# taz.de -- Kirchenschauen: St. Norbert sieht schmuddelig aus
       
       > Ein Schnitzelbrötchen und ein Sakralbau aus Beton können einen Sonntag
       > retten. Unser Autor hat sich durchgeschlagen.
       
 (IMG) Bild: Kirche St. Norbert an der Schöneberger Dominicusstraße
       
       Erlaube ich mir, an einem Sonntag sehr spät aufzustehen, obwohl ich nicht
       bis in die Morgenstunden feiern war? Ich erlaube es mir. Dieser Sonntag ist
       sowieso grau und hält nicht, was die Wettervorhersage noch Mitte der
       vergangenen Woche versprach: Wärme. Da kann ich schon mal die Hälfte des
       Tages verschlafen.
       
       Allerdings ist der Sonntag nur da, weil Jesus an einem Sonntag von den
       Toten auferstanden ist. „Sine dominico non possumus“, ohne den Tag des
       Herrn können wir nicht leben, so formulieren es gute Katholik*innen und
       besuchen die Heilige Messe. Dazu kann ich mich in meinem Aber-Zustand nicht
       aufraffen. Mir fällt jedoch etwas anderes ein, das dem nahekommt.
       
       Um meinen Plan in die Tat umzusetzen, muss ich meine Untermiete in
       Friedrichshain verlassen und am RAW-Gelände entlanglaufen. Aus den
       freudigen Gesichtern, die mir entgegenkommen, spricht unübersehbar: Es ist
       wieder Flohmarkt. Ich lasse mich dennoch nicht von meinem Vorhaben
       abbringen.
       
       Ein Schnitzelbrötchen vom Rewe to go an der Warschauer Straße wird mich
       stärken, denke ich mir. Dort ist die Schlange an Sonntagen immer ziemlich
       lang, aber die freundlichen Angestellten kennen mich schon: „Wie immer?“
       „Ein Schnitzelbrötchen, bitte!“ „Noch einen Blaubeermuffin dazu?“ „Nein,
       danke!“ „Dann einen schönen Sonntag!“ „Dankeschön!“ So ein
       Schnitzelbrötchen schmeckt stets besser als es aussieht. Die Panade ist
       etwas feucht und damit auf nüchternen Magen genießbar.
       
       ## Betonkirchenfreude
       
       Kurz bevor die U1 einfährt, habe ich das Brötchen aufgegessen. Sein
       Geschmack begleitet mich aber bis ich am Nollendorfplatz aussteige.
       Eigentlich ist der noch zu weit von meinem Ziel entfernt. Ich müsste
       nochmal in die U4 einsteigen. Dafür fehlt aber die Lust. Ein paar Schritte
       mehr am Tag können nicht schaden, sage ich mir. Also gehe ich in Richtung
       Süden los – an St. Matthias vorbei, die Goltzstraße entlang, lasse die
       Apostel-Paulus-Kirche hinter mir und weiter bis ich irgendwann die
       Hauptstraße ablaufe.
       
       Unterdessen kommen andere Menschen ihren Sonntagsaktivitäten nach. Sie
       trinken Kaffee oder stehen (obwohl wir nicht in Kreuzberg sind) in einer
       langen Schlange vor einem Laden, der Gemüse Kebab verkauft. Als ich an ihr
       vorbeigehe, sehe ich, dass die Menschen langsam unruhig werden. Kreuzung
       Hauptstraße-Dominicusstraße heißt, dass ich fast an meinem Ziel angekommen
       bin. Nur noch ein bisschen nach rechts, in Richtung Volkspark Wilmersdorf.
       
       Da erhebt sich mein Ziel, die Kirche St. Norbert, wie eine aus vielen
       Dreiecken zusammengesetzte Burg am Straßenrand. Wenn ich mir schon keinen
       Gottesdienst zumuten will, schaue ich mir gerne Kirchengebäude an.
       Vorzugsweise wurden diese nach dem Zweiten Weltkrieg erbaut, noch lieber
       aus Beton. Bei St. Norbert trifft das zumindest zur Hälfte zu. Sie besteht
       aus einem neoromanischen Teil und zur Straße hin aus einem neuen Teil, der
       in den sechziger Jahren dazugesetzt wurde.
       
       Allerdings hat der Beton einen großen Nachteil: Bei ungenügender Pflege
       altert er schlecht. Auch wenn die Kirche immer noch liturgisch genutzt
       wird, hat es die Zeit nicht gut mit ihr gemeint. Neben den üblichen
       Graffitis fällt mir auf, dass das Baumaterial durch Witterung und Abgase
       stark nachgedunkelt ist. St. Norbert sieht schmuddelig aus. Hinein komme
       ich leider nicht, die Türen sind (was für eine katholische Kirche unüblich
       ist) verschlossen.
       
       ## Zum Schluss ein guter Sonntag
       
       Mein Bedürfnis wurde trotzdem befriedigt. Ich habe den Beton gesehen und
       kann ein weiteres Häkchen auf meiner Liste von Berliner Kirchen machen.
       Irgendwann trete ich den Rückweg an, wieder vorbei an der langen Schlange
       vor dem Gemüse Kebab. Es hat sich nicht viel verändert. Nur noch mehr
       Unruhe. Schließlich hole ich mir in einem Späti am Nollendorfplatz ein
       kleines Flensburger Pils und steige dort in die U1.
       
       An der Endstation angekommen, sehe ich beim Überqueren der Brücke zum
       S-Bahnhof Warschauer Straße noch mal die Gesichter von Menschen. Die einen
       wollen vielleicht zurück in ihre Wohnungen. Andere kommen gerade mit ihren
       Rollkoffern an. Ich spiele am Bügelverschluss meiner Flasche, die Sonne
       bricht kurz durch die Wolken. Es war doch noch ein guter Sonntag.
       
       6 May 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Louis Berger
       
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