# taz.de -- Umgang mit der Klimakrise: Wie viele Kippen darf ich noch?
       
       > Klimaschutz ist rational – eigentlich. Aber unsere Reaktion auf die
       > Klimakrise ist es nicht. Wo wir deshalb jetzt über Klimagefühle sprechen
       > müssen.
       
 (IMG) Bild: Treibhausgas-Emissionen raushauen, das ist so irrational wie rauchen: „Frau Doktor, wie viele Kippen darf ich noch rauchen?“
       
       In einer Zeit extremer Wetterkatastrophen, juliartiger
       Meeresoberflächentemperaturen im Februar und eskalierender Klimawarnungen
       sollte klar sein: Es ist eminent vernünftig, das Klima zu schützen. Es ist
       sinnvoll, die Erderhitzung zu begrenzen – ethisch, wirtschaftlich,
       gesundheitlich, eigentlich aus allen Perspektiven. Mit Ausnahme rechter
       Spinner widerspricht dem hierzulande auch fast niemand mehr.
       
       Trotzdem schützen wir das Klima nicht, feiern das Abschalten von drei
       Kohlekraftwerken, während wir den Ausbau fossiler Infrastrukturen in Form
       von Flüssiggas-Terminals vorantreiben, die noch 50 Jahre fossiles Gas
       verbrennen werden. Das hat natürlich mit den knallharten, rationalen
       Interessen fossiler Player zu tun. Aber die operieren auch nicht im
       luftleeren Raum. Die deutsche Mehrheitsgesellschaft steht Seit’ an Seit’
       neben ihnen. Mitten im Klimakollaps erleben wir ein gesellschaftliches
       Abwenden vom Klimaschutz, ein „nee, wir haben’s versucht, hat nicht
       geklappt – lass ma was anderes machen“.
       
       Die Einsicht, dass Menschen auch dann nicht rational auf eine Bedrohung
       reagieren, wenn sie selbst betroffen sind, ist wichtig. Seit jeher gehen
       nämlich klimapolitische Strategien davon aus, dass [1][die reichen
       Externalisierungsdemokratien des Nordens], die üblicherweise demokratisch
       entscheiden, anderen ihren spätimperialen Müll aufzubürden, erst dann
       rational auf die Klimakrise reagieren, wenn diese sie selbst betrifft.
       
       Allein, der Hitzesommer 2018 mit seinen Tausenden Todesfällen kam und ging,
       dito die Flut im Ahrtal, und anstelle von mehr Klimaschutz bekamen wir 2022
       eine Moralpanik ob der Letzten Generation, der „diktatorischen“
       Klimabewegung, und überhaupt „FREIHEIT!!!“. Daraus lässt sich die Hypothese
       ableiten, dass mehr Klimakrise nicht zu mehr Klimarationalität führt,
       sondern zum Gegenteil – zu mehr Verdrängung, zu immer offensichtlicherer
       Irrationalität, zu einem zunehmend verrohten, verdummten „Klimadiskurs“.
       
       ## Angst macht irrational
       
       Warum aber macht mehr Klimakrise uns qua Betroffenheit nicht rationaler,
       sondern irrationaler und dümmer?
       
       Erstens, weil wir uns nur ungern mit eigenem Scheitern auseinandersetzen,
       und am Klimaschutz sind wir gescheitert. Zweitens, weil wirklicher
       Klimaschutz unsere Bequemlichkeit und Privilegien in Frage stellen würde
       (ein [2][klimagerechtes Deutschland] wäre ein materiell ärmeres
       Deutschland).
       
       Drittens, weil der Klimakollaps uns riesige Angst macht. Ich meine hier
       weniger die Angst vor konkreten Folgen der Erderhitzung. Ich meine die
       Angst, dass es die Zukunft des materiellen Überflusses, die uns die
       europäische Moderne versprochen hat, nicht mehr gibt, nicht mehr geben
       kann. Diese Zukunft, in der wir uns aus dem Reich der Notwendigkeit und
       Naturgebundenheit ins Reich der Freiheit und des Überflusses
       hineinproduzieren, in der die nächste Generation mehr Zeugs und deswegen
       auch mehr Freiheit hat, als jede zuvor. Die Klimakrise stellt also nicht
       nur die eigene Zukunft in Frage – sie stellt die „Zukunft“ an sich in
       Frage, das Versprechen, dass diese stets besser ist als die Vergangenheit.
       
