# taz.de -- Yael Bartana in der Weserburg Bremen: Ein bisschen Trost gibt’s doch
       
       > Yael Bartana schaut skeptisch auf die Heilsversprechen der Kunst. Für
       > ihre Ausstellung in Bremen inszenierte sie dennoch eine utopische
       > Begegnung.
       
 (IMG) Bild: Alternative Etymologien: Yael Bartana „Crisis – Crysis – Crycis“, 2021
       
       Genießen lässt sich Yael Bartanas Kunst nicht. Auch wenn sie in ihren Film-
       und Videoarbeiten ausgiebig neoromantisch-schwelgerische Bildwelten nutzt –
       ein Medley aus sagen wir mal Richard Wagner, Leni Riefenstahl und Peter
       Jackson –, in denen es sich Teile der gegenwärtigen Kulturpflege doch recht
       behaglich eingerichtet haben: Um sich der Verführungskraft dieser auf
       Überwältigung zielenden Bildproduktion lustvoll hinzugeben, ist ja nichts
       weiter nötig, als ihre Teilhabe am Schlimmsten auszublenden.
       
       Die in Berlin lebende israelische Künstlerin Bartana macht sie im
       Gegenteil, spielverderberisch, zum Greifen deutlich – vor drei Jahren im
       Jüdischen Museum Berlin, [1][aktuell im Deutschen Pavillon der Biennale di
       Venezia]. Und jetzt auch in Bremen: Am Freitag hat im Weserburg Museum die
       Ausstellung „Utopia Now!“ eröffnet.
       
       Gezeigt werden dort zwar nur vier Film- und Video- sowie drei
       Neoninstallationen. Und doch zwingt der Besuch dazu, sich danach erst
       einmal ein stilles Plätzchen am Ufer zu suchen. Einmal, um sich von der
       Kakofonie zu erholen, zu der die Sounds der Bewegtbildarbeiten in der
       Ausstellung zusammenfließen.
       
       Zum anderen, um sich zu sammeln und zu kapieren: Die Verstörung, die diese
       Kunst auslöst, liegt nicht in ihren Bildern, noch nicht einmal im Auge,
       sondern im Unbewussten des Betrachters. Wer das übersieht, dem bleibt nur,
       sie in hilfloser moralischer Empörung als [2][pornografisch und naiv
       zugleich zu verurteilen], wie das bei der Berliner Ausstellung „Redemption
       Now“ geschehen ist, auf die Bartana in Bremen schon im Titel verweist.
       
       Pathos kippt ins Lächerliche 
       
       Genau besehen erweisen sich Bartanas Arbeiten jedoch als gestalterisch
       virtuos und kunsthistorisch bestens informiert. Noch in der weihevollsten
       Stimmung, die gerade die großen Videos aufbauen, lauert stets auch ihr
       Gegenteil. Das Pathos kippt in der Übertreibung ins Lächerliche. Das
       Erlösungsgeschehen schlägt in slapstickhafte, gallige Komik um.
       
       Auch in Bremen präsent ist das monumentale Video „Malka Germania“, in dem
       eine erzblonde, androgyne Messiasfigur, sekundiert von Soldaten, Berlin
       erobert. Die Dreikanalarbeit wurde dort 2021 wegen der Schlusssequenz
       skandalisiert. Darin erhebt sich statt des Himmlischen Jerusalems Albert
       Speers Modell der Welthauptstadt Germania aus den Fluten – natürlich – des
       Wannsees: ein schroffer Witz, der zugleich daran erinnert, dass der
       Unterschied zwischen Erlösung und Menschheitsverbrechen nur zwei Buchstaben
       ausmacht.
       
       Leichter fassbar, weniger verstörend tritt Bartanas tiefe Skepsis in den
       Neoninstallationen in Erscheinung, allen voran in der für Bremen
       entstandenen Titelarbeit „Utopia Now!“: Das Versprechen jeder Utopie ist
       weitaus unkonkreter als eine behauptete Erlösung.
       
       Es ist vielleicht das, was bleibt angesichts von Terror und Gegenterror
       seit dem 7. Oktober. Der aus dünnen Leuchtstoffröhren gebildete Schriftzug
       jedenfalls kippt wenig verlässlich nach rechts in die Horizontale.
       
       Die Utopie ist eine Täuschung 
       
       Faszinierend ist der Effekt, den sein beißend rotes Licht im Zusammenspiel
       mit dem auf die Wand in Schwarz aufgemalten Umriss der Buchstaben erzeugt.
       Die Farbe verliert ihre Bestimmtheit, der Slogan wirkt, als bestünde er aus
       überdimensionierten, in Edelstahl geformten Russisch-Brot-Buchstaben.
       Selbst den Traum vom paradiesisch befriedeten Irgendwo gibt’s nur als
       optische Täuschung.
       
       Und doch: Rührend hoffnungsvoll wirkt die große Einkanalarbeit der
       Musikvideoinstallation „Mir Zaynen Do!“, die in Bremen ihre Uraufführung
       erlebt. Der Titel ist Jiddisch und lässt sich als ein trotziges „Wir sind
       hier!“ verstehen.
       
       Im und für den Film hat Bartana den 1946 von jüdischen Immigrant*innen
       aus Europa in São Paolo gegründeten Coral Tradição zusammengebracht mit
       dem Straßenmusikensemble [3][Ilú Obá De Min]. Das besteht ganz aus
       Nachfahr*innen [4][von Maroons]. Diese der Versklavung entronnenen
       Aufständischen wurden von den Plantagenbesitzern erbarmungslos gejagt.
       
       Es entsteht Gemeinschaft 
       
       Vorsichtig wird, Schritt für Schritt, die Begegnung von Überlebenden der
       Schoah und der Kolonialverbrechen im Bild der mehr und mehr sich füllenden
       Bühne des Teatro de Arte Israelita Brasileiro in Szene gesetzt. Tastend,
       neugierig und ohne Preisgabe des je Eigenen, ein optisches und akustisches
       Crescendo über elfeinhalb Minuten, entsteht Gemeinschaft.
       
       Den Anfang dieser Erzählung im dunklen Raum markiert aber der einsame
       Auftritt der Chorleiterin [5][Hugueta Sendacz]. Die 97-Jährige, in Polen
       geboren, steht da, drahtig, ganz allein am Dirigierpult, und gibt
       nachsichtig lächelnd mit außerordentlich bestimmten Gesten Einsätze.
       
       Erst später wird klar werden: Sie dirigiert keinen Geisterchor. Die
       Melodien erklingen. Und die Musiker*innen leben, obwohl die Tatsache
       ihrer schieren Existenz an ein Wunder grenzt. Hier wird niemand erlöst. Das
       Eigene bleibt bestehen. Und gerade darum gelingt in der flüchtigen
       Begegnung durch Kunst ein Moment der Heilung und des Trosts. Schlimm genug,
       dass es Fiktion bleibt und Utopie heißen muss.
       
       26 May 2024
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [3] https://www.iluobademin.com.br/
 (DIR) [4] https://de.wikipedia.org/wiki/Maroons
 (DIR) [5] https://www.yiddishbookcenter.org/collections/oral-histories/interviews/woh-fi-0001066/hugueta-sendacz-2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Benno Schirrmeister
       
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