# taz.de -- Goethes „Faust“ am Theater Bremen: Mindfuck mit Kondom
       
       > Felix Rothenhäuslers „Faust“ setzt in Bremen auf die Rahmentexte Widmung,
       > Vorspiel und Prolog. Siegfried W. Maschek sagt die Verse alleine auf.
       
 (IMG) Bild: Greift nicht einmal vorbei am vollen Menschenleben: Siegfried W. Maschek in einem Höhepunkt der Bremer „Faust“-Inszenierung
       
       Zeit, sagt man, sei Geld: Extreme Wertsteigerung erfährt insofern Goethes
       „Faust“ am Theater Bremen. Dort haben Regisseur Felix Rothenhäusler und
       Dramaturg Stefan Bläske ihn einerseits auf objektive 75 Minuten
       zusammengekürzt.
       
       Die aber wirken im Gegenzug subjektiv wie vier volle Stunden, die einfach
       nicht vergehen: Das entspricht einer [1][topverzinsten
       Verdreieinhalbfachung] des chronologischen Kapitals.
       
       Ähnlich ökonomisch ist der Cast: Siegfried W. Maschek hat sich der
       Fleißübung unterworfen, zu rezitieren, was von der Tragödie übrig blieb.
       Diszipliniert, die Hände an der Seitennaht, steht er mitten auf der Bühne
       in wechselnder Beleuchtung und sagt ohne nennenswerte Mimik und Betonung
       den Text auf. Das bürgergebildete Publikum freut sich, wenn zwischendurch
       der innere Zitatschatzalarm anspringt.
       
       Als musikalische Einspieler hat Jan Grosfeld, der auch als lebendes
       Requisit im Tier- oder Pierrotkostüm auf- und abtritt, [2][rechtefreie
       Bruchstücke] von „Happy Birthday“ und, passend zum Studierzimmermonolog,
       „Der Mond ist aufgegangen“ in den Synthie programmiert. Zu letzterem wird
       eine sicher zweieinhalb Meter hohe weiße Sichel, abnehmend, im Lointain vom
       linken Rand auf die von Katharina Pia Schütz freigeräumte Bühne gefahren.
       
       Wenn die Träne quillt und die Erde den suizidalen Doktor Johannes Faust
       wieder hat, gibt’s einen Knalleffekt per Konfettikanone. Und immer wenn
       „Dunst und Nebel“ steigen zischen von links und rechts je ein Stoß Gewölk
       auf die Bühne. Erstmals passiert das in der „[3][Zueignung]“.
       
       Die wird sonst oft nicht mitinszeniert. Sie ist ja auch im Original nicht
       Teil des Dramas. Ihre vier Stanzen bilden zusammen mit dem „Vorspiel auf
       dem Theater“ und schließlich dem „Prolog im Himmel“ den 353 Verse langen
       theatertheoretischen Rahmen, in den Goethe die Tragödie eingepackt hat. Auf
       ihn haben, auch wenn [4][vor Begeisterung verwirrte Kritiker das
       übernächtigt nicht mitkriegen], Rothenhäusler und Bläske für ihre Fassung
       den Akzent gelegt.
       
       Also werden dieses Widmungsgedicht, dann das Vorspiel auf dem Theater und
       schließlich der Prolog im Himmel nahezu ungekürzt kreuzbrav hintereinander
       weg aufgesagt. Das macht das erste Drittel des Abends aus.
       
       Dass auch da schon alle Binnendifferenzierungen wie Rollen, szenische
       Aktionen oder emotionale Aufwallungen gekonnt beseitigt sind, schützt diese
       Metatexte aber vor Sinnstiftung und Lustentfaltung zugleich: Es ergibt sich
       ein besonders saftloser Mindfuck mit Kondom, Pessar und ohne Anfassen.
       
       Die Handlung – der frustrierte Gelehrte Faust schließt, um endlich doch
       Erfüllung zu finden, einen Pakt mit dem Teufel, hat Sex mit Gretchen, die
       dann als Kindsmörderin hingerichtet wird etc. pp. – interessiert schon mal
       gar nicht.
       
       So bleibt, außer der Leistung, dass ein Sprecher den ganzen Verssalat
       allein spricht – das ist sportiv durchaus beachtlich, aber gemessen an
       anderen Soli der Theaterliteratur keineswegs rekordverdächtig – nichts von
       dieser Kunstübung in Erinnerung. Nichts weist über sie hinaus: Sie lässt
       sich bestenfalls als Feier von Sekundärtugenden bewerten.
       Teilnahmslosigkeit scheint die angemessenste Reaktion.
       
       29 May 2024
       
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