# taz.de -- CDU-Vize Karin Prien über Parteikurs: „Der Zeitgeist ist konservativer“
       
       > CDU-Bundesvize Karin Prien verteidigt das neue Grundsatzprogramm der
       > Partei. Ein Gespräch über Leitkultur und das Grundrecht auf Asyl.
       
 (IMG) Bild: Die stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, Karin Prien
       
       taz: Frau Prien, Sie sind stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU und
       gelten als liberale Christdemokratin. Ihre Partei stellt sich in ihrem
       [1][neuen Grundsatzprogramm] deutlich konservativer auf als zuvor – mit
       Ihrem Segen. Wie passt das zusammen?
       
       Karin Prien: Die Themen haben sich verschoben. Die Lage der Wirtschaft,
       äußere wie innere Sicherheit und schließlich Migration sind die Themen, die
       die Menschen und dementsprechend auch uns bewegen. Wir müssen überzeugende
       Antworten geben, nicht zuletzt weil die liberale Demokratie immer stärker
       unter Druck gerät.
       
       Ihre Kurskorrektur ist eine Antwort auf den Zeitgeist? 
       
       Ich würde tatsächlich sagen, dass der Zeitgeist heute konservativer, die
       Gesellschaft insgesamt ein Stück nach rechts gerückt ist. Und natürlich
       muss man Mitte der 2020er andere Antworten finden als noch vor zehn oder
       zwanzig Jahren.
       
       Eine Ihrer Antworten ist das Bekenntnis zur Leitkultur. Das klingt nicht
       modern, sondern nach letztem Jahrhundert und dem Friedrich Merz von früher.
       Muss das wirklich sein? 
       
       Man mag sich über den Begriff streiten, aber richtig ist, dass es ein
       kulturelles Minimum braucht, das eine Gesellschaft verbindet, damit sie
       Vielfalt aushalten kann. Ich finde diesen Gedanken außerordentlich wichtig
       und würde mich weniger an dem Begriff abarbeiten.
       
       Die Grundlage des Zusammenlebens ist das Grundgesetz, warum reicht das
       nicht? 
       
       Es geht auch darum, was uns historisch verbindet. Zum Beispiel kann man
       unser besonderes Verhältnis zu Israel nur aus der deutschen Geschichte
       heraus erklären. Jedem, der neu zu uns kommt, müssen wir erklären, warum
       das für uns eine so große Bedeutung hat. Auch unser Verhältnis zu Polen
       oder Frankreich hat viel mit gemeinsamer Geschichte zu tun. Unsere Sprache,
       Kunst und Kultur, das sind zumindest Dinge, die man kennen muss. Genauso
       wie wir das, was Einwanderer mitbringen, kennenlernen müssen. Leitkultur
       ist nichts Statisches, sondern etwas, was sich ständig weiterentwickelt.
       
       Aber Einwanderer blicken anders auf die deutsche Geschichte. Ihr ehemaliger
       Generalsekretär Ruprecht Polenz sagt, [2][eine Leitkultur sei übergriffig].
       Er hat beantragt, den Begriff aus dem Grundsatzprogramm zu streichen. Ist
       da nicht was dran? 
       
       Ich schätze Ruprecht Polenz sehr, aber da bin ich anderer Meinung.
       
       Nächster Streitpunkt: der Umgang mit dem Islam und den Muslimen. Warum
       picken Sie sich eine Religion raus? Verfassungsfeinde gibt es auch in
       anderen Religionen. 
       
       Richtig, es gibt zumindest Radikale in allen Religionsgemeinschaften. Aber
       es gibt eben kaum extremistische Christen und Juden in Deutschland. Es ist
       nicht von der Hand zu weisen, dass der politische Islam und seine
       extremistische Ausprägung bis hin zum Terrorismus ein besonderes
       Bedrohungspotential haben.
       
       An der Formulierung gab es viel Kritik, muslimische Verbände sprachen von
       Generalverdacht, deshalb heißt es jetzt: „Ein Islam, der unsere Werte nicht
       teilt und unsere freiheitliche Gesellschaft ablehnt, gehört nicht zu
       Deutschland.“ Christian Wulff als Bundespräsident und Wolfgang Schäuble als
       Innenminister haben gesagt: „Der Islam ist Teil Deutschlands.“ Gilt das
       nicht mehr? 
       
       Doch, das gilt. Wir haben uns in der Antragskommission auf eine
       Formulierung geeinigt, bei der der von Ihnen zitierte Satz erst an dritter
       Stelle steht. Vorher heißt es, dass die Muslime Teil unserer religiösen
       Vielfalt und unserer Gesellschaft sind. Das heißt, dass es keinen
       Generalverdacht gibt und dass die Muslime, die in Deutschland leben,
       selbstverständlich zu uns gehören. Aber wir grenzen uns von einem
       politischen Islam ab, der die Werte, die für uns unverhandelbar sind, nicht
       teilt.
       
