# taz.de -- Demeter und der NS-Staat: Braune Stellen am Gemüse
       
       > Der Demeter-Verband feiert 100 Jahre biodynamische Landwirtschaft. Über
       > NS-Verbindungen führender Funktionäre spricht man da nicht gern.
       
 (IMG) Bild: Hier haben Kühe noch Namen: Der Demeter-Bauernhof Marienhöhe bei Bad Saarow
       
       MARIENHÖHE taz | Kinder jagen über den Bauernhof, jaulen vergnügt wie
       kleine Wölfe. Auf der Marienhöhe oberhalb von Bad Saarow, Brandenburg, kann
       sich eine Grundschulklasse an diesem Maimorgen Ferkelchen anschauen, den
       Rohmilchkäse probieren und die Finger schmutzig machen – in
       anthroposophisch gesegneter Erde.
       
       100 Jahre biodynamische Landwirtschaft feiert der Demeter-Verband gerade.
       Mit Hoffesten, Führungen, Märkten. Der Jubiläumsbericht zeigt kernig-bunte
       Bilder und erzählt eine Erfolgsgeschichte. Weltweit mehr als 9.000 Betriebe
       arbeiten heute nach Demeter-Richtlinien.
       
       Den ältesten Demeterhof, Marienhöhe, leitet heute Gerald von Hackewitz,
       gemeinsam mit anderen. Der Bauer – um die 50, Fünftagebart, Cordweste –
       tritt aus dem sandfarbenen Landhaus, zeigt stolz den neuen Freilaufstall.
       50 Rinder leben hier, der Name eines jeden steht auf einer Schiefertafel,
       gemolken wird von Hand. Gleich nebenan rührt einer von 16 Mitarbeitenden in
       Käsemasse. Auch Quark und Sauerrahmbutter machen sie hier, Kindern bringen
       sie die Landwirtschaft näher, Freiwillige helfen beim Jäten. Marienhöhe:
       ein ganzheitliches Idyll.
       
       „Das war hier auch ein Experiment“, sagt von Hackewitz über die Pionierzeit
       in den Zwanzigerjahren. Auf ganz leichtem Boden, extrem trocken, sollte
       sich auf Marienhöhe die Lehre Rudolf Steiners beweisen. „Der Ansporn war:
       Wenn es hier funktioniert, dann muss es überall funktionieren. Deswegen war
       es ein Vorzeigebetrieb.“
       
       Demeter ist bekannt für Nachhaltigkeit, für Produkte von hoher Qualität und
       entsprechend hohe Preise. Weniger bekannt sind die esoterischen Grundlagen.
       Und was im bunten Jubiläumsbericht zum 100-Jährigen fehlt: die
       NS-Verbindungen [1][führender Demeter-Funktionäre]. Allen voran Erhard
       Bartsch, Gründervater des Verbandes und der Marienhöhe.
       
       ## „Homöopathie für den Boden“
       
       Bartsch, Ex-Militär und promovierter Landwirt, war Praktikant auf einem
       Guthof im schlesischen Koberwitz, als [2][Rudolf Steiner] dort im Juni 1924
       seinen seinen Landwirtschaftlichen Kurs gab.
       
       Beeinflusst vom deutschen Idealismus und den esoterischen Strömungen seiner
       Zeit, verkündete der 1861 im Habsburgerreich geborene Steiner Inhalte aus
       der sogenannten Akasha-Chronik, der Vorstellung einer Art Weltgedächtnis,
       in das er Einblick zu haben glaubte. Seine Lehre sollte in Praxisfeldern
       aber auch sichtbar – und rentabel – werden.
       
       „Der Kommende Tag – Aktiengesellschaft zur Förderung wirtschaftlicher und
       geistiger Werte“ hieß die Unternehmensgruppe, die Steiner und die Seinen
       1920 gründeten. Zu ihr gehörten unter anderem ein Verlag, Banken, eine
       Werkzeugfabrik, die Waldorf Astoria Zigarettenfabrik und die erste
       Waldorfschule in Stuttgart. Auch die [3][Naturkosmetikfirma Weleda] ist aus
       der Aktiengesellschaft hervorgegangen.
       
