# taz.de -- ESC, Proteste an Unis, Bayern München: Autorität hilft nicht
       
       > An deutschen Universitäten veranstalten Studenten propalästinensische
       > Demonstrationen. Und der ESC gibt sich unpolitisch – ist es aber nicht.
       
 (IMG) Bild: Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger fordert sich gegen Judenhass zu stellen
       
       taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche? 
       
       Friedrich Küppersbusch: Die Platzierung des pfiffigen estnischen Beitrags
       zum ESC.
       
       Und was wird besser in dieser? 
       
       Erkenntnis: Man kann auch mit einer guten Nummer Letzter werden!
       
       [1][Angriffe auf Politiker*innen] haben sich in letzter Zeit gehäuft.
       Sachsen will einen Gesetzentwurf einbringen, der einen neuen
       Straftatbestand bei solchen Angriffen vorsieht: politisches Stalking.
       Brauchen wir das oder ist es „Wasser auf die Mühlen von Populisten“, wie
       Konfliktforscher Andreas Zick sagt? 
       
       Was soll da drinstehen? „Grüne anspucken ist verboten“? „Die AfD darf auch
       mal einen Tapeziertisch aufbauen“? Nichts von den jetzt zu beklagenden
       Vorfällen ist legal und gehört zusätzlich verboten. Wenn die Polizei
       zuschaut, wie randalierende Bauern Autobahnen sperren und Passierscheine
       ausgeben, muss sie sich übers Gewaltmonopol keine Gedanken mehr machen.
       Paar Kilometer weiter prügelt sie Waldretter beherzt vom Asphalt. Hie
       verlaufen Ermittlungen ins Nichts und Verfahren werden eingestellt, da
       setzt es drakonische Strafen – Polizei und Justiz sollen die vorhandenen
       Gesetze anwenden. Die aktuellen Übergriffe geschehen aus einem, sorry,
       einigermaßen psychotischen Ohnmachtsgefühl: Menschen steigern sich, gerade
       in „sozialen Netzwerken“, in einen permanenten Notwehrmodus herein, der
       ihnen aber auch gleich alles erlaubt. Wer da noch mehr Autorität
       draufkloppt, eskaliert die Lage.
       
       In dieser Woche haben Journalist*innen des italienischen Senders Rai
       gestreikt. Ihre Angst: Zu viel Einfluss der Regierung. Wie gefährlich ist
       die Ministerpräsidentin Giorgia Meloni für die freien Medien in Italien? 
       
       So gefährlich wie der Zweifrontenkrieg, den auch die deutschen
       Öffentlich-Rechtlichen längst führen: Es muss gespart werden, und wer dabei
       Einfluss hat, entscheidet, was übrig bleibt. Der Streik der
       Rai-Kolleg*innen wendet sich auch gegen Stellenabbau, und wenn man den
       Laden lang genug aushungert, bleibt halt nur „Tele Meloni“ übrig. Dieser
       Mechanismus, den zuvor Berlusconi schon durchexerziert hatte, ist für uns
       ein entscheidender Programmhinweis.
       
       Nach Protesten an amerikanischen Unis gab es nun auch in Berlin, Bremen und
       Leipzig [2][propalästinensische Proteste]. Ist das legitimer Protest oder
       eine gefährliche Tendenz? 
       
       Eine Bildungsministerin, die ihr Protestcamp in der Bild-Zeitung
       aufschlägt, sagt damit schon recht deutlich, wen sie da adressieren möchte:
       sicherlich nicht den akademischen Diskurs. Wir alle träumen von dem Tag,
       an dem solche Blätter aufmachen mit der balkendicken Schlagzeile „Jetzt
       endlich auch bei uns – herrschaftsfreier Diskurs nach Habermas“, aber das
       kann noch ein bisschen dauern. Bettina Stark-Watzinger stellt sich die
       Unis vor wie ein ESC-Finale: alles glatt gefeilt, aussortiert und die
       Mundwinkel aller Beteiligten formschön an die Ohrläppchen getackert.
       Streit, Meinungsvielfalt und unkuratiertes Denken sind die Rohstoffe, die
       an Universitäten gefördert werden sollen. Das kann ein bisschen wehtun
       jetzt, aber lieber Lehrmeinung als Leermeinung.
       
