# taz.de -- Wahlen in Thüringen: Politik ist kein Ponyhof
       
       > Seine Partei ist in Umfragen abgestürzt. Thüringens linker
       > Ministerpräsident Bodo Ramelow kämpft dennoch unverdrossen um sein Amt
       > und das Land.
       
 (IMG) Bild: Mit Pony in den Wahlkampf. Dieses Bild stellte die Thüringer Staatskanzlei der Presse zur Verfügung
       
       taz | ILMENAU – Das Pferd reicht Bodo Ramelow bis zur Hüfte. Um es zu
       streicheln, muss er sich herunterbeugen. Er soll es jetzt eine Stunde lang
       am Strick durch den Wald führen, dabei darf das Pony auf keinen Fall
       fressen. Tja, was macht man nicht alles als Ministerpräsident, zumal wenn
       Wahlkampf ist.
       
       Die Besitzerin, Sozialpädagogin Rosalie Klaua, rät dazu, das Kleinstpferd
       nicht zu unterschätzen. „Mit kleinen Pferden ist es wie mit kleinen Hunden
       – sie haben ein großes Selbstvertrauen.“
       
       „Mit kleinen Hunden kennt der Chef sich ja aus“, ruft eine Mitarbeiterin
       der Staatskanzlei. – „Mit großem Selbstvertrauen auch“, ergänzt Ramelow.
       
       Beides wahr. Jack Russell Terrier Attila hatte Bodo Ramelow 15 Jahre lang
       begleitet und ein Körbchen in der Staatskanzlei, bis er im vergangenen Jahr
       eingeschläfert werden musste. Sein Herrchen will Thüringer
       Ministerpräsident bleiben, obwohl seine Partei in Umfragen zum Teil bei nur
       noch 11 Prozent liegt. Das zeugt von sehr großem Selbstvertrauen. Vorne
       liegt seit Monaten die AfD, die auf knapp 30 Prozent kommt, dahinter folgen
       die CDU und die neue Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Ramelows
       Linke, bei der Wahl vor fünf Jahren mit 31 Prozent der Stimmen noch
       stärkste Partei, liegt nur auf dem vierten Platz.
       
       Es ist Ramelows vielleicht letzte Sommertour als Ministerpräsident. Er
       nimmt sein Pony am Halfter und läuft los. „Ferdinand, du darfst jetzt nicht
       fressen“, schärft er dem Tier ein. Ferdinand zockelt brav hinterher.
       
       So eine Wanderung mit Pony stärke die Selbstregulierung, sagt Rosalie
       Klaua, die einen Hof mit Ponys, Schafen, Hühnern und Meerschweinchen
       betreibt und Freizeiten für Kinder und Familien anbietet. „Man muss sich
       zurücknehmen.“ Gut für Kinder, gut für Politiker, zumal für so impulsive
       wie Bodo Ramelow. Dessen größte Stärke ist zugleich seine größte Schwäche.
       Er lässt alles an sich heran, vieles geht ihm nah, und das zeigt er auch.
       Dieser Tage ist der Firnis des Staatsmanns bei ihm noch dünner. Man wünscht
       sich, er hätte jetzt häufiger ein Pony an seiner Seite.
       
       ## Neue Strategie: Demokrat vs. Faschist
       
       Aber die Lage ist auch vertrackt. Ramelow ist ein beliebter
       Ministerpräsident, weitaus populärer als die Herausforderer Mario Voigt von
       der CDU oder AfD-Chef Björn Höcke. Die Strategie der Linken ist also, ganz
       auf Ramelow zu setzen, auf das Duell des Demokraten gegen den Faschisten
       Höcke. Doch das Motto „Bodo oder Barbarei“ funktionierte nur bis zum
       Januar.
       
       Anfang des Jahres gründete die einstige Linke-Spitzenpolitikerin Sahra
       Wagenknecht ihre eigene Partei, für die sie hinter den Kulissen auch um
       bekannte Kommunalpolitiker:innen in Thüringen geworben hat. Die
       Eisenacher Bürgermeisterin Katja Wolf, die 1992 in die damalige PDS eintrat
       und wie Ramelow 1999 erstmals in den Thüringer Landtag gewählt wurde, ist
       nun [1][Spitzenkandidatin des BSW in Thüringen].
       
       Aus seiner Enttäuschung macht Ramelow keinen Hehl. Im Interview mit der
       Berliner Zeitung erklärte er, er fühle sich von Wolf, mit der er 25 Jahre
       politisch unterwegs war, belogen und hintergangen. Von ihrem Wechsel habe
       er durch seinen Staatsminister erfahren. Man habe sich menschlich
       ausgesprochen, sagt er, mehr habe er dazu nicht zu sagen. Man merkt, es
       nagt an ihm.
       
