Es hallt
       trotzdem im Treppenhaus, alle bekommen alles mit. Auch den Rassismus von
       manchen, die früher Uniform getragen haben. Was hier zu selten hallt: der
       Widerspruch.
       
       6 Mar 2024
       
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