# taz.de -- Nach Ende des Bürgergelds: Armes Italien
       
       > In Neapel leiden die Menschen seit Ende des Bürgergelds an
       > Zukunftssorgen und Hunger. Wie die Familie De Blasio im Quartieri
       > Spagnoli.
       
 (IMG) Bild: Stabil bleiben: Antonio Di Blasio trainiert mit Kindern im Viertel, damit sie nicht der Mafia in die Hände fallen
       
       Neben zahllosen Heiligenbildern an den Hauswänden von Neapel gibt es seit
       letztem Jahr auch andere von den Einheimischen angebetete Illustrationen:
       Auf Plakaten, Fahnen und lebensgroßen Pappaufstellern findet man die
       Spieler des SC Neapel, die im Mai 2023 die italienische
       Fußballmeisterschaft gewonnen haben.
       
       Besonders das Quartieri Spagnoli, das spanische Viertel, im Westen von
       Neapel mit seinen engen Gassen, versinkt seither in einem Meer aus den
       Farben des Heimatvereins der Hafenstadt. In dem dicht besiedelten Stadtteil
       leben Alteingesessene, MigrantInnen, StudentInnen. Lange galt es als von
       der Mafia durchdrungenes Armenviertel, seit ein paar Jahren schießen „B&Bs“
       für Touristen wie Pilze aus dem Boden – auch zum Leidwesen der
       AnwohnerInnen, die es schwer haben, freien und bezahlbaren Wohnraum zu
       finden.
       
       Hier befindet sich das Zuhause der Familie De Blasio. Eine
       Erdgeschosswohnung, wie sie für das Viertel charakteristisch ist – man
       nennt sie „Bassi“. Was sie ausmacht: Von der Küche auf die Straße braucht
       es nur einen Schritt. In der Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung leben der
       61-jährige Antonio, Anna, seine Frau, und zwei ihrer insgesamt vier
       erwachsenen Kinder. Auch Antonio, gebürtiger Neapolitaner und
       eingefleischter Fußballfan, feierte im Mai 2023 den Sieg seiner Mannschaft.
       
       Ein einziger Freudentaumel, der nur von kurzer Dauer ist. Denn zur selben
       Zeit circa 190 Kilometer Luftlinie nördlich, stellt die rechtsextreme
       Regierungschefin Giorgia Meloni in Rom ihre Pläne von der Abschaffung des
       italienischen BürgerInnengeldes, das reddito di cittadinanza, vor. Erst
       vier Jahre vorher war die Staatsleistung von der Vorgängerregierung unter
       Ministerpräsident Giuseppe Conte für Menschen mit keinem oder sehr geringem
       Einkommen eingeführt worden.
       
       ## Die Party ist vorbei
       
       Die Bevölkerung in Neapel, mit 3 Millionen Einwohnern die drittgrößte Stadt
       Italiens, kriegt die Planungen, wenn überhaupt, nur am Rande mit. 350.000
       BürgergeldempfängerInnen gibt es hier – so viele wie in den drei größten
       Regionen Norditaliens zusammen.
       
       Auch die Familie De Blasio, die zu ihnen zählt, schenkt den Vorgängen
       zunächst wenig Beachtung. Sie sind der Politik, wie die meisten hier,
       überdrüssig. Sie fühlen sich vom Staat im Stich gelassen. Wie viele hier
       sind sie der Meinung: „Den Politikern kann man nicht trauen.“
       
       Im Oktober 2023 sitzt Antonio De Blasio auf den Stufen seines Zuhauses und
       raucht gedankenverloren eine Zigarette. Obwohl die engen Straßen und
       mehrstöckigen Bauten kaum Sonne zulassen, schaffen es ein paar
       Sonnenstrahlen gerade so, seine Fußzehen zu berühren. Roller fahren in
       hohem Tempo vorbei, Kinder erklimmen mit übergroßen Schulranzen die in
       Richtung des Montesanto ansteigende Straße und verschwinden in den dunklen
       Seitengassen dieses undurchsichtigen Labyrinths.
       
       Der Monat Mai ist eine ferne Erinnerung. Die Atmosphäre eine andere.
       „Meloni streicht das Bürgergeld. Es ist ungerecht“, sagt der 61-Jährige mit
       gesenktem Blick und zieht an seiner Zigarette, bevor er diese auf die
       Straße schnippst, dort, wo ein paar abgewetzte blau-weiße Bändel liegen.
       Sie wirken wie ein Relikt aus vergangener Zeit.
       