       ## Das Irrationale ist politisch
       
       Um uns der Klimakrise realistisch zu stellen, müssten wir anerkennen, dass
       schon die nahe Zukunft völlig anders aussehen wird, als wir uns das die
       letzten 75 Jahre gedacht haben. Dass die Welt sehr schnell viel härter,
       brutaler, amoralischer werden wird. Und es ist um ein Vielfaches leichter,
       dieses Wissen zu verdrängen, als es zu akzeptieren.
       
       Vor der politischen Arbeit der Klimatransformation steht also die
       emotionale Arbeit eines Trauerprozesses: Wir müssten akzeptieren, dass
       vieles Gute jetzt schwieriger und weniger werden wird. Dieser Arbeit
       entziehen wir uns, entziehen sich auch kluge Menschen [3][wie Peter
       Unfried], wenn er schreibt, es bräuchte nur ein bisschen Markt, ein
       bisschen Mitte, und ein bisschen Merkelismus – schwups wäre das Klima
       geschützt.
       
       Wir haben es hier mit einem blockierten Trauerprozess zu tun, der sich
       weniger mit politikwissenschaftlichen Modellen verstehen lässt als mit dem
       aus der Krebstherapie stammenden Bild der „Phasen der Trauer“: Leugnung,
       Zorn, Verhandlung, Depression und, mit Glück, am Ende Akzeptanz.
       
       ## Phasen der Klimatrauer
       
       Szenario: Wir, die reichen Länder der Welt, bekommen die Diagnose, wegen
       unseres jahrhundertelangen Konsums fossiler Brennstoffe an fossilistischem
       Lungenkrebs zu leiden. Wie reagieren?
       
       Zuerst leugnen wir das Ausmaß des Problems sowie unserer eigenen
       Verantwortung dafür und stellen die Diagnose in Frage.
       
       Wenn wir aber immer wieder darauf hingewiesen werden, dass wir unsere Leben
       radikal verändern müssen, um zu überleben, werden wir wütend – eigentlich
       auf uns und die Krankheit, aber wir projizieren das dann auf die vor uns
       sitzende Kassandra.
       
       Dann folgt das Verhandeln: „Wie wäre es, wenn ich andere dafür bezahle, für
       mich die Chemo zu machen?“ (Klimakompensation/Emissionshandel) Oder wenn
       wir berechnen, wie viel Treibhausgasemissionen noch gerade so okay sind
       – in unserem Beispiel: „Frau Doktor, wie viele Kippen darf ich noch
       rauchen?“
       
       Und weil natürlich die Klimakatastrophe trotzdem ständig voranschreitet,
       und wir uns unseres Scheiterns trotz aller Verdrängung jeden Tag bewusst
       sind, gibt es immer mehr Depression, weil die Situation unabänderlich
       erscheint, illustriert von ständigen Hitzetoten, Überschwemmungen,
       Waldbränden.
       
       Die fünfte und letzte Phase steht bei den meisten noch aus: Akzeptanz. Der
       Tatsache, dass all unsere Leben sich massiv und rapide ändern werden. Das
       ist keine Frage von Informationen über die Vorteile von Klimaschutz – denn
       alle, die wollen, haben längst Zugang zu diesen Infos.
       
       Stattdessen brauchen wir einen kollektiven Trauerprozess. Den können nicht
       die wenigen leisten, die sich jetzt schon in Aktivismus, Medien und Politik
       mit der Klimakrise befassen. Warum nicht [4][im Alpenverein] über
       Klimagefühle sprechen, wo [5][der Gletscherschwund] offensichtlich ist?
       Oder bei der Freiwilligen Feuerwehr, die die Brände in ohnehin völlig
       verdorrten Wäldern löscht? Dann könnte es auch wieder mit der
       Rationalität in der Klimapolitik klappen.
       
       25 Apr 2024
       
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