# taz.de -- Illegalisierte Seenotrettung: Iuventa-Crew wird nicht bestraft
       
       > Ein Gericht in Trapani will keine Haupverhandlung gegen angeklagte
       > Seenotretter:innen mehr führen. Es folgt dem Antrag der
       > Staatsanwaltschaft.
       
 (IMG) Bild: Damals noch kein Haufen Rost: Das Schiff „Iuventa“ der NGO Jugend rettet bei einem Einsatz 2016 vor der libyschen Küste
       
       BERLIN taz | Das Gericht im sizilianischen Trapani hat am Freitag das
       Verfahren gegen die Crew des deutschen Seenot-Rettungsschiffs Iuventa
       abgewiesen. Der auf seit 2017 laufenden Ermittlungen fußende Prozess war
       der bisher größte gegen Seenotretter:innen in der EU. Den Angeklagten
       war Schlepperei vorgeworfen worden, ihnen drohten Jahrzehnte Haft.
       
       „Unser Fall ist ein Symbol für die Strategien, die europäische Regierungen
       ergreifen, um Menschen daran zu hindern, sich in Sicherheit zu bringen“,
       sagte der Angeklagte Sascha Girke. Die „fehlerhaften, politisch motivierten
       Ermittlungen“ hätten zur Folge gehabt, dass Menschen im Mittelmeer
       gestorben seien oder gewaltsam ins kriegsgebeutelte Libyen zurückgeschickt
       wurden. „Währenddessen wurde unser Schiff dem Verfall überlassen, und wir
       wurden in ein jahrelanges Verfahren hineingezogen.“ Das Verfahren sei Teil
       einer „öffentlichen Diffamierungskampagne gegen die zivile Seenotrettung“
       gewesen, die darauf abzielte, das harte Vorgehen gegen Rettungsaktivitäten
       zu legitimieren.
       
       Die Einstellung hatte sich indes bereits nach einer Anhörung im Februar
       abgezeichnet – der letzten von insgesamt 40. Dabei hatten die drei
       Haupt-Belastungszeugen sich an ihre ursprünglichen Aussagen nicht erinnern
       können. Es handelte sich dabei um drei ehemalige Polizeibeamte, die 2017
       für eine private Sicherheitsfirma mit Verbindungen zur rechtsextremen
       Identitären auf einem anderen Rettungsschiff im Einsatz waren. Auf ihren
       ursprünglichen Aussagen fußte die Anklage, die der Iuventa-Crew unter
       anderem vorgeworfen hatte, mit libyschen Schlepperbanden zusammengearbeitet
       zu haben. Die Angeklagten hatten dies stets zurückgewiesen.
       
       [1][Nach der Anhörung im Februar kam die Staatsanwaltschaft zu dem Schluss,
       der Sachverhalt stelle „kein Verbrechen dar“, die Haupt-Belastungszeugen
       seien „unglaubwürdig“]. Das 2017 beschlagnahmte Schiff sei wieder
       freizugeben. Ein Vertreter des italienischen Innenministeriums, das im
       Verfahren als Nebenkläger aufgetreten war, hatte erklärt, die Entscheidung,
       ob ein Hauptverfahren durchgeführt wird, sei dem Gericht überlassen.
       
       ## 14.000 Menschen gerettet
       
       Das Verfahren dreht sich um zwei Rettungseinsätze: im September 2016 in
       libyschen Hoheitsgewässern und im Juni 2017 in internationalen Gewässern.
       Dabei wurden insgesamt 404 Schiffbrüchige zunächst an Bord der Iuventa der
       deutschen NGO Jugend Rettet genommen. Später wurden sie mit zwei Schiffen
       der NGOs Ärzte ohne Grenzen und Save The Children nach Italien gebracht.
       
       Die Staatsanwaltschaft hat dies als Schlepperei ausgelegt. Sie warf den
       Beschuldigten vor, „in krimineller Absicht (…) Ausländer zum Zweck der
       illegalen Einreise transportiert zu haben“. Neben den Haftstrafen drohten
       den Angeklagten bis zu 15.000 Euro Geldbuße pro nach Italien gebrachter
       Person. Insgesamt haben die Aktivist:innen der „Iuventa“ 2016 und 2017
       etwas mehr als 14.000 Menschen aus dem Wasser gerettet. Sechzehnmal war das
       Schiff dafür ausgelaufen. Bei rund der Hälfte dieser Missionen waren die
       Angeklagten beteiligt.
       
       Im August 2017 hatte die Staatsanwaltschaft Trapani die Iuventa
       beschlagnahmt.
       
       Das Urteil werde „einen Präzedenzfall für künftige Fälle schaffen“, hieß es
       beim European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin,
       das die 2022 begonnene Vorverhandlung in Trapani verfolgt hatte. Die
       Entscheidung gehe „über die direkt angeklagten Personen hinaus und betrifft
       die gesamte zivile Seenotrettung als wichtige Säule der Solidarität mit
       Menschen auf der Flucht“, so das ECCHR.
       
       Elisa De Pieri vom Amnesty International sagte, die Angeklagten seien
       Lebensretter und trotzdem „seit Jahren auf beschämende Weise durch die
       italienischen Gerichte geschleift“ worden. Die Staatsanwaltschaft habe
       „astronomisches Unrecht wiedergutmachen und das furchtlose Handeln der
       Besatzungsmitglieder anerkennen“ müssen, die ihr eigenes Leben aufs Spiel
       setzten, um andere zu retten. „Die Arbeit der Iuventa-Besatzung und
       anderer, die Such- und Rettungsaktionen auf See durchführen, sollte niemals
       kriminalisiert werden“, so De Pieri.
       
       ## Kriminalisierung nimmt zu
       
       Nach jüngsten Berichten der NGOs Borderline Europe und Picum nimmt die
       Kriminalisierung von Helfer:innen und Geflüchteten in der EU stark zu.
       Humanitäre Hilfe werde von der Justiz wie Schlepperei eingestuft. Besonders
       harte Strafen drohten Geflüchteten, denen die Beihilfe zur illegalen
       Einreise anderer Geflüchteter vorgeworfen werde, etwa durch das Steuern
       eines Bootes.
       
       Am Montag verhandelt ein Gericht in Thessaloniki erneut über den Fall des
       krebskranken Iraners Homayoun Sabetara, dem Menschenschmuggel vorgeworfen
       wird. Er wurde 2022 zu 18 Jahren Haft verurteilt, weil er von Schleppern
       gezwungen worden war, einen Kleinbus mit anderen Geflüchteten aus der
       Türkei nach Griechenland zu steuern. Sabetara war selber auf der Flucht.
       Menschenrechtsorganisationen berichten seit langen, dass bei jedem Auto
       oder Boot, das ankommt, mindestens eine Person verhaftet und des Schmuggels
       beschuldigt wird.
       
       19 Apr 2024
       
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       14.000 Menschen gerettet hat. Im rechten Italien keine
       Selbstverständlichkeit.