# taz.de -- Friedrich Merz auf dem CDU-Parteitag: Der kalte Fritz
       
       > In seiner Rede auf dem CDU-Parteitag versucht sich Friedrich Merz
       > staatsmännisch zu geben. Er wird mit 90 Prozent Zustimmung als Parteichef
       > bestätigt.
       
 (IMG) Bild: Applaus von von rechts und links: Friedrich Merz (M.) mit den Generalsekretären Carsten Linnemann und Christina Stumpp
       
       BERLIN taz | Die 1.001 Delegierten wünschen sich nichts dringender, als
       endlich aus vollem Herzen zu applaudieren. Doch Friedrich Merz macht es
       ihnen auf dem CDU-Parteitag nicht leicht. Dabei geht es dem Vorsitzenden am
       Montag um seine Wiederwahl als Parteivorsitzender, und dafür erhofft er
       sich den größtmöglichen Rückhalt. Am Ende ist klar: Es ist seine
       zurückhaltende Rede, die seinen Zustimmungswerten am Ende des Tages
       zugutekommt. Mit rund 90 Prozent wird Merz als CDU-Vorsitzender in seinem
       Amt bestätigt.
       
       Für die CDU geht es bei ihrer Zusammenkunft in Berlin ums Eingemachte. Vor
       zweieinhalb Jahren trat die Partei nach dem herben Verlust der
       Bundestagswahlen den ungewohnten und als schmachvoll empfundenen Weg in die
       Opposition an. Seitdem ist viel passiert: [1][Mit großem Arbeitseifer hat
       die Partei ein neues Grundsatzprogramm erarbeitet], Landtagswahlen
       gewonnen, einen Generalsekretär geschasst, mit der AfD geflirtet und sich
       hinterher von ihr distanziert.
       
       Hinter alldem stand der Wunsch von Merz, die Partei konservativer zu
       verorten und das Erbe von Angela Merkel zu überschreiben. Doch es ist wie
       verflixt: In Umfragen ist die Union zwar inzwischen stärkste Kraft, doch
       scheint sie bei etwa 30 Prozent festgenagelt zu sein. Zu wenig für einige,
       die darauf hoffen, dass die Unbeliebtheit der Ampelregierung mehr auf das
       Konto der Konservativen einzahlen müsste.
       
       Merz und [2][Carsten Linnemann, der mit gut 91 Prozent als
       CDU-Generalseketär vom Parteitag gewählt wurde,] sehen sich am Ende eines
       parteiinternen Erneuerungsprozesses. „Es war eine richtig gute und
       spannende Zeit für unsere Partei“, sagt Merz über die Arbeit am
       Grundsatzprogramm, das der Parteitag am Dienstag beschließen soll. Darin
       stehen auch Vorhaben wie weniger Asylverfahren in Deutschland, was 700
       Theolog*innen am Montag in einem offenen Brief als „unchristlich“
       kritisierten.
       
       ## Leichter Applaus für Merz
       
       Merz geht auf diesen Punkt in seiner fast anderthalbstündigen Rede nur
       flüchtig ein. „Wir brauchen Einwanderung, das wird niemand bestreiten“,
       sagt der Parteivorsitzende unter verhaltenem Applaus in den Saal. Doch die
       „irreguläre Einwanderung“ überlaste die Integrationsfähigkeit an Schulen
       und im Wohnungsmarkt.
       
       Aber Merz redet dann nicht von Plänen zum Wohnungsbau oder mehr Geld für
       die Kinderbetreuung. Tosenden Applaus bekommt er bei Ausführungen gegen die
       AfD, wo er das erste Mal in seiner Rede auch wirklich laut wird: „Gegen
       diese Kraft der Zersetzung werden wir uns zur Wehr setzen.“ Es sei nicht
       erst seit zwei Jahren bekannt, dass die AfD von Russland unterstützt werde,
       ruft Merz. „Wir sagen allen denjenigen den Kampf an, die unsere Werte und
       unsere Europäische Union von innen zerstören wollen.“
       
       Schon die kleinsten rhetorischen Spitzen bescheren ihm Applaus, die
       Delegierten scheinen geradezu darauf zu warten. Doch mit Bemerkungen gegen
       die Bundesregierung spart Merz mehr als sonst. Großen Jubel im Saal gibt
       es, als Merz sagt, die Ampel befinde sich sogar entgegen ihren eigenen
       Ansprüchen klimapolitisch auf Abwegen. „Deutschland ist der klimapolitische
       Geisterfahrer, und wir werden diese Geisterfahrt spätestens im nächsten
       Jahr beenden.“
       
       Merz wiederholt auch eine andere inhaltliche Forderung der Union, mit der
       die Partei die Politik der Ampel rückgängig machen will. „Wir wollen das
       sogenannte Bürgergeld der Ampel in dieser Form wieder abschaffen.“
       
       [3][Dennis Radtke findet die Wortwahl an dieser Stelle „nicht dramatisch“,]
       wie der Europaabgeordnete der taz im Anschluss an die Rede von Merz sagt.
       Radtke ist Vertreter des Arbeitnehmerflügels der CDU. Er sagt, Merz habe
       eine „sehr mittige und sehr staatstragende“ Rede gehalten. Und hält er dem
       CDU-Vorsitzenden zugute, dass er sich für die Europapolitik der Union
       ausgesprochen habe und Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen den Rücken
       gestärkt habe.
       
