# taz.de -- Höcke-Prozess wegen SA-Parole: Ausreden eines Geschichtslehrers
       
       > Höcke nutzt NS-Vokabular, um erinnerungspolitische Grenzen zu verschieben
       > und die NS-Zeit zu relativieren. Jetzt wird ihm der Prozess gemacht.
       
 (IMG) Bild: Große Flagge, nix dahinter: Björn Höcke bei einer Demo vor dem Thüringer Landtag im März
       
       BERLIN taz | Es war ein bemerkenswerter Wortwechsel, den sich
       Rechtsextremist Björn Höcke (AfD) mit dem Multi-Milliardär und Twitter-Chef
       Elon Musk vor einer Woche auf der Plattform X geliefert hat: Der
       AfD-Landesvorsitzende aus Thüringen opferte ganz undeutsch auf Englisch auf
       der Plattform herum, dass ihm der Prozess gemacht werde. Was man als
       Rechtsextremist halt so sagt, wenn man [1][verbotene SA-Parolen] wiederholt
       hat. Überraschend jedoch war, dass Musk dem deutschen Rechtsextremisten
       tatsächlich antwortete und wissen wollte, was er gesagt habe und warum das
       strafbar sei.
       
       Höcke nutzte die internationale Bühne und versuchte die Agenda für seinen
       am Donnerstag in Halle anstehenden Gerichtsprozess zu setzen, bei dem er
       wegen mehrfacher Verwendung des SA-Spruchs „Alles für Deutschland“
       angeklagt ist. „In Deutschland wird jeder Patriot als Nazi diffamiert“,
       antwortete Höcke Musk auf X, „das soll verhindern, dass Deutschland sich
       wieder findet“.
       
       Was er mit „wieder finden“ meint, daran ließ er stets wenig Zweifel: Höcke
       ist bekannt geworden mit NS-relativierenden Tabubrüchen und
       erinnerungspolitischen Grenzverschiebungen – ob es nun die [2][offenkundig
       bewusste Verwendung von NS-Sprech] mit Wörtern wie „Tat-Elite“ ist oder die
       Forderung einer [3][„erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“]. Auf Höckes
       Antwort reagierte Musk bislang nicht.
       
       Der Chatverlauf könnte ein Vorgeschmack sein auf das, was die
       Öffentlichkeit im Hochsicherheitssaal des Justizzentrums Halle ab
       Donnerstag erwarten dürfte. Zahlreiche Medienvertreter*innen sind
       für den Prozess akkreditiert, es ist sogar ein zusätzlicher Mediensaal
       eingerichtet.
       
       Gut möglich, dass Höcke seinen Strafprozess, bei dem er als Angeklagter
       persönlich erscheinen muss, auf diese Weise sogar als Wahlkampfbühne nutzen
       will. Diesen Eindruck hinterließ der Rechtsextremist zuletzt auch [4][beim
       TV-Duell] mit dem CDU-Spitzenkandidaten Mario Voigt, als er bei Welt-TV die
       SA-Parole vor einem Millionenpublikum als „Allerweltsspruch“ verharmlosen
       durfte.
       
       Die Telekom hätte doch auch schon „Alles für Deutschland“ in der Werbung
       benutzt, behauptete Höcke, ebenso hätte der Spruch an einer Feuerwache im
       brandenburgischen Jänschwalde gestanden. Tatsächlich bestreitet die Telekom
       das und will rechtlich gegen Höcke vorgehen und der Spruch an der Feuerwehr
       wurde erst 1935 angebracht, als die Nazis schon an der Macht waren.
       
       ## Höcke in bester NS-Gesellschaft
       
       Höckes Agendasetting wird noch haarsträubender, wenn man sich anschaut, wer
       historisch so alles den Satz „Alles für Deutschland“ benutzt hat. Allen
       voran etwa die bei den Nürnberger Prozessen verurteilten
       Hauptkriegsverbrecher des Nationalsozialismus: So sagte [5][Wilhelm
       Keitel], der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, bevor er gehängt wurde:
       „Alles für Deutschland“.
       
       Der Stellvertreter Adolf Hitlers, [6][Rudolf Heß, sagte bei einer
       Fahnenweihe]: „Sie sollen wehen als Mittelpunkt des Deutschtums und Euch
       mahnen und Euch Kraft geben, Euer Leben dem Gedanken unterzuordnen: Alles
       für Deutschland!“, und [7][Alfred Meyer], Teilnehmer der Wannseekonferenz
       1942, auf der der Holocaust organisiert wurde, sagte nach dem missglückten
       Stauffenberg-Attentat: „Kapitulieren niemals! Alles für Deutschland! Alles
       für unseren Führer Adolf Hitler!“ [8][Die Liste ließe sich verlängern].
       
       Höcke hat den SA-Spruch, soweit bekannt, erstmals öffentlich am Ende einer
       Wahlkampfrede 2021 im sachsen-anhaltinischen Merseburg benutzt. Im Dezember
       2023 wiederholte er die Parole indirekt. Bei einer Rede forderte er sein
       Publikum in Gera dazu auf, die Parole zu verwenden: Höcke beklagte sein
       Verfahren wegen der Parole „Alles für …“ und forderte das Publikum per
       Handgeste auf, den SA-Spruch zu vervollständigen. Das Publikum antwortete
       lauthals: „… Deutschland!“
       
       Auch dieses Ereignis hat das Gericht letzte Woche in die Anklage
       aufgenommen. Ursprünglich war Höcke nur für seine erste Verwendung
       angeklagt, mit der Wiederholung der Parole dürfte er sich aus
       strafrechtlicher Sicht keinen Gefallen getan haben, ebenso wenig durch
       seine Social-Media-Ausführungen.
       
