# taz.de -- Verharmlosung von Rechtsextremismus: Wann ist ein Nazi ein Nazi?
       
       > Die Mehrheit erkennt einen Nazi erst, wenn er mit Hitlerbärtchen
       > daherkommt. Rechtsradikale nicht beim Wort zu nehmen, ist derzeit die
       > größte Gefahr.
       
 (IMG) Bild: Lebkuchenherzen bei einer Demonstartion gegen Rechts in Frankfurt/Main am 8. Juni
       
       So sehr sie sich auch anstrengen, die AfD und ihre Fans werden in
       Deutschland nicht ernst genommen. 70 Prozent der befragten AfD-Wähler:innen
       sagten in einer Umfrage zu den Wahlen am vergangenen Sonntag, sie
       entscheiden sich wegen der politischen Forderungen der Partei für die AfD.
       Genau diese Entscheidung trauen aber 70 Prozent aller Befragten in der
       gleichen Umfrage – also auch Wähler:innen anderer Parteien – den
       AfD-Wähler:innen nicht zu.
       
       Diese 70 Prozent glauben, Menschen wählen die AfD aus Protest statt aus
       Überzeugung. Rechtsextreme können der Mehrheit in diesem Land ins
       Gesicht schreien, dass sie es ernst meinen, und trotzdem ignoriert diese
       Mehrheit es oder redet es sich bequem.
       
       Wer noch zweifelt, ob die AfD wirklich, wirklich rechtsextrem ist, kann
       sich die Bücher und Social-Media-Kacheln mit Aussagen ihrer
       Politiker:innen ansehen, die [1][Studie zum rechtsradikalen Profil
       ihrer Wählerschaft von Arzheimer und Berning 2019], die erste seitenlange
       Untersuchung der [2][AfD in dieser Zeitung] vom 23. August 2014.
       
       Selbst der Verfassungsschutz hat das Faschistoide der AfD inzwischen
       festgestellt. Oder diese Umfrage vom Wahlsonntag: 82 Prozent der befragten
       AfD-Wähler:innen sagen über ihre Partei, es sei ihnen „egal, dass sie
       in Teilen als rechtsextrem gilt, solange sie die richtigen Themen
       anspricht“.
       
       ## Solidarität statt die AfD kopieren
       
       Würden die anderen Parteien und ihre Wähler:innen den Rechtsextremismus
       der AfD ernst nehmen, dann hätte der Umgang mit dieser Partei und ihrem
       Umfeld eine ganz andere Dringlichkeit. Zumindest die sich als links
       verstehenden Parteien und ihre Wähler:innen würden die rassistische
       Erzählung und Praxis einer Welt, in der „die Deutschen“ ihren Platz an der
       Sonne mit allen Mitteln verteidigen, nicht von der AfD kopieren. Sondern
       eine eigene Erzählung und Praxis der Solidarität setzen.
       
       Natürlich ist das schwierig, weil die Erzählungen der AfD bei Wahlen
       erfolgreich sind und ohne komplexe Erklärungen auskommen. Es ist aber nicht
       so, als gäbe es keine Modelle, wie sich diese Gesellschaft anders gestalten
       ließe.
       
       Von [3][Marina Weisband, die mit ihrem Aula-Projekt Schulen] demokratischer
       organisieren möchte, über eine empathischere politische Bildung bis hin zu
       Gruppen, die Menschen in der Lausitz dabei unterstützen, sich künstlerisch
       auszudrücken. Es existieren hunderte Ansätze. Was es nicht gibt – außer bei
       autoritären Linken –, ist das eine Großmodell, das alle Probleme in Luft
       auflöst.
       
       Solidarische Praxis hieße, Ressourcen wie Zeit und Geld zu teilen, um
       gemeinsam Einfluss zu nehmen – gerade auch in Dörfern und Kleinstädten.
       Prodemokratische Menschen, die sich dort mit Rechtsextremen anlegen,
       riskieren ihre Gesundheit. Sie brauchen Geld, um ihre Arbeit fortzusetzen.
       
       ## Erstaunen über den netten Dorfnazi
       
       Dieses Geld sollte eigentlich mit dem Demokratiefördergesetz fließen, aber
       die FDP blockiert das. Linke und linksliberale Wähler:innen lieben es,
       diese Partei zu verachten. Sinnvoller wäre es jedoch, Abgeordneten von SPD,
       Grünen und FDP Druck zu machen. Schreiben, fragen, warum das Gesetz nicht
       beschlossen wurde. Noch mal nachfragen.
       
       Wer auf den Staat nicht warten will, schreibt eine Dauerüberweisung an den
       Verein Polylux oder den Dachverband der
       Migrant*innenorganisationen in Ostdeutschland. Die verteilen Geld
       an Gruppen, die es brauchen.
       
       Linke Gruppen aus Ost und West, Stadt und Land, Migrantifas und Weißbrote
       wuseln zu oft nebeneinander her. Über so harte Konfliktlinien wie bei
       der Ukraine und Gaza lassen sich tatsächlich schwer Möglichkeiten der
       Zusammenarbeit finden. Doch über die Petitesse, dass man sich gegenseitig
       uncool findet, sollte man hinwegsehen können.
       
       Weiße Menschen, die aufs Land ziehen, sollten nicht nur erstaunt
       feststellen, dass der Handwerker von der AfD so nett zu ihnen ist wie der
       Dorfnazi im Roman von Juli Zeh. Sondern nachfragen, zu wem der Handwerker
       nicht nett ist. Und sich entsprechend organisieren. Sich organisieren,
       nicht allein bleiben und andere nicht allein lassen, ist ohnehin eine gute
       Idee.
       
       ## Das ständige Gerede von Abschiebungen
       
       Wenn Politiker:innen von Union bis Grüne das Rassistische und
       Unsolidarische an der AfD als Gefahr ernst nehmen wollen, sollten sie den
       Boden, auf dem diese Partei geht, nicht mit ihren Zungen wischen. Das
       Gerede von Abschiebungen, Abschiebungen, Abschiebungen – geht da was
       anderes als AfD-Kopie?
       
       2015 war es, da bezweifelten Menschen bis ins linksliberale Spektrum
       hinein, dass das Pegida-Gesicht Lutz Bachmann ein rechtsextremer Rassist
       sei. Dann tauchte ein Foto von ihm mit Hitlerbärtchen auf. Aufschrei, sogar
       bei Pegida. Müssen sich Nazis in Deutschland als Nazis verkleiden, um als
       Nazis ernst genommen zu werden?
       
       16 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://idw-online.de/de/news719067
 (DIR) [2] /Christlich-extrem-antieuropaeisch/!5034953
 (DIR) [3] /Gespraech-mit-Marina-Weisband/!5816151
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Schulz
       
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