# taz.de -- Verschwörungsideologie in Tunesien: Karthago muss zerstört werden
       
       > Zu seinem Geburtstag trug Mark Zuckerberg ein Shirt mit dem bekannten
       > Zitat. In Karthago, das heute zu Tunis gehört, wittert man Gefahr für
       > Tunesien.
       
 (IMG) Bild: Die antiken archäologischen Ruinen der phönizischen Stadt Karthago mit Blick auf den Golf von Tunis
       
       TUNIS taz | Wo der scheinbare Beweis für ihre Verschwörungstheorie
       auftauchte, hat die Anhänger der Nationalen Partei Tunesiens sicherlich
       überrascht. An seinem 40. Geburtstag trug Facebook-Gründer Mark Zuckerberg
       ein schwarzes T-Shirt, auf dem dieser lateinische Satz in großen Buchstaben
       gedruckt war: „Carthago delenda est“ (zu Deutsch: „Karthago muss zerstört
       werden“).
       
       Der römische Staatsmann und Feldherr Cato der Ältere beendete angeblich
       alle seine Reden, egal zu welchem Thema, mit dem Satz „Im Übrigen bin ich
       der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss“. Nicht zuletzt seine
       Hartnäckigkeit führte schließlich zum Dritten Punischen Krieg, in dem Rom
       die auf der anderen Seite des Mittelmeers gelegene moderne Stadt
       vernichtete. Mit dem Fall des Reichs der Karthager wurde Rom konkurrenzlos.
       
       ## Nobler Villenvorort von Tunis und antike Stadt
       
       Über zweitausend Jahre später ist das antike Karthago ein Stadtteil von
       Tunis, in dem noch immer zahlreiche alte Bäder, Theater, Villen und andere
       Ruinen erhalten sind. In dem noblen Villenvorort stehen auch der
       Präsidentenpalast und die größte Universität des Landes. Am Wochenende sind
       die Cafés und Straßen rund um den noch erhaltenen punischen Hafen voller
       Besucher. Und Zuckerbergs Karthago-T-Shirt ist seit der vergangenen Woche
       unterhaltsame Ablenkung von den sonst üblichen Gesprächen über die
       explodierenden Lebensmittelpreise und die aktuelle Verhaftungswelle in
       Tunesien.
       
       „Ich habe es doch gewusst“, sagt der Lehrer Mohamed beim Blick auf ein
       Video von Zuckerbergs Geburtstagsauftritt. „Er will uns fertigmachen. Oder
       meint er mit Karthago vielleicht sogar Gaza?“ Am Nachbartisch wird gelacht.
       Zuckerberg ziele mit dem Spruch wohl eher auf seine Konkurrenz aus dem
       Silicon Valley, vermutet jemand.
       
       ## Sudanesische Flüchtlinge und ausländische Verschwörung
       
       Doch der 35-jährige Mohamed redet sich Rage. Wie viele Anhänger des
       Präsidenten und der Nationalen Partei glaubt er, dass es für die
       Wirtschaftskrise neben korrupten Politikern und Geschäftsleuten zwei
       weitere Hauptschuldige gibt.
       
       „Die aus dem Sudan ins Land kommenden Flüchtlinge und die Migranten aus
       Westafrika sind Teil einer Verschwörung bisher unbekannter Mächte“, ist er
       überzeugt. „Sie wollen die hier bei uns ansiedeln, um die islamische und
       arabische Kultur Nordafrikas zu zerstören. Und die aus dem Ausland bezahlte
       tunesische Zivilgesellschaft hilft kräftig dabei mit.“ Facebook,
       französische Großkonzerne, in Tunesien tätige deutsche Stiftungen – sie
       alle seien Teil eines Komplotts, glaubt man an einem anderen Tisch.
       
       20 Kilometer entfernt von den Cafés am Mittelmeer geht es schon lange nicht
       mehr nur um Theorien. Nach der [1][Verhaftung der Rechtsanwältin und
       TV-Kommentatorin Sonia Dahmani] vor zwei Wochen protestierten Hunderte
       ihrer Kollegen im Zentrum von Tunis. Ihnen schlossen sich Journalisten und
       Vertreter der Zivilgesellschaft an. Kritik an solchen Verhaftungen und
       an der Deportation von aus dem Sudan und Westafrika kommenden Migranten und
       Flüchtlingen führt schnell zu staatsanwaltlichen Ermittlungen.
       
       Dahmani wird „Verbeitung falscher Informationen“ vorgeworfen, nachdem sie
       in einer Talkshow auf Carthage TV auf die Verschwörungstheorie eines
       anderen Diskussionsteilnehmers entgegnete: „Von welchem extraordinären
       Land, an dem andere Mächte angeblich so ein großes Interesse haben,
       sprechen Sie denn? [2][Die Hälfte unserer Jugend will auswandern.]“ Nun
       droht ihr eine mehrjährige Gefängnisstrafe.
       
       Ein von Sonia Dahmani geprägter Begriff ist in den Cafés von Tunis zu einer
       Art Antithese zu „Carthago delenda est“ geworden: heyla lebled –
       extraordinäres Land. Zwei Journalisten wurden am Donnerstag wegen
       Verbreitung von Fake News zu einem Jahr Haft verurteilt.
       
       [3][Über in die Wüste deportierte Migranten] und Verhaftungen von
       Journalisten wird in den Cafés von Karthago lieber geschwiegen. „Lass uns
       lieber über Zuckerbergs Geburtstag reden“, sagt jemand.
       
       26 May 2024
       
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