       Ähnlich sieht es die Delegierte Fee Roth, die wie Radtke aus Bochum stammt
       und das erste Mal als Delegierte auf einem CDU-Bundesparteitag vor Ort ist.
       Die 28-Jährige sieht sich als „liberal-progressiv“ und sagt, sie sei damals
       wegen Angela Merkel in die CDU eingetreten. „Merz war in seiner Rede sehr
       bemüht, die politische Mitte einzufangen“, findet sie. Das sei das
       „Erfolgsrezept“ für die Partei.
       
       ## Merz' kurze Zündschnur
       
       Die Stimmung auf den Fluren des Parteitags ist gelöst. Die CDU ist in einem
       riesigen Hotel im Südosten des Berliner Stadtteils Neukölln
       zusammengekommen; ausgerechnet an der Sonnenallee, wo nach
       Feuerwehreinsätzen zu Neujahr 2023 der gesamte CDU-Vorstand gegen die
       „Silvester-Randalierer“ Stimmung machte. Die Mitarbeiter der
       CDU-Parteizentrale haben sich alle Mühe gegeben, dieses Neukölln anders
       anzustreichen. Der Saal im Estrel-Hotel ist im neuen Türkis der CDU
       angestrahlt, in riesigen Kuben prangen die Slogans der Partei, die sich
       wieder wünscht, „in Verantwortung zu führen“.
       
       Merz kennt das Hotel inzwischen recht gut. Hier hat er vor zweieinhalb
       Jahren angekündigt, ein drittes Mal für den Parteivorsitz zu kandidieren.
       Damals hatte er als möglichen Generalsekretär Mario Czaja im Schlepptau,
       Ostdeutscher und Mitglied im Sozialflügel der Partei. Merz gab damals Sätze
       von sich, die so klangen: „Die CDU muss modern werden“, er sprach sprach
       auch viel von sozialer Gerechtigkeit. Viel geblieben ist davon nicht.
       
       Gemeinsam mit seinem neuen Generalsekretär Linnemann will er die Partei
       weiter rechts verorten: Im Grundsatzprogramm finden sich neben den
       Ausführungen zu den Asylverfahren auch das Bekenntnis zur Leitkultur, eine
       Distanzierung vom Islam und auch die Möglichkeit, zur Atomkraft
       zurückzukehren.
       
       In der Vergangenheit war Merz oft mit populistischen Äußerungen
       aufgefallen. Arabische Jungs diffamierte er als „kleine Paschas“,
       ukrainische Flüchtlinge als „Sozialtouristen“. Geflüchteten unterstellte
       er, den Deutschen die Zahnarzttermine wegzunehmen. Die Grünen erklärte er
       zum Hauptgegner, obwohl die CDU in den Ländern erfolgreich mit der Partei
       zusammenarbeitet und möglicherweise nach der Bundestagswahl auch auf sie
       als Koalitionspartner angewiesen ist. Er erklärte die CDU zur „Alternative
       für Deutschland mit Substanz“, und erweckte im ZDF-Sommerinterview den
       Eindruck, dass eine Zusammenarbeit mit der AfD im Kommunalen in Ordnung
       sei.
       
       Mit alldem bestätigte er immer wieder das Bild, dass er ein Mann mit großem
       Ego und kurzer Zündschnur sei. Wie kurz diese ist, hat der [4][Spiegel am
       Wochenende noch einmal genüsslich in einer Titelgeschichte ausgeführt.]
       Darin beschreibt das Magazin, wie Merz tobte und sogar drohte, alles
       hinzuschmeißen, nachdem NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst kurz vor einem
       kleinen Parteitag [5][in der FAZ einen Debattenbeitrag mit dem Titel „Das
       Herz der CDU schlägt in der Mitte“ veröffentlicht hatte.] Was Merz – nicht
       zu Unrecht – als Angriff verstand.
       
       Kurz darauf tauschte Merz seinen glücklosen Generalsekretär Czaja aus.
       Nachfolger Linnemann bezeichnete diese Zeit, als die Geschichte in der
       Berliner Blase bereits die Runde machte, als „Knackpunkt“. In den
       vergangenen Monaten ist Merz ruhiger geworden, zuletzt unterlief ihm kaum
       noch ein Fehler. Die Frage ist nur: Kann Merz das durchhalten? Wenn der
       Druck im Wahlkampf hoch ist?
       
       Denn für Merz, so viel ist klar, geht es an diesem Montagmittag nicht nur
       um die erste Wiederwahl als Bundesvorsitzender der CDU. Es geht auch um
       die Frage: Kann der Mann Kanzler? Im Moment läuft es auf ihn hinaus. Aber
       da lauern eben weiter die beiden Kontrahenten: der wendige CSU-Chef Markus
       Söder, dem viele in der CDU zutrauen, zuzuschlagen, wenn sich die
       Gelegenheit noch ergibt. Und Hendrik Wüst. Der betont am Montag noch
       einmal, wie wichtig die Mitte für die CDU sei. Wüst sagt aber auch: „Lasst
       uns gemeinsam Friedrich Merz den Rücken stärken.“ Wenn das nicht mal ein
       Anfang ist.
       
       6 May 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Politikwissenschaftlerin-ueber-CDU/!6005867
 (DIR) [2] /Neues-CDU-Grundsatzprogramm/!6005864
 (DIR) [3] /Dennis-Radtke-ueber-Fluegelstreit-in-der-CDU/!5819064
 (DIR) [4] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/cdu-chef-friedrich-merz-die-daemonen-des-friedrich-merz-a-129a4908-6c29-4e4a-bebc-69c04d4ae393
 (DIR) [5] https://www.faz.net/aktuell/politik/gastbeitrag-hendrik-wuest-das-herz-schlaegt-in-der-mitte-18966607.html
       
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