# taz.de -- Künstlerin über Kunst im Stadtraum: „Politisch, lustig, interaktiv“
       
       > Die Künstlerin Farzane Vaziritabar ist für ihre Performances bekannt. In
       > Hannover wird sie mit einer Pferdeapfelskulptur Bürgerbeschwerden
       > sammeln.
       
 (IMG) Bild: Nicht Farzane Vaziritabars Pferdeapfelplastik, aber das, was unter Hannovers Ernst August-Reiterskulptur latent fehlt: Pferdemist
       
       taz: Frau Vaziritabar, Sie sind im Iran geboren, haben dort studiert, kamen
       2018 nach Deutschland. Wie intensiv ist Ihr Kontakt in den Iran? 
       
       Farzane Vaziritabar: Der Kontakt zu meiner Familie und zu
       Künstlerkolleg:innen ist sehr intensiv. Wir telefonieren täglich. Ich
       war 2019 das letzte Mal im Iran, hatte eine Einzelausstellung in Teheran.
       Dann kam die Coronapandemie, dann die politische Situation im Iran, sodass
       ich nicht dorthin zurückkehren kann. Aber ich halte meine Kontakte. Mein
       Traum ist ein künstlerischer Austausch, wenn sich die politischen und
       ökonomischen Bedingungen verbessern und ich wieder in den Iran reisen kann.
       
       Im September 2022 gab es nach dem Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini
       durch Misshandlungen der iranischen Sittenpolizei große [1][Proteste im
       Iran]. Das Kopftuch wurde zum Symbol des Protestes, es wurde [2][öffentlich
       abgelegt]. 2022 hatten Sie im Zuge Ihrer Performance „Gesehen werden“ eine
       Schicht aus 50 Kopftüchern angelegt, die Sie nach und nach von
       Besucher:innen abnehmen ließen. Warum das? 
       
       Das war meine Reaktion auf die [3][Proteste], die ja ein Zeichen der
       Hoffnung waren, meine persönliche Erfahrung und eine spontane
       Choreographie, keine politische Aktion. Ich wollte Aufmerksamkeit erzielen
       für die Frage: Wie kann so etwas Leichtes, auch Modisches wie ein Tuch zu
       solch einer Belastung werden? Worum geht es für die Frauen?
       
       Wie hat sich das Thema entwickelt? 
       
       Ich begann mit einer kleinen Aktion in einem Schaufenster in Weimar, dann
       kamen Einladungen ins Sprengel Museum Hannover, ins ZKM Karlsruhe mit einem
       Bericht beim ARD-Magazin „Titel Thesen Temperamente“, dann ins Kunstmuseum
       Wolfsburg. Die [4][Kunsthallen Emden] und Erfurt zeigten die Installation
       und das Video zu Ausstellungen über Fragen kultureller Identität, demnächst
       bin ich mit der Performance in Berlin.
       
       Wie ist die Situation für Frauen im Iran heute? 
       
       Anders als 2019, bei meinem letzten Besuch, tragen viele junge Frauen kein
       Kopftuch mehr, trotz der Schwierigkeiten, die sie sich in der
       Öffentlichkeit einhandeln. Meine Aktion „Gewebte Welt“ aus dem letzten
       Jahr, eine lebendige Weltkugel aus Tüchern, reflektiert den Weg, den die
       Frauen gehen. Ich laufe auf den Tüchern, Teilnehmer:innen
       solidarisieren sich, indem sie etwas hineinknoten, bevor die Tücher wieder
       zur Weltkugel eingerollt werden.
       
       Kunst im öffentlichen Raum: Was fasziniert Sie daran? 
       