       [3][Nemo aus der Schweiz] hat den ESC gewonnen. Wer war Ihr Favorit? 
       
       Nemos Siegertitel handelt von persönlicher Reifung, seine Performance
       schmiegte sich in alle woken und diversen gesellschaftspolitischen Ideale,
       und die Musik ist auch gar nicht mal so schlimm. Und das Mensch ist
       sympathisch. Kurz, der ESC hat sich in halbwegs chaotischer Lage mit Jubel
       in die Innigkeit verabschiedet. Die 1982er-Siegerzeile „Ein bisschen
       Frieden“ wäre heute schon im Vorentscheid rausgeschnitten oder
       beitherapiert worden; wahlweise singender Putin-Knecht oder sehr
       wahrscheinlich Israelhasser. Israel musste das Wort „Oktober“ aus dem
       Songtext flexen, in sozialen Netzwerken erregte man sich über die Frage, ob
       die schwarz-weißen Fingernägel der portugiesischen Sängerin ein
       Pali-Bekenntnis seien. Der ESC war nie das „Festival des politischen
       Liedes“, doch „ein bisschen Haltung“ war immer willkommen, um mittelmäßige
       Musik unbekannter Künstler irgendwie in die Punkte zu hieven. An diesem
       Finale war trotz teils toller Beiträge erstmals wesentlich interessanter,
       was nicht drin stattfand. So ähnlich funktionierte das DDR-Fernsehen.
       
       Der [4][FC Bayern München] ist nicht deutscher Meister und verpasst den
       Einzug ins Champions-League-Finale. Verdient? 
       
       Mit dem Rekord kann er uns nächstes Jahr im ESC vertreten. Sonst ist der
       letzte Platz dauerhaft in Gefahr.
       
       Und was machen die Borussen? 
       
       Scheint eine Tradition zu werden, sich gen Saisonende komplett gegen Mainz
       zu blamieren. Ist mir recht, einen Karnevalsverein braucht die Liga.
       
       Fragen: alec, Carolina Schwarz
       
       13 May 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Angriffe-auf-Politikerinnen/!6006968
 (DIR) [2] /Raeumung-eines-Camps-an-der-FU-Berlin/!6006162
 (DIR) [3] /ESC-Sieg-von-Nemo/!6007395
 (DIR) [4] /Halbfinale-in-der-Champions-League/!6006338
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Friedrich Küppersbusch
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kolumne Die Woche
 (DIR) ESC
 (DIR) Humboldt-Universität
 (DIR) Demokratie
 (DIR) Kolumne Die Woche
 (DIR) Schwerpunkt Rechter Terror
 (DIR) Veteranen
 (DIR) Kolumne Die Woche
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Europa in Aufruhr: Rechte Koalition und rechter Spion
       
       In den Niederlanden regieren Rechte. Ein AfD-Abgeordneter und Georgien
       agieren russlandfreundlich. Immerhin: Unser Olaf fordert mehr Mindestlohn.
       
 (DIR) Bayern, Polizei, Asyl und die Linken: Die Sorgen der Leute
       
       Die Demokratiebewegung in Georgien, die Antidemokratiebewegung in
       Deutschland und wie es mit den Bayern weitergeht.
       
 (DIR) Venedig, Verbrecher, Veteranen: Ein Gespräch unter vier Augen
       
       Die Ukraine bekommt 60 Milliarden Dollar, Friedrich Küppersbusch eine
       Talkshow, Venedig einen Eintrittspreis. Und Harvey Weinstein 23 Jahre
       weniger?
       
 (DIR) Ukraine, Iran, Israel: Verhandlungsergebnisse an den Kopf
       
       Die USA für Hilfen gegen Russland, der Kanzler für Chinas Engagement in
       Nahost, der falsche Moment für kleine Städte. Und Söders Kiff-Bann.