       Der Historiker Martin Sabrow [9][sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland]
       zur Verwendung der SA-Losung, die diese ab 1934 auf „Ehrendolche“ prägte:
       „Höcke spielt mit der provokanten Doppeldeutigkeit dieser Losung, die ihre
       eigentliche Gewalthaftigkeit erst performativ, also im Kontext ihrer
       Verwendung als pathetischer Slogan entfaltet.“ Aus seiner Sicht sei schwer
       zu sagen, ob das Merseburger Publikum der Wahlkampfrede Höckes die giftige
       Einbindung in einen harmlos scheinenden Appell bewusst wahrnahm – „gewiss
       aber taten es die Hörer, die in Gera Höckes skandierte Parole in
       begeistertem Echo vollendeten.“
       
       ## Anklage ließ auf sich warten
       
       Strafrechtler hatten sich darüber gewundert, dass die
       [10][Staatsanwaltschaft für die Anklage so lange gebraucht hatte] – denn
       strafrechtlich ist der Fall nicht wirklich kompliziert oder umstritten. Der
       Ex-BGH-Richter Thomas Fischer nannte die lange Verfahrensdauer
       „ungewöhnlich“, auch der Strafrechtsprofessor Mohamad El-Ghazi zeigte sich
       verwundert. Schließlich sei es für einen Rechtsextremisten und
       Geschichtslehrer schwierig, sich auf historisches Nichtwissen zu berufen.
       
       Auch wenn Höcke das voraussichtlich tun will, scheint das wenig
       überzeugend: So gab es im Kontext mit der AfD bereits 2017 eine breite
       Debatte um dieselbe SA-Losung im Zusammenhang mit der AfD. Damals hatte der
       AfD-Politiker Ulrich Oehme die Parole auf Plakate gedruckt. Oehme
       überklebte die Plakate nach einer Strafanzeige und breiter medialer
       Berichterstattung.
       
       Und auch die Frage der Strafbarkeit gilt als geklärt: Es gibt bereits ein
       [11][Urteil des Oberlandesgerichts Hamm von 2006] zu einem ähnlichen
       Sachverhalt. Das Gericht verurteilte eine Person, weil diese exakt die
       Losung „Alles für Deutschland“ verwendet hatte. Auch der
       [12][wissenschaftliche Dienst des Bundestags] sieht „das Verwenden der
       Sentenz 'Alles für Deutschland im Rahmen einer Rede auf einer Versammlung“
       als einen „strafbaren Ausspruch“ an – „da es sich hierbei um die Losung der
       SA handelte“. Strafbar ist das Verwenden von Kennzeichen
       verfassungswidriger und terroristischer Organisationen nach Paragraf 86a
       mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe.
       
       Sogar sein passives Wahlrecht kann Höcke durch den Prozess eventuell
       verlieren, wie mittlerweile eine Gerichtssprecherin angab. Wenn er zu
       mindestens sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wird, könnte ihm das
       Gericht auch das aktive und passive Wahlrecht absprechen. Eine
       [13][Petition mit 1,7 Millionen Unterschriften] fordert derzeit, dem
       Rechtsextremisten das Wahlrecht zu entziehen.
       
       Korrektur, 19.4.: In einer früheren Version des Artikels hieß es
       fälschlich, dass Höcke sein passives Wahlrecht durch den Prozess nicht
       verlieren könne. Das haben wir korrigiert.
       
       17 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__86a.html
 (DIR) [2] https://www.diss-duisburg.de/2016/11/zur-ns-rhetorik-des-afd-politikers-bjoern-hoecke/
 (DIR) [3] /Bjoern-Hoeckes-Dresden-Rede/!5372797
 (DIR) [4] /TV-Debatte-von-Hoecke-und-Voigt/!6001296
 (DIR) [5] https://www.spiegel.de/panorama/zeitgeschichte/nuernberger-prozesse-der-tod-durch-den-strick-dauerte-15-minuten-a-459977.html
 (DIR) [6] https://diglib.uibk.ac.at/download/pdf/3963103?name=2981938
 (DIR) [7] https://www.zellentrakt.de/downloads/materialien/Chronik_der_Stadt_Herford_1944.pdf
 (DIR) [8] https://twitter.com/ostdivan/status/1736768956122407328
 (DIR) [9] https://www.rnd.de/politik/bjoern-hoecke-worum-es-im-naziparolen-prozess-geht-HVG5YTQXVBEM7I6KSPI7L6FPZM.html
 (DIR) [10] /AfD-Politiker-zitierte-SA-Losung/!5906821
 (DIR) [11] https://openjur.de/u/110702.html
 (DIR) [12] https://www.bundestag.de/resource/blob/869290/c8bd5f14ef172eb76e41484886611030/Das-strafbare-Verw-von-Kennzeichen-data.pdf
 (DIR) [13] https://aktion.campact.de/weact/hocke-stoppen/teilnehmen
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gareth Joswig
       
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