# taz.de -- 20. Todestag DDR-Künstler Werner Tübke: Der Raffaelit der DDR
       
       > Eine Leipziger Ausstellung erinnert an Maler Werner Tübke. Mit seinem
       > eigenwilligen Historismus erlangte er DDR-Staatsaufträge und manch freie
       > Nische.
       
 (IMG) Bild: Eigenwilliger Historismus: Werner Tübke, „Der Mensch – Maß aller Dinge“, 1. Fassung, 1975
       
       Kaum ein Künstler der ehemaligen DDR erregte national wie auch
       international so viel Aufsehen wie [1][Werner Tübke]. Dass der Maler die
       historischen Stile der Alten Meister anwandte und sich dabei nicht vor der
       Kopie scheute – das war in den 1960ern bis 1980ern außergewöhnlich bis
       provokativ, übte man sich doch auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs
       entweder eher in der Abstraktion oder in einem neuen Realismus.
       
       Mit seinem gemalten Historismus konnte Werner Tübke zwischen Auftragskunst
       und Zensur [2][künstlerische Spielräume] finden. Das zeigt derzeit auch das
       Museum der bildenden Künste (MdbK) Leipzig in einer Tübke-Schau. Die
       Kuratoren Frank Zöllner und Stefan Weppelmann werfen darin einen
       kabinettartigen Blick auf Tübkes [3][„Sehnsuchtsland“ Italien.] Denn laut
       Zöllner sind etwa 15 Prozent seines mehr als 400 Gemälde umfassenden Werks
       „sicher von Italien direkt beeinflusst“.
       
       Tübke studierte nicht nur die Kunst der italienischen Renaissance in
       DDR-Sammlungen – Raffael in Dresden, Ghirlandaio in Ostberlin –, er
       bereiste auch im Gegensatz zu den meisten DDR-Bürger*innen das Land.
       Wenngleich er Mitte der 1950er zeitweise in Ungnade gefallen war, durfte er
       ab 1971 nach Florenz, Mailand oder Rom, wo er Museen aufsuchte, in Galerien
       ausstellte und Kollegen traf, etwa den „malenden Metaphysiker“ Giorgio de
       Chirico.
       
       Auf Tübkes Kreidelithografie von 1983 lässt sich Raffaels Colonna-Altarbild
       erkennen. Tübkes Hommage an den Renaissancemaler fällt jedoch seltsam
       manieristisch aus: Die Körper sind grotesk gestreckt, die Posen
       übertrieben. Das Original durch die Kopie derart zu verfremden hat etwas
       Subversives. Das lässt sich auch auf Tübkes Malereien in der Ausstellung
       beobachten.
       
       Eine davon zeigt einen sizilianischen Landarbeiter mit schwarzen Locken,
       offenem Hemd, Goldkette und buschigem Brusthaar, der gleichsam an das
       Porträt des Kaufmanns Georg Giese von Hans Holbein dem Jüngeren erinnert.
       Tübke unterläuft mit dem Bild die Konventionen des Sozialistischen
       Realismus: Der Porträtierte ist als Arbeiter erkennbar, ein „Held der
       Arbeit“ ist er aber beileibe nicht. Vielmehr zeigt Tübke ihn schillernd
       zwischen Klischee und Individuum, er witzelt über die politische
       Inszenierung einer vermeintlichen Arbeiterklasse, ist aber der
       porträtierten Person ernsthaft zugewandt.
       
       Ähnlich ging der Künstler schließlich mit sich selbst um, wie die in der
       Ausstellung versammelten Selbstporträts vorführen. So kann einem Tübke als
       entrücktes Genie begegnen, wie sich auch [4][Raffael] auf seinem berühmten
       Selbstporträt mit Kappe inszenierte, das heute in den Uffizien hängt.
       Allerdings trägt Tübke einen befleckten, also mit Spuren des
       Künstlerhandwerks übersäten Kittel. Er bricht mit dem Original, macht sich
       ein wenig über das Künstlergenie und damit über das eigene Tun lustig.
       
       Dieser Witz scheint seinen Nachfolger*innen, die heute unter dem Label
       Leipziger Schule gut im internationalen Kunstmarkt platziert sind, zu
       fehlen.
       
       Vor 20 Jahren, am 27. Mai 2004, ist Werner Tübke gestorben. In den späten
       Jahren der DDR konnte er mit seinem eigensinnigen Historismus noch zum
       Staatskünstler avancieren.
       
       27 May 2024
       
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