       ## Soziale Bombe auf Neapel
       
       Die Nachricht kam über Nacht: Am 28. Juli erhielten LeistungsempfängerInnen
       [1][eine SMS der italienischen Sozialbehörde], die sie über die Abschaffung
       des BürgerInnengeldes informierte. Nur drei Tage später trat die Maßnahme
       für den Großteil von ihnen in Kraft. Ein Schock für Leistungsempfänger in
       ganz Italien, vor allem aber im Süden des Landes und in Neapel.
       
       In der von Arbeitslosigkeit und Schwarzarbeit geprägten Stadt am Mittelmeer
       sicherte das BürgerInnengeld vielen Menschen den Lebensunterhalt. Reguläre
       Arbeit gibt es hier kaum, sie gilt als Utopie. BewohnerInnen berichten,
       dass sie seit Jahren beim Arbeitsamt gemeldet sind, aber nie auch nur einen
       Anruf bekamen. Um zu überleben, bleibt ihnen nur die Schwarzarbeit.
       
       Die Auswirkungen der Abschaffung brachen wie ein Erdbeben über die Stadt
       hinein: Schon am Folgetag wurden Hilfsorganisationen und Rathäuser von
       Menschen gestürmt, die um Hilfe baten. Da auch diese nicht auf das
       BürgerInnengeld-Ende vorbereitet waren, konnte den vielen Anfragen kaum
       nachgegangen werden.
       
       Nicola Nardella, Bürgermeister des neapolitanischen Stadtteils Scampia, das
       lange Zeit als Mafia-Hochburg galt und in dem bis heute große Armut
       herrscht, spricht von einer „sozialen Bombe, die die Regierung auf die
       Menschen in Neapel geworfen habe“.
       
       ## In einer Zeit, da alles teurer wird
       
       Die Familie De Blasio hatte erst einmal Glück. Der Familienvater bekam
       keine SMS, weil seine minderjährigen Enkelkinder, die Kinder der ältesten
       Tochter Giovanna, bei ihnen gemeldet sind. Den Anspruch auf das
       BürgerInnengeld verloren im August vorrangig Familien, in denen keine
       Minderjährigen, behinderten Menschen oder RentnerInnen über 59 Jahre leben
       und die deshalb als „arbeitsfähig“ gelten.
       
       Trotzdem ist die Sorge der Familie groß. Denn es steht bereits fest, dass
       auch sie und alle anderen LeistungsempfängerInnen, die keine SMS bekamen,
       das BürgerInnengeld spätestens zum 1. Januar 2024 verlieren würden.
       Bedürftige Familien können dann ein Eingliederungsgeld beantragen, das
       deutlich geringer ausfällt als das BürgerInnengeld und an strenge
       Bedingungen geknüpft ist.
       
       „Ohne das BürgerInnengeld können wir nicht essen“, sagt Anna, die hinter
       ihrem Mann in der Tür steht. „Alles ist teuer geworden. Früher hat das
       Olivenöl 4 Euro gekostet, heute sind es 8 Euro. Zucker kostete 1 Euro,
       jetzt 1,80 Euro“, erzählt die 58-Jährige, die die bislang 1.100 Euro
       BürgerInnengeld für die Familie verwaltet. Unter ihren dunkelbraunen Augen
       liegen tiefe Schatten. Die Rekordinflation in den letzten beiden Jahren
       hat den ItalienerInnen zugesetzt – eine Zunahme von 8,1 Prozent im Jahr
       2022, 5,7 Prozent im Jahr 2023.
       
       Im Jahr 2023 lebten laut eines Berichts des italienischen Statistikamts vom
       März 2024 5,7 Millionen Menschen in absoluter Armut – das sind 10 Prozent
       aller ItalienerInnen. Die Auswirkungen auf die von Schwarzarbeit abhängige
       Bevölkerung – in der Region Kampanien, in der Neapel liegt, wird sie mit
       18,7 Prozent angegeben – waren nach der Einführung der Staatsleistung im
       Jahr 2019 weitreichend.
       
