# taz.de -- Filmkunstfest Schwerin: Von der Kunst und dem Überleben
       
       > Beim 33. Filmkunstfest in Schwerin zeigen drei Dokumentarfilme die Mühen
       > von Künstler*innen in der sogenannten Provinz.
       
 (IMG) Bild: „Dann gehste eben nach Parchim“: Die Nicht-mehr-Schauspielstudentinnen Gesa und Arikia haben ein erstes Engagement bekommen
       
       BREMEN taz | „Dann gehste eben nach Parchim“: Einen passenderen Titel hätte
       man kaum finden können. Diesen Satz – oder einen sehr ähnlichen – haben
       wohl die meisten [1][Schauspieler*innen] am Beginn ihrer Karriere schon
       mal gehört: Wenn die großen Theater, die Häuser in den Metropolen dich
       nicht haben wollen – dann geh in die Provinz!
       
       Genau an diesem Scheidepunkt stehen die beiden jungen Schauspielerinnen
       Gesa und Arikia am Anfang von [2][Dieter Schumanns nun so betiteltem
       Dokumentarfilm]: Beide haben ihren Abschluss an einer Schauspielschule in
       Hamburg gemacht, nun packen sie ihre Sachen Richtung
       Mecklenburg-Vorpommern, in die Kreisstadt Parchim. Am dortigen
       Landestheater haben sie ihre ersten Engagements bekommen.
       
       Zwei Jahre lang hat Schumann sie mit der Kamera begleitet – durch die
       Coronazeit mit abgebrochenen Proben zu Stücken wie „Die Nibelungen“ und
       „Antigone“. Mit den beiden lernt man im Laufe des Films – zu sehen beim
       Filmkunstfest Schwerin nun zwei Mal am 2. sowie nochmals am 4. Mai – auch
       dieses Theater kennen, mit all seinen Gewerken, den Schauspieler*innen,
       verschiedenen Regisseur*innen, dem Requisiteur und einem Intendanten, der
       so gar nicht dem Klischee vom „Herren des Hauses“ entspricht.
       
       Die Kamera ist immer nah dran, sowohl an den beiden jungen Frauen, die sich
       mit der Zeit zunehmend öffnen und von ihren Hoffnungen und Ängsten
       erzählen. Aber auch am Mikrokosmos Theater selbst: Da kann man mit ansehen,
       wie eine Inszenierung von der ersten Lesung bis zur Premiere langsam
       Gestalt annimmt, wie bei den Proben um einzelne Gesten gerungen wird – und
       wie damit umgegangen, dass direkt vor dem Haus die rechtsextreme NPD
       Wahlkampf macht.
       
       Deutlich wird auch, mit welchem Engagement, mit welcher Leidenschaft hier
       für die Kultur gekämpft wird – und dass „Provinz“ nicht automatisch
       „zweitklassig“ bedeuten muss. Wie zum Beweis ließ Schumann die Filmmusik
       von zwei Parchimer Theaterleuten komponieren und einspielen: Julian Diez
       arbeitet als Schauspieler im Theater, ist aber auch Pianist. Und
       Requisiteur Björn Pauli ist nebenbei ein erstaunlich guter Schlagzeuger. Es
       sind also auch an so einem Theater genügend Talente versammelt, um so einen
       Film auf allen Ebenen aus eigenen Kräften zu „bespielen“.
       
       Parchim, das steht hier auch für Mecklenburg-Vorpommern insgesamt, eines
       der ärmeren Bundesländer. Im Vergleich mit den norddeutschen
       Filmförderinitiativen Moin (Schleswig Holstein und Hamburg) und Nordmedia
       (Bremen und Niedersachsen) sind die Fördersummen für Filmprojekte in
       Mecklenburg-Vorpommern (MV) gering, und so werden dort auch weniger Filme
       produziert.
       
       Ein Indiz: Von den fünfzehn Filmen in der Programmschiene „ Gedreht in MV“
       des Filmkunstfests Schwerin sind gleich vier schon älter als neun Jahre –
       und nicht alle überhaupt von der Filmförderung MV mitfinanziert worden.
       