       Im Koberwitz erschloss Steiner die Landwirtschaft als anthroposophisches
       Praxisfeld. Dabei zentral: Kuhhörner. Als eine Art Antenne schufen sie für
       ihn eine Verbindung zum „Astralischen“ im Kosmos, von der nicht nur das
       Rind selbst profitiert. Eines der Rezepte, die Steiner den rund 100
       Versammelten gab: Bergkristallpulver, Schafgarbenblüten, eine Hirschblase
       in die Hörner füllen und über den Winter vergraben.
       
       Demeter besteht bis heute darauf, dass seine Erzeuger:innen den
       verrotteten Inhalt – die sogenannten Präparate – extrem mit Wasser
       verdünnen und eine Stunde lang von Hand rühren. Mit einem Reisigbesen. In
       beide Richtungen. Bei guten Gedanken.
       
       Als „Homöopathie für den Boden“ sprühen Biodynamische wie Gerald von
       Hackewitz dieses Wasser auf ihre Felder. Der biodynamische Landbau
       verspricht sich davon fruchtbarere Böden, besseres Futter, verträglichere
       Milch. Unabhängig belegt ist das nicht.
       
       ## Die Biodynamischen waren keineswegs nur Opfer
       
       Nach dem Kurs 1924 auf Gut Koberwitz sollte in einem „Versuchsring“ mit
       Steiners Angaben experimentiert werden, der „Herr Doktor“ selbst starb
       schon im März 1925.
       
       Mit Hilfe des früheren Reichskanzlers Georg Michaelis fand Erhard Bartsch
       auf der Marienhöhe schließlich einen Hof, den er in den Jahren der Weimarer
       Republik zum Zentrum der biodynamischen Landwirtschaft und des 1928
       gegründeten Demeter-Verbandes ausbauen konnte. Und dann?
       
       Im Jubiläumsbericht heißt es zur NS-Zeit: „Alle Demeter-Organisationen und
       die Monatsschrift 'Demeter’ in Deutschland werden durch die Nazis verboten,
       führende Persönlichkeiten werden inhaftiert, Auskunftsstellen geschlossen,
       Literatur beschlagnahmt“.
       
       In der Tat wurde 1941 der von Bartsch gegründete „Reichsverband für
       biologisch-dynamische Wirtschaftsweise in Landwirtschaft und Gartenbau“
       verboten. Doch in den Jahren zuvor und danach waren die Biodynamischen
       keineswegs nur Opfer. Das sollte Demeter eigentlich wissen. Hat der Verband
       doch nach zunehmender Kritik selbst eine historische Untersuchung in
       Auftrag gegeben. Der taz liegen die Ergebnisse vorab vor, veröffentlicht
       wird die Arbeit Anfang Juli im [4][Dokumentationszentrum Topographie des
       Terrors] in Berlin.
       
       ## Juden und Jüdinnen werden an den Rand gedrängt
       
       Nach der Machtübergabe an die Nazis im Januar 1933 folgte die
       Gleichschaltung von Kultur und Wirtschaft. In der deutschen
       Anthroposophischen Gesellschaft (AG) kam es der neuen Studie nach zu einer
       hitzigen Anpassungs-Debatte. Ita Wegmann, Geliebte Rudolf Steiners und
       Begründerin der anthroposophischen Medizin, schrieb im Juni 1933 aus dem
       schweizerischen Dornach an Kollegen in London: „Von Deutschland keine guten
       Nachrichten; da sind die Menschen ohne Freiheit und das Traurige ist, dass
       sie es nicht einmal mehr merken und dass unsere Anthroposophen in großen
       Scharen mitmachen.“
       
       Der AG-Vorstand lehnte das „Führerprinzip“ und einen „Arierparagraphen“ für
       sich ab. Juden und Jüdinnen wurden nicht ausgeschlossen, [5][aber an den
       Rand gedrängt]. 1935 wurde die AG trotzdem verboten.
       
       Für die Mitglieder der biodynamischen Verbände hingegen stand schon ab
       Sommer 1933 fest, dass sie die Eingliederung in den NS-Staat wollten. So
       der Befund der Wissenschaftler:innen Jens Ebert, Susanne zur Nieden
       und Meggi Pieschel.
       