       ## Hoffen auf eine Anstellung
       
       Eine Million ItalienerInnen hatte die Hilfe laut Istat während der
       Coronapandemie davor bewahrt, in absolute Armut zu rutschen.
       NeapolitanerInnen und SozialarbeiterInnen im Viertel heben im Gespräch
       immer wieder hervor, dass es den Menschen „ihre Würde wiedergegeben habe.“
       
       Anna, die jüngste Tochter der Familie, die den Namen ihrer Mutter trägt,
       nimmt auf den Treppenstufen Platz. Sie lässt den Kopf in die Hände fallen.
       Wie alle anderen Familienmitglieder ist auch die 29-Jährige ohne Arbeit und
       auf das BürgerInnengeld der Familie angewiesen. Eine offizielle Anstellung
       konnte auch sie nicht finden, weil Jobs fehlen. „Wir konnten damit Essen
       kaufen, Seife, Putzmittel, Strom-, Gas- und Telefonrechnungen bezahlen“,
       sagt die junge Frau, nachdem sie sich wieder aufgerichtet und die schwarzen
       Haare zurechtgezupft hat.
       
       Ihr Blick erhellt sich erst wieder, als ihr jüngerer Bruder Ciro nach Hause
       kommt. Der zurückhaltende 18-Jährige macht gerade ein Praktikum als Koch
       bei der Stadt. Er und seine Familie hoffen, dass er dadurch später eine
       Anstellung bekommt. Er selbst scheint bereits zu diesem Zeitpunkt nur wenig
       optimistisch. Den Rest des Tages verbringt er auf dem Sofa, starrt in sein
       Smartphone – und wartet.
       
       Am Küchentisch erzählt Antonio, der sein Leben lang zwischen Quartieri
       Spagnoli und Montesanto gelebt hat, dass er in der Vergangenheit in den
       verschiedensten Jobs gearbeitet hat – als Fischer, Maler, Handwerker. „Wann
       auch immer es eine Möglichkeit gab zu arbeiten, hab ich es gemacht“, sagt
       er, der wegen der Schwarzarbeit keine Aussicht auf Rente hat und bis heute
       spontan aushilft, wenn er einen Anruf bekommt. Meist von Bekannten, die ihn
       für ein paar Stunden, manchmal zwei oder drei Tage bei sich arbeiten
       lassen. 200 bis 300 Euro kriegt er dann im besten Fall.
       
       ## Geschenk an die Arbeitgeber
       
       Nur einmal hatte er einen festen Job für ein „richtiges Gehalt“ als
       Kassierer in einem Supermarkt. Das war kurz vor der Einführung des
       BürgerInnengeldes. Den Job hatte ihm ein Bekannter vom Fußball besorgt.
       
       Antonios Frau Anna, die in der kleinen Küchenzeile Geschirr abwäscht,
       erzählt, dass sie zeitweise illegal bei einer Reinigungsfirma gearbeitet
       hat – für mal 20, mal 25 Euro am Tag. Außerdem habe sie sich sieben Monate
       lang um eine ältere Frau gekümmert, für sie geputzt und gekocht. Bei einem
       Arbeitstag von sechseinhalb Stunden an fünf Tagen bekam sie 150 Euro in der
       Woche auf die Hand.
       
       Dann starb die Frau und die Suche nach Arbeit begann wieder von vorne. In
       einer Spielhalle konnte sie zeitweise in fester Anstellung arbeiten, weil
       ihr Schwiegersohn Kontakte dorthin hatte. Sie putzte die Räumlichkeiten von
       19 Uhr bis 3 Uhr nachts – sie bekam 900 Euro, aber die Arbeitszeiten
       zerrten der vielfachen Mutter an den Nerven und sie kündigte. Dann suchte
       sie sich einen neuen Job – wieder schwarz.
       
       „Aus einer neoliberalen Perspektive könnte man sagen, dass Schwarzarbeit
       vom Arbeitnehmer gewählt wird, aber in Wirklichkeit wird sie von ihm
       erlitten“, analysiert der Wirtschaftswissenschaftler Michele Raitano. „Es
       ist ein Geschenk an das Unternehmen, wenn informelle Arbeit nicht bekämpft
       wird“, so der Ökonom weiter. „Gebt mir die Chance, anständig zu arbeiten,
       gebt mir alle meine Rechte und Pflichten und lasst mich leben“, sagt eine
       Nachbarin im Viertel und zeigt sich wütend über die Behauptung, dass die
       Menschen sich nicht um Arbeit bemühen würden.
       