       Der Satz „Deutschland ist ein Einwanderungsland“ steht wieder nicht im
       Grundsatzprogramm. Warum kann sich die CDU dazu nicht durchringen? 
       
       Den würden inzwischen wahrscheinlich alle Mitglieder unterschreiben und
       Friedrich Merz hat das bei den Veranstaltungen zum Grundsatzprogramm auch
       so gesagt. Aber wir wollen eben differenzieren zwischen Arbeits- und
       Fachkräften, die wir bei uns willkommen heißen, und Flucht und Migration,
       die wir besser steuern und begrenzen müssen.
       
       Sie beerdigen dafür das Grundrecht auf Asyl, das als Reaktion auf die
       Nazi-Diktatur im Grundgesetz steht. Ihre Vorfahren, Frau Prien, wurden von
       den Nazis verfolgt. Können Sie das trotzdem mittragen? 
       
       Ich unterstütze ohne jede Einschränkung das Recht auf politisches Asyl.
       Wenn wir über die Begrenzung von Migration sprechen, dann geht es
       insbesondere um die Menschen, die aus anderen Gründen fliehen. Das ist
       individuell nachvollziehbar, zieht aber kein Recht auf politisches Asyl
       nach sich. Häufig bleiben diese Menschen dennoch bei uns. Oft kommen sie
       mit Schleppern über das Mittelmeer und über gefährliche Fluchtwege, das ist
       ein Zustand, den wir nicht unterstützen sollten. Zumal wir, was die
       Infrastruktur zum Beispiel bei Kitas, Schulen und auch beim Wohnen angeht,
       an Grenzen kommen.
       
       In Ihrem Entwurf steht: „Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll in einen
       sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen. Im
       Fall eines positiven Ausgangs wird der sichere Drittstaat dem Antragsteller
       vor Ort Schutz gewähren.“ Das heißt, auch politisch Verfolgte sollen nicht
       in Deutschland aufgenommen werden, mit Ausnahme eines willkürlich
       festgelegten Kontingents. Das ist das Ende des Grundrechts auf Asyl. 
       
       Ich bin nicht dafür, das Recht auf politisches Asyl aus dem Grundgesetz zu
       streichen und das steht auch nicht in unserem Grundsatzprogramm. Und ich
       sehe im Moment auch nicht, dass wir diesen Weg, der da beschrieben wird,
       umsetzen können. Aber ich bin dafür, dass wir mit Drittstaaten ins Gespräch
       kommen, um Migrationsabkommen zu schließen und Verfahren dorthin zu
       verlagern.
       
       Ist es redlich, etwas ins Grundsatzprogramm zu schreiben, was derzeit nicht
       umsetzbar ist und nach Einschätzung vieler Experten auch nicht sein wird,
       wenn man sich an geltendes Recht hält? 
       
       Ich glaube, es ist ein ganz klares Signal, das wir als Union einräumen
       müssen: Sätze wie der des Kanzlers – „Wir müssen endlich im großen Stil
       abschieben“ – sind keine Lösung für die Migrationsfrage. Sie sind aus
       vielen Gründen nicht umsetzbar. Da muss man sich ehrlich machen. Deshalb
       müssen wir früher ansetzen und Wege finden, den Zuzug zu begrenzen.
       
       Kritiker sagen, das klingt alles auch ein bisschen nach AfD light. Ist das
       der richtige Weg, diese extrem rechte Partei zu bekämpfen? 
       
       Es ist infam, alles, was rechts von einem selbst stattfindet, in die Nähe
       der AfD zu rücken. Das sollten wir als Demokraten nicht tun. Menschen in
       diesem Land neigen auch zum Populismus, weil sie sich nicht mehr
       repräsentiert fühlen und mit ihren Meinungen gleich in die rechte Ecke
       gestellt werden. Wer gegen die Begrenzung und für das Ordnen von Migration
       ist, ist noch lange kein Rechtsextremist. Man denke an die dänischen
       Sozialdemokraten oder an Präsident Macron.
       
       Was ist in der Partei strittig am Entwurf des Grundsatzprogramms? Wo
       erwarten Sie Debatten auf dem Parteitag? 
       
       Es kann sein, dass wir die Stelle über den Islam noch diskutieren, auch
       wenn wir als Antragskommission einen guten Kompromissvorschlag gemacht
       haben. Ich vermute, dass wir bei der Kernenergie, der Wehrpflicht, im
       Bereich Sozialpolitik und eventuell zum Thema Gleichstellung noch einmal
       eine Debatte bekommen.
       
       Es gibt Anträge, die wollen das Ziel der Gleichstellung von Mann und Frau
       aus dem Programm streichen. Das wurde auf dem letzten Parteitag [3][bereits
       heftig diskutiert] und am Ende abschlägig entschieden. Aber die
       Konservativen in der Partei geben offensichtlich nicht auf. 
       
       Ja, das muss man so sehen und ich finde das schwierig. Die Diskussion war
       intensiv, die Abstimmung eindeutig. Dabei sollte es bleiben.
       
