# taz.de -- Israelische Politik im Westjordanland: Kollaps verschoben
       
       > Israels Finanzminister verzichtet auf eine Abkoppelung palästinensischer
       > Banken vom israelischen Zahlungssystem. Dafür werden Außenposten
       > legalisiert.
       
 (IMG) Bild: Ein Symbol der Siedlerbewegung: Der Außenposten Eviatar wurde mehrfach geräumt. Jetzt soll er legalisiert werden
       
       BERLIN taz | Der befürchtete unmittelbare ökonomische Kollaps der
       Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) ist abgewendet – vorerst. Seit März
       hatte Israels rechtsextremer Finanzminister Bezalel Smotrich gedroht, ein
       Abkommen, das Zahlungsflüsse zwischen palästinensischen und israelischen
       Banken absichert, ab dem 1. Juli nicht weiter zu verlängern. Außerdem hatte
       er die Steuergelder, die Israel für die PA einnimmt, zurückgehalten.
       
       Am Sonntag kam nun in letzter Sekunde die Kehrtwende. [1][Smotrich]
       verlängerte das Abkommen: Israelische Banken dürfen weiterhin mit der
       Palästinensischen Autonomiebehörde zusammenarbeiten. Auch Steuergelder
       sollen wieder nach Ramallah fließen.
       
       Doch die Gefahr ist wohl nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Smotrich,
       Anführer der Siedlerpartei Religiöser Zionismus, führt seit Langem einen
       Feldzug gegen die PA und wünscht sich den Zusammenbruch dieser Institution.
       
       Dementsprechend konstruiert war sein Anlass für die jüngsten, jetzt
       aufgehobenen Sanktionen: Sie seien unter anderem eine Reaktion auf die
       Entscheidung des Chefanklägers des Internationalen Strafgerichtshofs
       (IStGH) in Den Haag, [2][Haftbefehle gegen Regierungschef Benjamin
       Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Galant zu beantragen,] erklärte er
       damals. Dabei hat der Chefankläger des IStGH, Karim Khan, die Haftbefehle
       beantragt – und nicht etwa die PA.
       
       ## Palästinensische Ökonomie am Boden
       
       Die ökonomische Situation im Westjordanland ist ohnehin seit Langem
       desolat. Seit dem 7. Oktober hat sich das weiter verschärft. Es ist zu
       einer Massenarbeitslosigkeit gekommen, denn Palästinenser*innen aus
       dem besetzten Westjordanland wurden die Arbeitserlaubnisse für Israel
       entzogen. Die schärferen Kontrollen und immer häufigeren Schließungen der
       israelischen Armee für Palästinenser tun ihr Übriges, um die Ökonomie des
       besetzten Gebietes zum Erliegen zu bringen.
       
       Smotrichs Entscheidung, die Sanktionen aufzugeben, gehen kaum auf einen
       eigenen politischen Sinneswandel zurück, sondern vielmehr auf Druck aus den
       USA – und von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. In einem Interview mit
       dem regierungsnahen israelischen Fernsehsender Aruz 14 betonte Netanjahu,
       der auch immer wieder gegen die PA hetzt, überraschend deutlich, dass deren
       Zusammenbruch derzeit nicht in Israels Interesse liege.
       
       Der Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen dauert bereits fast neun Monate,
       und die [3][Eskalationen zwischen Israel und der vom Iran gelenkten Miliz
       Hisbollah im Libanon] könnten sich jederzeit in einen weiteren
       vollständigen Krieg entwickeln – was auch eine direkte Konfrontation mit
       Iran bedeuten könnte.
       
       Israel und die PA arbeiten in einigen Sicherheitsfragen zusammen, unter
       anderem um zu verhindern, dass die Hamas, der Islamische Dschihad und
       andere militante Gruppierungen im Westjordanland an Land gewinnen, während
       der autoritäre, aber altersmüde Palästinenserpräsident Mahmud Abbas kaum
       noch Rückhalt in der Bevölkerung hat.
       
       ## Legalisierung von Außenposten
       
       Gleichzeitig blüht der Waffenschmuggel über die jordanische Grenze ins
       Westjordanland. Militante Gruppen dort könnten in einem Jahr in der Lage
       sein, Raketen auf Israel zu schießen, die denen aus Gaza ähneln, hieß es
       vor einigen Tagen in israelischen Medien unter Berufung auf hochrangige
       palästinensische Sicherheitskreise.
       
       Der Druck auf Smotrich, die PA nicht zusammenbrechen zu lassen, war also
       groß. Doch das hat einen Preis: Ihm wurde die Legalisierung von fünf auch
       unter israelischem Recht illegalen Außenposten im besetzten Westjordanland
       zugesagt, außerdem Tausende neue Siedlungseinheiten.
       
       „Wieder einmal hat sich bestätigt, dass die israelische Regierung unter
       Netanjahu, Smotrich und Ben Gvir von ihrem Ansinnen auf eine Annexion der
       besetzten Gebiete getrieben sind“, erklärt der Sprecher der israelischen
       Friedensorganisation Peace Now, Mauricio Lapchik, gegenüber der taz: „Diese
       Außenposten und Siedlungen verschärfen den Hass zwischen Israelis und
       Palästinensern und sind in erster Linie darauf ausgerichtet, die Aussichten
       auf eine politische Lösung zu untergraben, nicht nur mit unseren
       palästinensischen Nachbarn, sondern auch mit anderen Nachbarn im Nahen
       Osten.“
       
       30 Jun 2024
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Judith Poppe
       
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