       ## Symbolpolitik auf Kosten der Armen
       
       Da es in Italien auch keinen Mindestlohn gibt, begeben sich Arbeitssuchende
       oft in ausbeuterische Verhältnisse. Ein Rettungsanker war für viele das
       BürgerInnengeld, das von der italienischen Regierung mit der Begründung
       Georgia Melonis abgeschafft wurde, „ein gerechter Staat solle diejenigen,
       die arbeiten können, nicht auf eine Stufe stellen mit wirklich
       Bedürftigen“.
       
       Die Soziologin und Co-Autorin der wissenschaftlichen Arbeit „Armut in
       Italien“ Enrica Morliccio, kritisiert die Entscheidung der Regierung: „Der
       einzige Zweck der Abschaffung des reddito di cittadinanza ist es, den Armen
       eine klare Botschaft zu senden: Wir helfen euch nicht und ihr müsst jede
       Art von Arbeit annehmen, egal wie hoch der Lohn ist.“
       
       Eine Feststellung, die Michele Raitano, Leiter der Abteilung für Wirtschaft
       und Recht an der Universität La Sapienza in Rom, teilt. Er geht in seiner
       Einschätzung noch weiter: „Es ist ein klassischer neoliberaler Ansatz,
       Arbeitnehmer dazu zu bringen, jede Art von Arbeit anzunehmen, indem man
       vorgibt, dass Arbeit eine Wahl des Individuums sei“, so der
       Wirtschaftswissenschaftler.
       
       Das Argument der Kürzung der öffentlichen Ausgaben, das die Vorsitzende der
       neofaschistischen Partei Fratelli d'Italia außerdem vorbrachte, ist nach
       Ansicht der Wirtschaftswissenschaftlerin und der Soziologin nicht
       stichhaltig. 3 Milliarden Euro, das heißt 0,2 Prozent des italienischen
       BIP, „sind praktisch nichts, vor allem wenn man bedenkt, dass 30 Prozent
       des BIP für Sozialausgaben ausgegeben werden“, betont Michele Raitano.
       
       ## Die Reichen kriegen Geschenke
       
       „Das ist wie Robin Hood, nur umgekehrt“, sagt Anna, die inzwischen mit
       einem Plastikbecher Kaffee am Küchentisch Platz genommen hat und die
       rot-weiße Wachsdecke mit ihren Händen bearbeitet. „Sie nehmen von den
       Armen, um es den Reichen zu geben“, heißt es von den Bewohnern des Viertels
       immer wieder.
       
       Michele Raitano teilt diese Feststellung. So hat Giorgia Meloni
       insbesondere die Obergrenze der Flat Tax von 65.000 auf 85.000 Euro
       angehoben, was „Selbstständigen, Unternehmern und Handwerkern zugutekommt“.
       Und dies, um die Basis ihrer Wählerschaft anzusprechen: kleine und mittlere
       Unternehmer sowie die obere Mittelschicht.
       
       MitarbeiterInnen lokaler Hilfsorganisationen schlagen Alarm. Zu ihnen
       gehört auch Giuliano Fucci, der für die Lebensmittelverteilung der Caritas
       in der Pfarrei San Matteo Francesco im Herzen des Quartieri Spagnoli
       zuständig ist. Der gebürtige Neapolitaner erzählt: „Wir haben fast jeden
       Tag neue Leute, die zu uns kommen und fragen: Habt ihr etwas?“
       
       Seit Anfang August sei die Zahl der Bedürftigen um 25 Prozent gestiegen.
       „Ohne das Bürgereinkommen können manche Menschen nicht essen“, so der im
       Viertel lebende Typograf, der sich seit 26 Jahren für arme Familien
       einsetzt. Was man hier immer wieder hört: Ohne die zahlreichen
       Organisationen und Vereine in der Stadt, die sich der Menschen annehmen und
       da helfen, wo der Staat abwesend ist, befänden sich viel mehr Menschen auf
       der Straße.
       