       Tatsächlich sind Wagenknecht und ihre Partei momentan gefährlicher für
       Ramelow als seine erklärten Hauptgegner Höcke und die AfD. Denn seine
       Wähler:innen rekrutiert das BSW vor allem [2][aus enttäuschten Linken,
       wie die Europawahl zeigte]. Laut der Nach-Wahl-Befragung von Infratest
       dimap wechselten seit der Bundestagswahl 470.000 Wähler:innen von der
       Linken zum BSW, dreimal mehr als von der AfD. „Katja, du lügst dir in die
       Tasche“, hielt ihr Ramelow am vergangenen Sonntag [3][in Erfurt beim taz
       Panter Forum] entgegen. „Ihr zieht vor allem Wähler von uns.“
       
       An einem kleinen Waldsee macht die Ponygruppe Rast. Bodo Ramelow setzt sich
       auf eine Bank und schaut über den Teich, auf dem die Seerosen blühen.
       Vermutlich hätte Ramelow bessere Chancen, Ministerpräsident zu bleiben,
       wenn er auf dem Ticket der Wagenknecht-Partei antreten würde. Ramelow
       schüttelt den Kopf. Die Headhunter vom BSW seien zwar früh an ihn
       herangetreten, er habe aber immer abgelehnt. „Da geht’s mir nicht um meine
       Position als Ministerpräsident. Es geht um unser Land, um die Demokratie.“
       
       Das BSW hat bis heute kaum Mitglieder in Thüringen, gerade mal 41 Menschen
       waren auf dem Parteitag. Das Programm wurde aus Berlin geliefert. Sie ist
       der Prototyp einer straff von oben geführten Organisation, das Gegenteil
       einer quirligen Mitgliederpartei.
       
       Sahra Wagenknecht und ihren Mann Oskar Lafontaine kennt Ramelow seit
       Langem. Mit Wagenknecht sei er bis zum Schluss eigentlich gut klargekommen,
       wisse aber auch um ihre Unfähigkeit, im Team zu arbeiten und Leute zu
       führen. „Sie hat sich immer abgesondert.“ Mit Lafontaine hatte er sich
       schon überworfen, als dieser noch Linke-Chef und Ramelow sein
       Stellvertreter war. „Die Art und Weise, wie er Menschen wie Schachfiguren
       benutzt, hat mich immer gestört.“
       
       Die Ironie der Geschichte: Nach dem Zerwürfnis mit Lafontaine wurde Ramelow
       zu dem, der er heute ist. Er verließ Berlin und machte sich auf, in
       Thüringen Ministerpräsident zu werden. 2014 klappte es, er schmiedete eine
       Regierung mit SPD und Grünen. Fünf Jahre später gewann die Linke mit ihm
       sogar die Landtagswahl.
       
       ## Die Causa Kemmerich
       
       Doch als Ramelow sich im Februar 2020 im Landtag erneut zum
       Ministerpräsidenten wählen lassen wollte, erhielt nicht er, sondern der
       FDP-Mann Thomas Kemmerich im dritten Wahlgang die meisten Stimmen, darunter
       alle der AfD. Nach einer quälenden Zeit der Instabilität konnte Ramelow
       schließlich mit SPD und Grünen erneut eine Regierung bilden, musste sich
       allerdings fortan auf die CDU als Mehrheitsbeschafferin verlassen.
       
       Die tolerierte Minderheitsregierung sei besser als ihr Ruf, meint Ramelow
       heute, die Zusammenarbeit mit der CDU von „Professor Voigt“ funktioniere
       jenseits der öffentlichen Bühne gut. Zusammen habe man 149 Gesetze auf den
       Weg gebracht, mehr Lehrer:innen und Polizist:innen eingestellt. Das
       steht auf der Habenseite der Bilanz, auf der Sollseite stehen überfüllte
       Erstaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete, eine überforderte Verwaltung und
       Kommunen, die sich alleingelassen fühlen.
       
       Missstände, aus denen die AfD Zustimmung saugt, aber auch das BSW, das
       ebenfalls auf Abschiebungen setzt und Asylverfahren am liebsten in
       Drittstaaten auslagern würde. Sahra Wagenknecht kündigte diese Woche an,
       man werde nicht mehr jeden Antrag der AfD reflexartig ablehnen. Die grüne
       Spitzenkandidatin Madeleine Henfling warnt: „Das kann sehr hässlich werden
       in Thüringen.“ Sie würde die rot-rot-grüne Regierung am liebsten
       fortsetzen. Aber derzeit sei das eben auch „utopisch“. Linke, Grüne und SPD
       sind weit von einer Mehrheit entfernt.
       