       Das „Führerprinzip“ hielt Einzug bei den Biodynamischen, mit Eberhard
       Bartsch an der Spitze. Ihm unterstanden die Geschäftsstellen des
       Versuchsrings, des Demeter-Wirtschaftsbundes und der Monatsschriften.
       Paragraf 3 der Satzung des von Bartsch gegründeten „Reichsverbands“ schloss
       Juden aus.
       
       ## Bartsch verehrte die „Persönlichkeit“ Adolf Hitlers
       
       In seinen Schriften und Briefen gibt es keine antisemitischen oder
       rassistischen Argumentationen, Bartsch blieb ganz Anthroposoph. Und doch,
       so geht aus der neuen Studie hervor, unterstützte er den NS-Staat und
       verehrte die „Persönlichkeit“ Adolf Hitlers. Der Führer aber wollte gar
       nichts wissen von Düngung mit astralischen Kuhhörnern.
       
       Der weit größte Teil der NS-Elite stand dem „Stickstoff-Syndikat“ nahe, das
       zunächst unter der Führung der BASF, später der I.G. Farben, den Einsatz
       von Kunstdünger in der „Erzeugungsschlacht“ propagierte.
       
       Allein Chemiekritiker wie der „Stellvertreter des Führers“ Rudolf Heß,
       „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler und „Reichsernährungsminister“ Walther
       Darré hingen der Idee einer „ursprünglichen“ Landwirtschaft ohne
       Kunstdünger an. Bartsch und seine Mitstreiter sahen darin eine Chance,
       nicht verboten zu werden. Es lockte auch die Gelegenheit, aus der Nische
       herauszukommen.
       
       ## Hitler auf dem Titel der Demeter-Zeitschrift
       
       Bartsch knüpfte Kontakte, verwob die Steinersche Idee des geschlossenen
       Betriebsorganismus mit dem Autarkiegedanken der Nazis und druckte zum
       Führergeburtstag 1939 ein Bild Hitlers auf den Titel der
       Demeter-Zeitschrift. Wiederholt lud er NS-Funktionäre auf die Marienhöhe
       ein, wo er die Wirksamkeit der kosmischen Präparate nachzuweisen versuchte.
       Am 18. Juni 1940 gelang es Bartsch, „Reichsbauernführer“ Darré in
       Marienhöhe zu empfangen. Rudolf Heß, schreibt der Anthroposophie-Experte
       Helmut Zander, brachte zu Kabinettssitzungen biodynamische Nahrungsmittel
       mit und trug Sorge, daß das Heß-Krankenhaus in Dresden Demeter-Gemüse
       erhielt.
       
       In einer Rede vor seinen Mitarbeitenden in Marienhöhe sagte Bartsch am
       Kriegs-Jahreswechsel 1940/41: „daß der Führer selbst mit wachsender
       Aufmerksamkeit auf unsere Arbeit hinschaut.“ Er endete mit einer Art
       Schlachtruf: „Deutscher Geist und deutsches Schwert werden dem
       kulturschaffenden Bauern die Zukunft sichern. Heil dem Führer“.
       
       Anthroposophische Zeitgenossen gaben in der Rückschau an, die Jahre 1934
       bis 1941 wären mehr gewesen als nur eine „Zeit ungestörten Aufbaus“. Die
       biodynamische Landwirtschaft habe einen „mächtigen Schritt vorwärts in
       einem Tempo gemacht, wie er in ruhigen Zeiten– geschweige denn im
       ‚Schneckengehäuse‘– nie so rasch zustande gekommen wäre.“
       
       Gerald von Hackewitz kennt die Geschichte seines Hofes. „Ich weiß, was hier
       geleistet worden ist, ich weiß, in welchem Grenzbereich das liegt“, sagt
       er. „Keiner weiß ja, wenn man drinnen steht, wie die Zukunft sich
       entwickelt. Wer frei von Schuld ist, werfe den ersten Stein.“ Im Gespräch
       ist herauszuhören: eine anderen Epoche überlagert die NS-Zeit auf der
       Marienhöhe. 40 Jahre selbst erlebte DDR-Agrarpolitik.
       