       Ganz ohne Fördermittel hat etwa Veronika Emily Pohl den Musik- und
       Reisefilm „Im Fluss der Musik – auf Floßtour mit der Band Schwester“
       gemacht [3][(zu sehen nun am 1., 3. und 5. Mai)]. Sie hat das Drehbuch
       geschrieben, selbst die Kamera geführt und das Material geschnitten. Der
       mithin lupenreine Autorinnenfilm beginnt wiederum mit zwei jungen
       Frauen, die von Hamburg aus nach Osten aufbrechen. Hier sind es die
       Musikerinnen Meike und Auline, die zusammen die Band „Schwester“ gegründet
       haben und sich auf eine Konzerttour auf dem vorpommerschen Flüsschen Peene
       begeben. Dafür schippern sie eine Woche lang auf dem „Kulturfloß Eden
       Peene“ von einem Veranstaltungsort zum nächsten, bauen auf Wiesen und in
       Biergärten ihre kleine Anlage auf und singen ihre selbst komponierten
       Lieder, sich selbst auf Gitarre und Keyboard begleitend.
       
       Schon weil sie auf dem kleinen Hausboot schlafen und arbeiten, wird das
       alles schnell zu einem Road- oder besser River-Movie, bei dem vor allem die
       Eindrücke im Mittelpunkt stehen. Da wird viel vom Lebensgefühl in der
       sommerlichen vorpommerschen Flusslandschaft spürbar, von Ruhe und
       Langsamkeit – und davon, wie diese immer hart an Lethargie grenzen. So hat
       das Duo es schwer, das Publikum für seine Kunst zu begeistern, und im Hut,
       der nach ihren Konzerten herumgeht, sind viele Münzen, wenig Papiergeld.
       
       ## Wo die Menschen wegwollen
       
       Geradezu verzweifelt wirkt dann die Kulturinitiative, die Paul Raatz in
       [4][„Unendlicher Raum“] vorstellt. Sein Dokumentarfilm (30. April, 4. und
       5. Mai) eröffnet mit dem teilweisen Abriss einer Kleinstadt: des
       vorpommerschen Loitz, das seit 1990 ein Drittel seiner Bewohner:innen
       verloren hat. Als Rettungsaktion soll hier nun eine kulturelle
       Begegnungsstätte entstehen, eine „Zukunftswerkstatt“.
       
       Annika und Rolando aus Berlin haben die Ausschreibung dafür gewonnen. Sie
       ist Kulturmanagerin, er Fotograf, eigentlich aus Venezuela, und sie haben
       ein Jahr Zeit, aus einem heruntergekommenen Haus einen schmucken
       Hoffnungsträger zu machen.
       
       Raatz begleitet sie mit der Kamera – und dokumentiert auch eine
       Desillusionierung. Rolando muss im Supermarkt immer wieder seinen Rucksack
       durchsuchen lassen, auch zeigt sich, wie wenig durchdacht das ganze Projekt
       ist. So gibt es schier endlose Verhandlungen, aber kaum Fortschritte.
       
       ## Diese Stadt stirbt
       
       Auch der Versuch, im Sommer ein Festival zu organisieren, scheitert; die
       Bürgermeisterin hat neben warmen Worten nur wenig zu bieten Nebenbei zeigt
       der Film kleine Kulturszene am Ort: Ein Bastler baut Musikinstrumente zu
       mechanischen Kunstwerken um, ein Poeten hat Liebeslieder an seine
       Heimatkleinstadt komponiert, die er mit anrührendem Ernst vorträgt.
       
       Doch diese Stadt stirbt, und als Annika und Rolando am Ende des Jahres das
       Haus sogar überschrieben bekommen, ist von ihrer Aufbruchstimmung kaum noch
       etwas übrig gelieben.
       
       30 Apr 2024
       
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 (DIR) Wilfried Hippen
       
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