       Ramelow schickt sich derweil an, die Linke und Thüringen im Alleingang zu
       retten – und zwar „mit Kampfgrinsen bis zum 1. September“. Als man
       skeptisch guckt, wird er dringlicher. „Sie erleben einen 68-Jährigen, der
       mit riesiger Energie an den Themen dieses Landes arbeitet. Ich habe drei
       Monate konsequent gefastet, keinen Alkohol getrunken, und mein Körper ist
       in einem extrem guten Zustand.“ Na dann.
       
       Ramelow verweist auf die Geschichte. Als er 2004 Wahlkampfleiter der PDS
       wurde, war diese gerade aus dem Bundestag geflogen. „Keiner hat einen
       Blumentopf auf uns gewettet, und ich habe das höchste Wahlergebnis aller
       Zeiten für die PDS eingefahren“, sagt er trotzig. Bei der Bundestagswahl
       2005 erreichte die PDS traumhafte 8,7 Prozent. Allerdings hatte sich zuvor
       die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) von der SPD
       abgespalten, die Renegat:innen kandidierten auf den Listen der PDS. So
       ein Moment eines linken Aufbruchs ist gerade nicht in Sicht.
       
       Für den weiteren Weg übergibt Pferdebesitzerin Klaua Leitstute Gretchen an
       Ramelow. Der verweist den Staatssekretär, der hinter ihm mit Ferdinand
       drängelt, auf seinen Platz: „Hier wird nicht überholt, es gibt klare
       Hierarchien.“ Zur Krux gehört auch: Die Linke hat es nicht geschafft,
       [4][einen Nachfolger zu etablieren], ein frisches Zugpferd, welches Ramelow
       ersetzen könnte. Also hängt die Linke genauso an Ramelow wie Ramelow an der
       Linken. „Alle Ministerpräsidenten, die in Wahlkämpfe gegangen sind und hohe
       Beliebtheitswerte hatten, haben es am Ende geschafft, das auch wieder auf
       ihre Partei zu lenken“, meint Ramelow.
       
       ## Bodo Ramelow fällt nicht vom Pferd, er springt
       
       Klingt wie Autosuggestion. Er erzählt, wie er einmal vom Pferd gefallen
       ist. Die PDS protestierte hoch zu Ross gegen ein Reitweggesetz, und als
       Ramelows Pferd vom Trab in den Galopp fiel, rutschte der Sattel zur Seite.
       „Da musst du dich entscheiden, ob du unters Pferd fällst oder abspringst.“
       Er sprang ab. Und blieb unverletzt. Die Anekdote passt gut in Ramelows
       Biografie, der mehr als einmal fiel, sich aber aufrappelte und munter
       weitermachte. Derzeit spricht vieles für den Fall, [5][weniger fürs
       Aufrappeln].
       
       Schafft er sich wieder einen Hund an, wenn er nicht mehr im Amt ist? Das
       sei zu Hause kein Thema, sagt er. „Aber auf keinen Fall ein Pony, die sind
       zu klein und in der Mitte zu breit. Vielleicht ein Alpaka.“ Wäre mal was
       Neues. Für Überraschungen ist er immer gut.
       
       30 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Buergermeisterin-verlaesst-die-Linke/!5990183
 (DIR) [2] /Abschneiden-von-BSW-und-Linkspartei/!6015450
 (DIR) [3] /taz-Panter-Forum/!6018874
 (DIR) [4] /Parteitag-der-Linken-in-Thueringen/!6007174
 (DIR) [5] /Niedergang-der-Linkspartei/!6016387
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anna Lehmann
       
       ## TAGS
       
 (DIR) wochentaz
 (DIR) Linkspartei
 (DIR) Wahlen in Ostdeutschland 2024
 (DIR) Schwerpunkt Landtagswahl Thüringen
 (DIR) GNS
 (DIR) Wahlen in Ostdeutschland 2024
 (DIR) Die Linke
 (DIR) Linkspartei
 (DIR) taz Panter Stiftung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Ein Dorf wählt rechts: Idylle in Himmelblau
       
       Im Thüringer Dorf Manebach haben bei den Europawahlen 40 Prozent für die
       AfD gestimmt. Einfache Antworten auf den Rechtsruck sucht man hier
       vergebens.
       
 (DIR) Existenzkrise der Linkspartei: Bittere Bestandsaufnahme
       
       Die Linkspartei müsse „ihre Weltsicht modernisieren“, fordert das Netzwerk
       Progressive Linke. Und es hofft, dass es dafür nicht schon zu spät ist.
       
 (DIR) Niedergang der Linkspartei: Nur ein historischer Irrtum?
       
       Sahra Wagenknecht gilt als Totengräberin der Linkspartei. Dabei ist das
       Ende der Partei eine nahezu zwangsläufige Entwicklung.
       
 (DIR) taz Panter Forum: Ramelow, im Modus der Melancholie
       
       Die thüringische Spitzenpolitikerinnen*-Runde ist sich beim taz Panter
       Forum einig: Koalitionen mit der AfD soll es nicht geben.