# taz.de -- Theaterstück „Rohtko“ über Kunstmarkt: Die Garküche der Moderne
       
       > Łukas Twarkowski untersucht das Verhältnis von Kunst und Geld, Original
       > und Fälschung. Das Theaterstück „Rohtko“ lief bei den Wiener Festwochen.
       
 (IMG) Bild: Realwirtschaft im chinesischen Küchencontainer: eine Szene aus „Rohtko“
       
       Das Mr. Chow in der 57. Straße war einmal der Sehnsuchtsort für alle, die
       in New York irgendwas mit Kunst machen. Zumindest in der Zeit, als Andy
       Warhol, [1][Jean-Michel Basquiat] und andere Branchengrößen dort Hof
       hielten und Künstler:innen, Galerist:innen, Sammler:innen und andere
       wichtige Menschen einander im verlängerten Wohnzimmer trafen. Man sprach
       über Kunst, fast nie über Geld, auch wenn es fast immer darum ging.
       
       In Łukas Twarkowskis bildmächtigem vierstündigem Theaterabend einer
       lettisch-polnischen Koproduktion des Daile-Theaters in Riga bei den Wiener
       Festwochen gerät das Lokal zum Brutreaktor der Entwicklungen und
       Widersprüche der Nachkriegsmoderne, wird Schauplatz einer nichtlinearen
       Bühnenerzählung, die sich auf einer Skala zwischen den 1950er Jahren und
       der Gegenwart vor und zurück bewegt.
       
       Sie beginnt mit der heroischen Bildverweigerung informeller Malerei, mit
       Mark Rothko oder [2][Jackson Pollock], endet in den Preisexplosionen und
       Auktionsrekorden der Gegenwart, angetrieben von der nicht enden wollenden
       Nachfrage global agierender, kaum regulierter oder besteuerter
       Vermögenskonzentrationen.
       
       [3][Ist Kunst am Ende nur eine Zauberformel, die Menschen mit Geld selbiges
       entlockt], fragt der an Thesen reiche, aber nie thesenhaft geratene Text
       von Twarkowskis Autorin und Dramaturgin Anka Herbut. Da war doch noch was.
       Aus der Vergangenheit schleudert Mark Rothko, der radikalste unter den
       Abbildungsverweigerern, den prophetischen Bannfluch gegen Kitsch und
       Kommerz. Als die schönen Menschen in den 1980ern fein speisten, hatte er
       längst Hand an sich gelegt. Für ihn war Kunst reiner Ausdruck, eine Art
       diesseitiger Spiritualität, deren Rezeption ebenso spekulativ geraten
       musste. An der konsequenten Verweigerung der Warenform kleben längst die
       höchsten Preisschilder.
       
       Blase des Finanzkapitals 
       
       Das Mr. Chow hat sich vom upscale restaurant in Midtown Manhattan zum
       Vorstadtchinesen mit roten Lampions verwandelt, wie ihn die Diaspora in
       allen Teilen der Welt betreibt. Twarkowski setzt dem [4][Kunstmarkt als
       Blase in der Blase des Finanzkapitals] ein Stück Realwirtschaft in Gestalt
       eines engen Küchencontainers entgegen. Der Ortswechsel hat auch praktische
       Gründe. Das Nachdenken über Kunst in „Rohtko“ – kein Schreibfehler –
       entspinnt sich anhand eines Kriminalfalls.
       
       Ein renommierter Sammler erwarb von einer renommierten Händlerin eine bis
       dahin unbekannte Farbfeldmalerei von Rothko für 8,5 Millionen, die aus
       einer Garküche in Queens stammte. Mit der dort üblichen handwerklichen
       Qualität tat das Artefakt seine Dienste als Kunstwerk, es affizierte seine
       Betrachter:innen, bis offenbar die falsche Buchstabenfolge in der
       Unterschrift auffiel. Ist das, was man mit dem Bild erlebt hat, nicht mehr
       existent, weil es nicht von Rothko stammt?
       
       Asiatische Denktraditionen, so hört man, halten westliches
       Ursprungsdenken ohnehin für eine epistemologische Schwäche. Kann man doch
       am gut gemachten Abbild besser ablesen, „was gemeint ist“. Versteckt sich
       mit dem Festhalten am Original am Ende ein Fetisch im rationalen
       Denksystem?
       
       Das Lokal wird auf der Drehbühne immer wieder verschoben, neu
       zusammengesetzt, im Low-Key-Stil ausgeleuchtet, um die Akteur:innen per
       Livevideo im Close-up aus der Theatererzählung herauszuheben und ihr
       unterkühltes Spiel bis in unmerkliche, aber Bedeutung tragende Nuancen zu
       verfolgen.
       
       Verwirrspiel um Ur- und Abbild 
       
       Die somnambul immer etwas neben der Spur fahrenden Dialogpartner:innen
       nehmen sich auf Lettisch, Polnisch, Englisch und Chinesisch alle
       Theaterzeit der Welt. Was im Wong-Kar-Wei-Licht oberhalb des Geschehens
       fast über die gesamte Bühnenbreite flimmert, ist wirklich großes Kino und
       entwickelt, getragen von einem permanenten Klangteppich, tatsächlich einen
       Flow.
       
       Naturalistisches Spiel mündet in choreografierte Intermezzi, bevor sich
       eine Wirklichkeit behauptende „Situation“ einstellen kann.
       Schauspieler:innen treten aus ihrer Rolle und deklarieren ihre Arbeit
       daran als Forschungsergebnis. Twarkowski zieht das Theater geschickt hinein
       in das Verwirrspiel der Kunst um Ur- und Abbild, ist es doch die Form, die
       entgegen allem Ursprungsdenken ihre Wahrheit gerade in der Nachahmung
       sucht.
       
       24 Jun 2024
       
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