       Eingeführt haben Sie beim letzten Parteitag auch eine – recht weiche –
       Frauenquote. Doch im Vorfeld des Parteitags wurden zwei prominenten Frauen,
       der hessischen Fraktionschefin Ines Claus und Gitta Connemann, Vorsitzende
       der Mittelstandsvereinigung, von der Kandidatur auf Spitzenämter
       abgehalten, damit es nicht zu viel Konkurrenz gibt. So richtig voran geht
       es nicht, oder? 
       
       Für mich könnte es tatsächlich schneller vorangehen, sowohl was den
       Bundesvorstand als auch was die Listenaufstellung zu Landtagswahlen oder
       die Landesvorstände angeht. Aber jetzt ging es konkret auch darum, dass wir
       ein gutes Team haben, das die Partei zusammengeführt und das
       Grundsatzprogramm auf den Weg gebracht hat. Und wir haben mit Friedrich
       Merz und Carsten Linnemann zwei eher Wirtschaftsliberale an der Spitze,
       insofern ist es richtig, dass mit Karl-Josef Laumann eine starke Stimme des
       Sozialflügels stellvertretender Vorsitzender werden soll. Und dann hätten
       wieder Frauen gegen Frauen kandidiert.
       
       Damit wäre auch Ihr Posten als Vize gefährdet gewesen . 
       
       Selbstverständlich, ich komme aus einem kleinen Landesverband. Ich fand es
       sehr fair, dass Ines Claus gesagt hat, es sei nicht ihr Ziel, andere Frauen
       zu verdrängen, und ich freue mich, dass sie weiter für das Präsidium
       kandidiert.
       
       Noch zu einem ganz anderen Thema. Die Schuldenbremse soll im
       Grundsatzprogramm verankert werden. Sie haben sich, wie Ihr
       Ministerpräsident Daniel Günther, für eine Reform der Schuldenbremse
       ausgesprochen. Warum? 
       
       Die Schuldenbremse war und ist richtig. Ich bleibe dabei, dass es zunächst
       eine intensive Bemühung zur Nutzung von Einsparpotentialen des Bundes- und
       der Landeshaushalte braucht. Danach könnte aber eine Debatte zur
       Nachjustierung der Schuldenbremse notwendig sein. Das gilt gerade mit Blick
       auf die Länder, bei denen die Regeln noch viel strenger sind. Unsere
       Haushaltslage ist mehr als angespannt. Diese Ansicht teilen viele
       Ministerpräsidenten auch der CDU. Ich sage das als Landesministerin, die
       die Auswirkungen auf die kommenden Haushalte mit großer Sorge sieht.
       
       Kai Wegner, Berlins Regierender Bürgermeister von der CDU, will eine Reform
       der Schuldenbremse über eine Bundesratsinitiative anstoßen, und die
       Unterstützung aus den CDU-regierten Ländern scheint ziemlich groß zu sein.
       Nur hat Friedrich Merz, der ja nicht nur Parteivorsitzender, sondern auch
       Chef der Bundestagsfraktion ist, sich klar gegen jede Veränderung bei der
       Schuldenbremse positioniert. Kommt eine Initiative der Länder erst nach dem
       Parteitag, um Merz vorher nicht zu schwächen? 
       
       Politik ist ja immer auch die Betrachtung des Möglichen und ich plädiere
       sehr dafür, dass wir als Union bei diesem Thema versuchen, beieinander zu
       bleiben. Bund und Länder haben unterschiedliche Perspektiven und
       Interessen, deshalb wäre es gut, das erst mal intern zu besprechen, bevor
       man damit in die Öffentlichkeit geht. Am Ende braucht es eine
       Zwei-Drittel-Mehrheit nicht nur im Bundesrat, sondern auch im Bundestag und
       auch deshalb können wir das auf Unionsseite nur gemeinsam voranbringen.
       
       Sehen Sie denn überhaupt eine Chance, dass sich die Bundestagsfraktion
       bewegt? Friedrich Merz hat sich festgelegt. 
       
       Natürlich wird jede neue Bundesregierung einen Kassensturz machen, und jede
       neue Bundesregierung muss auch mit Blick auf zum Beispiel den Krieg in der
       Ukraine schauen, welche Einsparmöglichkeiten es gibt und welcher Bedarf
       dann trotzdem bleibt. Wichtig ist, dass die Reihenfolge eingehalten wird
       und es nicht für eine Aufweichung der Schuldenbremse benutzt wird, um
       einfach weiter zu machen wie bisher.
       
       Letztlich heißt das aber: Spätestens wenn die CDU wieder in der
       Bundesregierung ist, rechnen Sie – wie viele andere – mit einer Reform der
       Schuldenbremse. 
       
       Nein, das heißt es nicht. Ich habe gesagt, nach allen Sparbemühungen und
       mit Blick auf die geopolitischen Notwendigkeiten müssen wir schauen, ob wir
       zurechtkommen und welche Instrumente wir dann nutzen können.
       
       1 May 2024
       
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