       Kunst im öffentlichen Raum kann eine politische Dimension haben. Meine
       Masterarbeit in Weimar war der „Farzaneplatz“. Viele deutsche Plätze tragen
       historische, maskuline Namen. Ich habe idiomatisch und metaphorisch einen
       alternativen Platz etabliert, als Ort des Austausches über die Kraft des
       Namens, über Empowerment, Menschenrechte, Freiheit. In Weimar habe ich, als
       Wortspiel, auf dem Frauenplan am Goethehaus mit Frauen über ihre Beziehung
       zur Stadt gesprochen, auch ihren „Plan“, habe sie kostenlos porträtiert.
       Der „Farzaneplatz“ ist universell, eine offene Serie.
       
       In Hannover werden Sie bis 2026 im Zuge des [5][„Roten Faden Hannovers“]
       eine Intervention im Stadtraum erstellen, für den Sie den
       Hannes-Malte-Mahler-Preis bekommen. Wie wird das Projekt aussehen? 
       
       Ich bin immer noch wie im Traum, was für eine Belohnung! Es ist eine erste
       Möglichkeit, in großem Rahmen zu denken, eine neue Dimension und tragfähige
       Grundlage für meine weitere Kunstpraxis. Mit meinem Projekt „Colorful
       Threads“, das sich an dem vorhandenen „Roten Faden“ mit 36 Stationen durch
       die Stadt orientiert, lege ich eine Bewegung im öffentlichen Raum an, eine
       neue Stadtkarte, und frage, was bedeutet mir ein Platz, eine historische
       Situation, ein Wahrzeichen? Was möchte ich kulturell und künstlerisch dort
       erleben? Meine Interpretation eines Ortes ist stets ein Wortspiel mit
       seinem Namen, daraus entwickeln sich performative Aktionen. Immer als
       Austausch, Kommunikation mit den Menschen, denn das ist das Wichtigste für
       eine lebendige Stadt! Aber es wird über neun Monate auch Ausstellungen etwa
       im Sprengel Museum oder bei Feinkunst geben, die Aktionen im öffentlichen
       Raum in den institutionellen Rahmen spiegeln und Knoten in den realen
       Routen in Hannover werden.
       
       Sie sind aktuell in Hannover auch an dem Auftaktprojekt [6][„Knäuel
       Kulturdreieck – Sieben künstlerische rote Fäden durch Hannover“] beteiligt.
       Was erwartet uns dort? 
       
       Das ist ein zeitlicher Zufall! Ich wurde eingeladen, einen „Farzaneplatz“
       in Hannover anzulegen für einen neuen Roten Faden, eigentlich ja „meine“
       Idee. Ich habe drei Stationen vorgeschlagen, eine davon am
       Ernst-August-Reiterstandbild vor dem Bahnhof. „Unter dem Schwanz“ heißt der
       Platz im Volksmund, aber es fehlt etwas, der Pferdemist. „Kacke am Dampfen“
       wird das Motto sein, ein Raum für Beschwerden: politisch, lustig,
       interaktiv.
       
       6 May 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Todestag-von-Jina-Mahsa-Amini/!5957808
 (DIR) [2] /Unterdrueckung-in-Iran/!5924804
 (DIR) [3] /Islamwissenschaftlerin-ueber-Proteste-in-Iran/!5920624
 (DIR) [4] /Archiv-Suche/!5973475&s=Farzane+Vaziritabar&SuchRahmen=Print/
 (DIR) [5] https://de.wikipedia.org/wiki/Roter_Faden_(Hannover)
 (DIR) [6] https://www.hannover.de/Leben-in-der-Region-Hannover/Verwaltungen-Kommunen/Die-Verwaltung-der-Landeshauptstadt-Hannover/Dezernate-und-Fachbereiche-der-LHH/Bildung-Kultur,-Herrenh%C3%A4user-G%C3%A4rten/Fachbereich-Kultur/Zentrale-Angelegenheiten-Kultur/Kulturdreieck-Hannover/Aktuelles/Kunstprojekt-%E2%80%9EKn%C3%A4uel-Kulturdreieck%E2%80%9C2
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Maria Brosowsky
       
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