# taz.de -- Antisemitismus-Vorwurf gegen Studierende: Zwischen Solidarität und Spaltung
       
       > Eine Aktion an der Leipziger HGB war als Schutzraum für palästinensische
       > Solidarität gedacht. Jetzt wird sie wegen antisemitischer Parolen
       > kritisiert.
       
 (IMG) Bild: Engführung von Welt- und Lokalpolitik am propalästinensischen Protestcamp: Eva Ines Obergfell ist Rektorin der Uni Leipzig
       
       Im Atrium der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) herrscht
       normalerweise Stille. Am 8. Mai 2024 wurde der HGB-Lichthof durch eine
       [1][Gruppe Studierender] symbolisch in „Bisan's Hof“ umgewandelt, angelehnt
       an die Journalistin und ehrenamtliche EU-Botschafterin Bisan Owda.
       
       Die Versammlung von HGB-Studierenden und [2][propalästinensischen
       Aktivistinnen] diente der Solidarisierung mit Palästina und sollte als
       Schutzraum für von Rassismus betroffene Studierende dienen. Zwischen
       herbeigeschafften Sofas, Tischen und Bannern mit der Aufschrift „All Eyes
       on Rafah“ aß man zusammen, streamte Vorträge, forderte das Ende eines
       angeblichen Genozids in Gaza und den Boykott Israels. Die Hochschulleitung
       selbst beschreibt die Aktion als künstlerischen Arbeitsraum.
       
       In einem kürzlich von einer Gruppe von 11 Alumni und Studierenden der HGB
       veröffentlichten Brief zeichnete man ein anderes Bild: Die Autor*innen
       des Briefes berichten von Einschüchterungen und der Verbreitung von
       antiisraelischer Propaganda und schildern eine Atmosphäre von Angst und
       sozialer Isolation.
       
       Wer sich solidarisch mit Israel zeige, sehe sich Beleidigungen, haltlosen
       Unterstellungen und Mobbing ausgesetzt. Einige Studierende könnten ihr
       Studium deshalb nicht fortsetzen oder beenden, trauten sich nicht mehr in
       die Hochschule, benutzten nur die Hintereingänge oder betraten das Gebäude
       nur noch zu bestimmten Uhrzeiten.
       
       Im Brief fragen sie: „Wie ist es möglich, einen offenen Raum zu schaffen,
       wenn in regelmäßigen Abständen im Lichthof Filme gezeigt werden, die das
       Existenzrecht Israels leugnen und offen für Bewegungen wie BDS (Boycott,
       Divestment and Sanctions) werben?“
       
       Unter dem Info-Material in Bisan’s Hof findet sich vieles, das sich
       bedenklich finden lässt: Zeichnungen der Comicfigur „Handala“, der zum
       Symbol des BDS wurde, Werbematerial von MERA25, die am polizeilich
       verbotenen Palästina-Kongresses in Berlin beteiligt war, Infomaterial von
       Ramsy Kilani (Marx21, Palästina spricht), der offen die terroristischen
       Aktionen der Hamas unterstützt, oder ein Film-Screening des PFLP-nahen
       Chirurgen Ghassan Abu Sitta.
       
       Man steht in Verbindung mit Gruppen wie der Leipziger „Handala“ und
       „Students for Palestine Leipzig“, die Terrororganisationen wie Hamas und
       Hisbollah als „Befreiungskämpfer“ stilisieren. Man veranstaltet gemeinsam
       Film-Screenings, auch personell gibt es bei den Veranstaltungen
       Überschneidungen.
       
       Es sind nicht die ersten Vorfälle dieser Art. Bereits am 10. Januar lud
       eine propalästinensische Gruppe zum Sit-in in den Lichthof ein. Beim
       Frühjahrsrundgang der HGB segelten Flyer mit dem Wunsch einer „besseren
       Zukunft für alle Menschen [3][from the river to the sea“] auf den Boden des
       Lichthofs.
       
       Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hat sich die
       Hochschulleitung der HGB den Solidaritätsbekundungen mit Israel
       angeschlossen. Die Sprecherin der Hochschule betont, dass die
       Hochschulleitung damit zugleich das Existenzrecht Israels unterstreiche und
       ihr Gedenken sowie Mitgefühl für die Zivilbevölkerung auf beiden Seiten
       ausdrücke, die unter den gewaltsamen Auseinandersetzungen leidet.
       
