# taz.de -- Arbeitsbedingungen an Universitäten: Gerade noch den Absprung geschafft
       
       > Mitte 40 und immer noch befristet angestellt? An deutschen Unis normal.
       > Drei Forscher sprechen über prekäre Forschung, Kipppunkte und
       > Alternativen.
       
 (IMG) Bild: Würde auch gut an einer deutschen Uni stehen: ein Originalabguss der Skulptur „Der Denker“ von Auguste Rodin
       
       ## Jan Süselbeck, 51, hat nach vielen befristeten Verträgen eine
       unbefristete Professur in Norwegen
       
       Das deutsche Hochschulsystem ist im Eimer. Anders kann ich es nicht
       formulieren. Um hierzulande auf eine unbefristete Stelle zu kommen, muss
       man sehr, sehr viel arbeiten. Wer nicht bereit ist, seine Freizeit zu
       opfern und alles seiner Karriere unterzuordnen, hat eigentlich keine
       Chance. Ich war dazu bereit – und es hat trotzdem nicht gereicht.
       Irgendwann blieb nur mehr das Ausland.
       
       Im Grund war ich immer prekär beschäftigt. In Berlin habe ich promoviert,
       ohne dafür eine Stelle zu haben. Das war eine harte Zeit, die ich mit
       Stipendien und kleinen Jobs überstanden habe. Meine Habilitation in Marburg
       dann habe ich vor allem frühmorgens und an Wochenenden geschrieben. Während
       meiner Arbeitszeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni hatte ich
       dafür keine Zeit. Da habe ich eine Literaturzeitschrift redaktionell
       verantwortet, das war ein Fulltime-Job.
       
       Die genaue Zahl der Verträge, die ich über die Jahre angesammelt habe, kann
       ich nicht nennen, es waren viele. Ständig dreht man sich um die Frage: Wie
       geht es weiter? Wie zahle ich demnächst meine Miete? Die Zweifel, ob ich
       hier richtig bin, sind da ein ständiger Begleiter. Doch irgendwann habe ich
       gemerkt: Es gibt jetzt kein Zurück mehr. Ich habe schon viel zu viel
       investiert. Vor allem wusste ich nicht, was ich sonst machen kann.
       
       Meinen vielleicht größten Tiefpunkt hatte ich im Jahr 2020. Ich war damals
       bereits 47 und hatte wieder mal keine Ahnung, ob und wie es mit meiner
       wissenschaftlichen Karriere weitergehen würde. Zwei-, dreimal hätte es fast
       geklappt mit einer Professur, einmal bin ich auf Listenplatz zwei gelandet.
       Und die Stelle, die ich gerade über den DAAD fünf Jahre in Kanada
       innehatte, konnte leider auch nicht verlängert werden.
       
       Und so bin ich mitten in der Pandemie nach Deutschland zurückgekehrt, nur
       mit einem DAAD-Rückkehrerstipendium für neun Monate, wie gesagt, mit 47
       Jahren. Da fragte ich mich: War es das jetzt endgültig? Die zwölf Jahre,
       die ich laut Gesetz regulär an deutschen Hochschulen befristet angestellt
       sein darf, hatte ich da ja schon längst voll. Das war das
       Worst-Case-Szenario.
       
       In der Zeit habe ich mich (wie schon die Jahre zuvor) intensiv um Stellen
       im Ausland beworben. Ich habe es versucht in Österreich und der Schweiz, in
       Belgien, den Niederlanden, Kanada, den USA, Großbritannien, Irland und
       Skandinavien. 2021 dann hat es tatsächlich noch geklappt. An der Uni
       Trondheim habe ich eine unbefristete Professur erhalten. Seither lebe und
       arbeite ich in Norwegen. Mit Worten ist das kaum zu beschreiben, welche
       Last von meinen Schultern gefallen ist.
       