       ## Fußball gegen Mafia
       
       In Neapel helfen auch diejenigen, die selbst dringend Hilfe benötigen. Anna
       bringt ihrem Nachbarn, der die Straße ein paar Meter weiter runter wohnt,
       regelmäßig etwas zu essen vorbei. „Er ist Witwer und lebt allein“, erklärt
       sie. Auch Antonio verbringt seine Zeit damit, sich für die Gemeinschaft
       einzusetzen. Er trainiert Kinder und Jugendliche im Fußballverein San
       Gennaro im Viertel Montecalvario, die „ihre Tage sonst auf der Straße
       verbringen würden.“
       
       Von dieser aus ist es häufig nicht mehr weit in Mafiahände, die gerade
       jungen Menschen ein Netzwerk und Arbeit versprechen. Der Verein versucht
       ihnen Halt zu geben und Werte wie Disziplin und soziale Kompetenzen zu
       vermitteln.
       
       SozialarbeiterInnen befürchten als Konsequenz auf das fehlende
       BürgerInnengeld einen Anstieg der Kriminalität. Der Bürgermeister von
       Scampia, Nicola Nardella, berichtet, dass an manchen Orten
       Drogenverkaufsstellen zugenommen hätten. Auch Antonio fürchtet sich vor der
       Kriminalität in seinem Viertel.
       
       Im Mai 2024 sind die Ängste noch greifbarer – vor Kriminalität, einem
       leeren Kühlschrank, der Zukunft. Das BürgerInnengeld ist seit dem 1. Januar
       2024 Vergangenheit. Das kleine Wohnzimmer der Familie ist voller als beim
       letzten Besuch. Die älteste Tochter Giovanna hat einen Sohn bekommen. Er
       ist fünf Monate alt, Giovannas jüngere Schwester Anna gibt ihm gerade ein
       Fläschchen Milch.
       
       ## Villa für Meloni, Essensspenden für die De Blasios
       
       Ihr Bruder Ciro liegt neben ihr auf dem Zweisitzersofa, dort, wo er auch
       beim letzten Mal lag – und starrt in sein Smartphone. Sein Praktikum ist
       mittlerweile vorbei, eine Anstellung wurde ihm nicht angeboten. Seine Tage
       verbringt er damit, mit seinem Vater zusammen Kinder zu trainieren.
       
       Antonio erzählt, dass die Familie im letzten Monat einen Kredit aufnehmen
       musste, weil sie die Rechnungen nicht zahlen konnte und ihr der Strom
       abgedreht wurde. „Zum Glück müssen wir keine Miete zahlen, sonst hätten wir
       nicht mal mehr zu essen“, sagt Antonio, der die Tatsache, dass er die
       Wohnung vor Jahren mit einem Lottogewinn kaufte, als großes Glück
       bezeichnet, weil sie sich „sonst heute auf der Straße befinden würden“.
       Seine Arme sind übersät mit weißer Farbe. Er streicht gerade die Wohnung
       von Bekannten – inoffiziell und für 150 Euro für vier Tage Arbeit.
       
       Die Familie erhält das Eingliederungsgeld für bedürftige Familien, das die
       italienische Regierung im Januar 2024 eingeführt hat. 650 Euro haben sie
       dadurch monatlich zur Verfügung – 450 Euro weniger als zuvor mit dem
       BürgerInnengeld. Es reicht nicht. „Wenn Meloni die Dinge richtig machen
       würde, würden wir sie nicht hassen. Aber ist das etwa normal, dass sie sich
       erst letztens eine Villa für 1,5 Millionen Euro gekauft hat?“, sagt Anna,
       und die Gesichtszüge entgleiten der 58-Jährigen.
       
       Einmal im Monat nimmt die Familie Lebensmittelspenden der Kirche in
       Anspruch. Die Zahl der Menschen, die Essenspakete abholen, hat laut
       Giuliano Fucci im Vergleich zum Oktober 2023 zugenommen – 230 Menschen sind
       es im Mai 2024 in der Pfarrei San Matteo Francesco. „Die Menschen haben
       mehr Hunger als früher“, sagt die Tochter Anna. Mit dem Baby im Arm
       verschwindet sie im Nebenzimmer, legt es dort schlafen.
       
       Die Haustür wird abrupt geöffnet. Der 8-jährige Vincenzo, ein weiteres
       Enkelkind, kommt herein und steuert den Tisch an. Anna holt einen Teller
       aus dem Küchenschrank und stellt ihn vor ihm hin. Später sagt sie: „In
       Neapel gibt es ein Sprichwort: Wo es genug für fünf gibt, gibt es auch
       genug für sechs.“
       
       15 May 2024
       
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