       Auf dem Hof ist jetzt Mittag, die Mitarbeitenden sammeln sich. Auf einer
       Holzbank steht ein Blumenstrauß, Frau von Hackewitz soll ein
       Geburtstagsständchen bekommen.
       
       Später, zum Abschied, sagt ihr Mann: „Wenn der Bartsch damals nicht so
       vorne dran gestanden und seine Sache vertreten hätte, auf allen Ebenen und
       auf höchster Ebene gegen gehalten hätte, dann würde es die
       biologisch-dynamische Wirtschaftsweise wahrscheinlich nicht geben.“
       
       ## „Englandflug“ von Heß führt zu Verbot von Demeter
       
       Alexander Gerber ist Geschäftsführer von Demeter. Er kennt die neue Studie
       schon. „Was wir herausgefunden haben, ist divers. Wir sehen keine
       systematische Nähe, aber durchaus einzelne Akteure, die kooperiert haben.“
       Gerber sagt auch: „Ähnlich wie heute stand die biodynamische Landwirtschaft
       damals unter dem Druck der Agrarindustrie.“
       
       Doch warum ist im Jubiläumsbericht nichts zu den NS-Verbindungen zu finden?
       „Was vor 1941 geschah, betrifft nicht Positionen des Verbandes, sondern die
       einzelner Akteure.“ Unter dem „Führerprinzip“ scheint das allerdings schwer
       zu trennen.
       
       Trotz der guten Verbindungen Erhard Bartschs wurde sein Verband 1941
       verboten. Am 10. Mai war Rudolf Heß mit einer Messerschmitt Bf-110 Richtung
       Nordwesten gestartet und am Fallschirm über Schottland aus dem Flugzeug
       gesprungen. Er wollte mit Großbritannien einen Frieden verhandeln, war aber
       Desinformation aufgesessen und landete in Gefangenschaft. Hitler tobte,
       seine Propaganda setzte den „Englandflug“ mit Heß’ okkulten Interessen in
       Verbindung und verbot alles, was nach Esoterik aussah. Auch Demeter. Erhard
       Bartsch wurde mehrfach kurzzeitig inhaftiert.
       
       ## „Kräutergarten“ in Dachau
       
       Im Gestapo-Verhör am 20. Juni 1941 gab er an, kurz vor der Verhaftung sei
       ihm ein Befehl Himmlers übermittelt worden, die Landwirtschaft im KZ
       Auschwitz solle biodynamisch werden. Er sei bereits zu einer Besichtigung
       aufgefordert worden.
       
       Die SS-Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung war seit 1940
       korporatives Mitglied in Bartschs Reichsverband, die SS rekrutierte sechs
       biodynamische Fachkräfte, um in den KZ Ravensbrück und Dachau sowie im der
       besetzten Ukraine Versuchsflächen biodynamisch zu bewirtschaften. Diese
       Versuche wurden auch nach dem Demeter-Verbot fortgesetzt, mit
       ausdrücklicher Billigung Bartschs. Nach dem Krieg setzte der sich nach
       Österreich ab, wo er weiter publizierte und 1960 starb.
       
       Die Mitarbeit der Biodynamischen auf den SS-Gütern könne nur als
       Kollaboration bezeichnet werden, so die neue Studie. Franz Lippert, bis
       1940 Gärtner bei Weleda und danach Leiter der euphemistisch „Kräutergarten“
       genannten biodynamischen SS-Felder in Dachau, musste sich nach 1945 als
       Einziger einem Entnazifierungsverfahren stellen. Wie die Mehrzahl der
       Deutschen wurde er entlastet.
       
       Auf der Webseite von Weleda steht, dass es nach 1940 keine Zusammenarbeit
       mehr mit Lippert gegeben habe. Die neue Studie aber zitiert ein
       Weleda-Protokoll von 1947, in dem es heißt, „dass wir ohne Lippert gar
       nichts Rechtes machen können. Inzwischen ist L. dagewesen. Eine gründliche
       Aussprache ergab durchaus die Möglichkeit der Zusammenarbeit auf einer
       guten menschlichen Basis.“ Auch das gehört zu 100 Jahren biodynamischer
       Landwirtschaft.
       
       23 Jun 2024
       
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