       ## Marco Valero Sanchez, 36, arbeitet heute in Hannover und Berlin in der
       Personalberatung
       
       Fünf Jahre lang habe ich in der Wissenschaft gearbeitet. In dieser Zeit
       habe ich meinen Körper an den Rand des Abgrunds gebracht. Das klingt
       dramatisch – aber ehrlich gesagt war es das auch. Phasenweise habe ich
       meinen Körper nur mit Medikamenten am Laufen gehalten. Der ganze Stress,
       die ganze Unsicherheit, der ganze Druck haben sich bei mir körperlich und
       mental gezeigt: in Schlafstörungen, Panikattacken, verstärktem Haarausfall.
       
       Ich hatte auch eine mittelschwere Depression. Kurz vor Abgabe meiner
       Promotionsschrift musste ich dann wegen akutem Blut- und Eisenmangel ins
       Krankenhaus. Vom Krankenhausbett aus habe ich noch weitergearbeitet. Ich
       musste ja fertig werden. Wie sehr ich meine Gesundheit diesem System
       untergeordnet habe, kommt mir heute im Rückblick ziemlich absurd vor.
       
       Dazu muss man wissen: Ich habe eine chronische Erkrankung des Enddarms, bin
       Autist und ADHSler. Für mich heißt das, dass ich auf meinen Körper
       eigentlich besonders große Rücksicht nehmen muss. Und dass ich ein Umfeld
       brauche, indem ich barrierefrei arbeiten kann. Doch so wie der
       Wissenschaftsbetrieb derzeit funktioniert, ist das für mich so gut wie
       unmöglich. Ich wusste, nach drei Jahren endet meine Stelle, auch wenn meine
       Betreuerin an dem Forschungsinstitut in Hannover sich wirklich Mühe gegeben
       hat, diverse Anschlussfinanzierungen für mich möglich zu machen.
       
       Der Druck wurde aber auch mit den beiden Verlängerungen – für je ein Jahr –
       nicht kleiner. Irgendwann habe ich dann starke Zweifel bekommen, ob ich mir
       diese Unsicherheit nach der Promotion weiter antun möchte. Ob ich das
       meinem Körper zumuten möchte. Letztlich hat mir ausgerechnet meine
       Forschung geholfen, mich für den Ausstieg zu entscheiden.
       
       In meiner Promotion habe ich untersucht, wie inklusiv das Arbeitsfeld
       Wissenschaft für behinderte und chronisch kranke Akademiker:innen ist.
       Vieles von dem, was ich dort erhoben und ausgewertet habe, ist mir dann
       selbst widerfahren. Das hat mich dann schon ziemlich erschrocken. Dennoch
       war die Entscheidung, die Wissenschaft zu verlassen, nicht einfach. Ich war
       ja schon Mitte 30 und wusste nicht, ob ich als Arbeitnehmer überhaupt
       attraktiv bin für Jobs außerhalb der Uni.
       
       Heute bin ich froh, dass ich den Absprung geschafft habe. Seit knapp einem
       Jahr habe ich nun eine unbefristete Stelle und einen Arbeitgeber, der mir
       bei meinen Bedürfnissen uneingeschränkt entgegenkommt. Beides sind komplett
       neue Erfahrungen für mich. Und ich spüre, wie sehr sich mein Körper seither
       entspannt hat. An manchen Stellen am Kopf wachsen sogar plötzlich wieder
       Haare nach, das hätte ich nicht gedacht. In die Wissenschaft gehe ich
       jedenfalls nicht mehr zurück.
       
       ## Wieland Schwanebeck, 40, arbeitet in Dresden für ein sächsisches
       Ministerium
       
       Es gibt mehrere Gründe, warum ich heute nicht mehr in der Wissenschaft
       arbeite. Einer davon ist, dass ich ausreichend Zeit mit meiner Familie
       verbringen möchte. Mittlerweile habe ich zwei Kinder, und meine Frau
       arbeitet als Lehrerin an einer Grundschule. Meinen Erfahrungen nach wäre
       das Familienleben mit einer vollen Stelle an der Universität auf Dauer
       schlechter vereinbar – jedenfalls wenn man sich dort etablieren und
       [1][seine professorale Eignung nachweisen] möchte.
       
