# taz.de -- Antisemitismus in Berlin: Jüdisches Leben wird unsichtbar
       
       > Der neue RIAS-Bericht zeigt: Die Zahl antisemitischer Vorfälle ist seit
       > dem 7. Oktober sprunghaft gestiegen. Viele Juden leben in Angst.
       
 (IMG) Bild: Die Gemeinde Kahal Addass Jisroel muss seit einem Anschlag im Oktober noch stärker geschützt werden
       
       BERLIN taz | Der Terroranschlag der Hamas auf Israel war und ist eine Zäsur
       für Jüdinnen, Juden und Israelis in Berlin. So fasst Julia Kopp, die neue
       Projektleiterin der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS)
       Berlin, die Ergebnisse ihres Jahresberichts 2023 zusammen, der am Mittwoch
       vorgestellt wurde.
       
       Demnach ist seit dem 7. Oktober die Zahl antisemitischer Vorfälle
       sprunghaft angestiegen: 783, etwa 62 Prozent, ereigneten sich in den knapp
       drei Monaten bis Jahresende. Zu den Folgen sagte Kopp: „Jüdisches Leben
       findet in Berlin noch weniger sichtbar und offen statt, als es vorher schon
       der Fall war.“
       
       Laut dem Bericht gab es im vorigen Jahr 1.270 antisemitische Vorfälle in
       Berlin – die höchste Zahl seit 2015, als RIAS mit dem Projekt begann, und
       einen Anstieg um knapp 50 Prozent im Vergleich zu 2022. Es gab zwei
       Vorfälle extremer Gewalt sowie 34 Angriffe (2022: 1 Fall extremer Gewalt,
       21 Angriffe). Darunter der versuchte [1][Brandanschlag auf das jüdische
       Gemeindezentrum Kahal Adass Jisroel (KAJ)] in Mitte am 18. Oktober sowie 52
       gezielte Sachbeschädigungen (2022: 31).
       
       Die Zahl antisemitischer Vorfälle gegen jüdische oder israelische
       Einzelpersonen stieg um 170 Prozent, betroffen waren 365 Menschen. Bis
       heute habe der 7. Oktober konkrete Auswirkungen auf Jüdinnen, Juden und
       Israelis, betonte Kopp. Als Beispiel berichtete sie von den wiederholten
       Angriffen auf einen Deli in Friedrichshain. „Die Betreiberinnen sehen sich
       nun gezwungen, den Bezirk zu verlassen.“
       
       ## Beschimpfungen, Schmierereien, Sachbeschädigungen
       
       Vom Rückzug jüdischer Menschen aus dem öffentlichen Leben und der Angst
       aufgrund fast täglicher Beschimpfungen, Schmierereien und
       Sachbeschädigungen berichtete Anna Chernyak Segal, Geschäftsführerin der
       KAJ-Gemeinde. Aktivitäten außerhalb des Gemeindezentrums seien eingestellt,
       jüdische Kleidung würde versteckt. „Diese Entwicklung steht im Widerspruch
       zum Selbstverständnis unserer Gemeinde als selbstbewusste traditionelle
       Juden, die fest zu Berlin und Deutschland gehören.“ Doch man sehe sich aus
       Sicherheitsgründen dazu gezwungen.
       
       Auffällig ist laut Bericht, dass erstmals der israelbezogene Antisemitismus
       dominierte – und zwar schon in den Monaten vor dem 7. Oktober. 62 Prozent
       der Vorfälle in 2023 seien diesem Bereich zuzuordnen (2022: 33 Prozent).
       Als Beispiele nannte Kopp die häufig auf Versammlungen zu hörende Parole
       „Kindermörder Israel“, die Gleichsetzung von Israel mit dem
       Nationalsozialismus, Boykottaufrufe sowie den Ruf „Intifada Revolution“.
       
       Zu zentralen Akteuren, bei deren Veranstaltungen es zu dieser Form des
       Antisemitismus komme, zählt RIAS den Verein „Palästina spricht“, [2][die
       inzwischen verbotene „Samidoun“] und den Verein „Jüdische Stimme“. Dessen
       Verharmlosung des 7. Oktober als „Befreiungsschlag“ sei als antisemitisch
       zu bewerten, so Kopp.
       
       Der Antisemitismusbeauftragte des Senats, Samuel Salzborn, forderte von
       Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) weitere Verbote – wen er meinte,
       mochte er auf Nachfrage nicht sagen. Seine Äußerungen legten jedoch nahe,
       dass er in Richtung der genannten beiden Vereine und Gleichgesinnter denkt:
       Die „zentralen Organisationen glauben ja wirklich, ihre Meinungsfreiheit
       wäre eingeschränkt, obwohl sie andauernd demonstrieren können“.
       
       Ebenso wie sie sich an Universitäten und im Kunstbetrieb breiten Raum
       nähmen. „Die glauben wirklich, sie seien von der Demokratie nachhaltig in
       ihren Grundrechten limitiert“, so Salzborn. Dies sei ein
       „präterroristisches Vorfeld“, das man „im Auge behalten“ müsse.
       
       22 May 2024
       
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