       Auf Seiten der HGB hat man sich dennoch bei aller Solidarität für Israel
       entschieden, die Aktion im Lichthof – zeitlich begrenzt und unter Auflagen
       – zu dulden. Der Weg der HGB: Dialog.
       
       Die Sprecherin des Rektorats betont, man stehe seit Beginn der Aktion im
       Austausch mit den beteiligten Studierenden, um grenzüberschreitendes
       Verhalten zu verhindern. In Gesprächen würden Inhalte hinsichtlich ihres
       diskriminierenden Potenzials diskutiert und problematische Slogans und
       Darstellungen, wie Flyer-Material mit Landkarten ohne Israel, entfernt.
       Valerie Enders (Name von der Red. geändert), eine der Verfasser*innen
       des Briefes, berichtet, dass sie morgens in die Hochschule gekommen sei und
       auf den Fluren Rufe nach „globalize the Intifada“ gelesen habe.
       
       Intifada, das wird als Aufruf zu antisemitischen Pogromen oder
       Glorifizierung einer Reihe von palästinesischen Terroranschlägen in Israel
       gelesen. In einer Mail der Rektorin an eine Studierende heißt es: „Zur
       Frage der Sicherheit jüdischer Studierender hatte ich bisher nicht den
       Eindruck, dass diese sich jenseits verbaler Auseinandersetzungen stellt.“
       Der Aufruf zur globalen Intifada: nur eine verbale Auseinandersetzung also?
       
       Einige Dozierende unterstützen Bisan’s Hof oder reagierten machtlos auf die
       wiedergegebene Hamas-Propaganda. Das habe dazu geführt, dass einige
       Kommilitonen den Kontakt abgebrochen hätten, so Enders. Vor allem das
       Nichthandeln der Hochschulleitung habe sie und die anderen Verfassenden des
       Briefes dazu veranlasst, an die Öffentlichkeit zu gehen.
       
       „Viele persönliche Mails an das Rektorat blieben unbeantwortet“, sagt sie.
       Damit konfrontiert, antwortete man seitens des Rektorats, dass man allen
       übermittelten Sachverhalten nachgegangen sei und einige Mails nicht
       einzeln, sondern in Sammelmails beantwortet würde.
       
       An der Hochschule mit kaum mehr als 500 Studierenden und wo man sich
       untereinander kenne, habe sich die Handlungsunfähigkeit der
       Hochschulleitung schnell herumgesprochen, so Enders. Das Klima sei seit dem
       7. Oktober angespannt und mache es unmöglich, in den Klassen zu sprechen.
       Schnell sei man als „Zionistin“ verschrien gewesen.
       
       Wie die Teilnehmer*innen von Bisan’s Hof zu den Vorwürfen stehen,
       bleibt unklar. E-Mail-Anfragen und Anfragen auf Social Media ließ man
       gegenüber der taz unbeantwortet.
       
       Bis zuletzt wies ein Aushang in Bisan’s Hof darauf hin, dass man nicht mit
       Pressevertretern, die „Ärger provozieren wollen“, spreche.
       
       Am 10. Juni, wenige Tage nach dem offenen Brief, löste die Hochschulleitung
       Bisan’s Hof auf. Für die Zeit nach den Prüfungen plant man gemeinsam mit
       dem Studierendenrat, im Lichthof einen Sozial- und Diskursraum
       einzurichten. Letzte Woche posteten die Initiator*innen von Bisan’s Hof
       auf Instagram, die Anweisung, Bisan’s Hof zu räumen, käme vom
       Bildungsministerium des Landes Sachsen.
       
       Um die Rektorin der HGB vor möglichen staatlichen Reaktionen zu schützen
       und davor, dass die Polizei „unsere Schule mit ihren schmutzigen Schuhen
       betritt“, so das Statement, habe man sich dafür entschieden, das in der
       Parkanlage Lennéanlage entstandene studentische Protestcamp als „sichereren
       Ort für freie Rede zu wählen“.
       
       In den Klassen allerdings gehe die Situation weiter, und „wir müssen mit
       den Organisatorinnen des Protestcamps im Studium fortsetzen, während sie
       ihre antisemitischen Meinungen in Gesprächen und Klassenchats kundtun“, so
       Enders.
       
       18 Jun 2024
       
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