       Ich habe mehr als zehn Jahre an der TU Dresden gearbeitet, habe dort
       promoviert und mich im Anschluss habilitiert. Dabei konnte ich mich in
       vielerlei Hinsicht sehr glücklich schätzen, was das Umfeld, die Betreuung
       und meine Vertragssituation anging – ich wurde dort als wissenschaftlicher
       Mitarbeiter zweimal über jeweils sechs Jahre angestellt, mehr ging nicht.
       Da sich an vielen kleineren Instituten die Arbeit in der Regel aber auf
       wenige Schultern verteilt, verläuft die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit
       in der Regel sehr fließend.
       
       Das macht man als junger Wissenschaftler aus ehrlicher Begeisterung fürs
       eigene Fach heraus auch mit, umso mehr, wenn man Teil eines Teams ist, wenn
       man einen großen Vertrauensvorschuss bekommt und fürs eigene Fach und die
       Lehre brennt. Aber dass es keine festen Wochenenden und insgesamt wenig
       Freizeit gibt, ist schwer mit dem Familienleben unter einen Hut zu bringen.
       
       Wer sich als junger Wissenschaftler einen Namen machen möchte, akzeptiert
       das in der Regel – und ich selbst habe in dieser Hinsicht auch nicht zu
       leiden gehabt. Aber fürs Familienleben wäre es auf Dauer eine Zumutung,
       wenn man sich immer nur schlechten Gewissens Zeit freischaufelt, weil im
       Hinterkopf immer noch ein Projektantrag oder ein Aufsatz herumspukt, an dem
       man eigentlich gerade schreiben könnte. Diese Trennung kriegen andere
       Kolleginnen und Kollegen natürlich auch hin, aber mir ist sie sehr
       schwergefallen. Eine Zeit lang habe ich meine Dienst-Mails der Einfachheit
       halber in meinen privaten Posteingang umgeleitet, mir kam das ganz normal
       vor.
       
       Es gibt aber noch andere Gründe, die mein Bild über den Arbeitgeber
       Hochschule ins Wanken gebracht haben. Allen voran der zunehmende
       Stellenwert von Drittmitteleinnahmen. Wenn man in einer Berufungskommission
       sitzt und dann erlebt, dass das Engagement in Lehre und Forschung gegenüber
       dem Drittmittelaufkommen generell die zweite Geige spielt, schluckt man
       daran schon ein wenig schwer.
       
       Natürlich sind Forschungskooperationen und Projekte nicht unwichtig, um die
       Eignung der Bewerber festzustellen. Aber es führt auch dazu, dass viele
       Forschungsvorhaben vor allem daran ausgerichtet werden, was aktuell als
       förderfähig gilt – und junge Wissenschaftler müssen sich damit arrangieren,
       dass ihr berufliches Fortkommen in der Hand einiger weniger
       Fördereinrichtungen liegt, deren Entscheidungen nur wenig transparent sind.
       All das hat mich daran zweifeln lassen, ob mein Platz wirklich dauerhaft in
       der Wissenschaft ist. Gerade weil das Lehrengagement in den
       Berufungsverfahren eine eher untergeordnete Rolle spielt.
       
       Dazu kommt eine an den Unis aus der Zeit gefallene Einstellung zum Thema
       Dauerstellen. Die Unterstellung, dass Jobsicherheit innovationsfeindlich
       ist oder Menschen dazu verleitet, das Arbeiten einzustellen, scheint mir
       dort recht verbreitet. Das finde ich weltfremd. All diese Punkte haben
       irgendwann dazu geführt, dass ich mir eine andere Arbeit gesucht habe –
       auch wenn mir das nicht leicht gefallen ist.
       
       Seit bald drei Jahren bin ich jetzt raus aus der Wissenschaft. Ab und an
       bedaure ich das auch noch, vor allem das Unterrichten fehlt mir.
       Gleichzeitig weiß ich: So viel wie jetzt hätte ich mich vor vier, fünf
       Jahren nicht um meine Kinder kümmern können. Und mir macht meine neue
       Arbeit Spaß, auch wenn sie nur wenig mit meiner früheren Tätigkeit als
       Wissenschaftler zu tun hat.
       
       17 Apr 2024
       
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