# taz.de -- Türkischer Asylbewerber: Bei Rückkehr droht die Haft
       
       > Das Migrationsamt verweigert dem türkischen Staatsbürger B. Asyl, obwohl
       > er seine Verfolgung belegen kann. Der Flüchtlingsrat findet das
       > skandalös.
       
 (IMG) Bild: Skeptisch gegenüber türkischen Dokumenten: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
       
       OSNABRÜCK taz | Ob es für ihn Gerechtigkeit gibt? Der türkische
       Staatsangehörige B. (Name der Redaktion bekannt) zweifelt. Der Hannoveraner
       kämpft um seine Asyl-Anerkennung durch das Bundesamt für Migration und
       Flüchtlinge (Bamf); er möchte Frau und Kinder nach Deutschland holen. B.
       kann beweisen, dass ihm in der Türkei Haft droht, aber das Bamf stellt sich
       quer. Anderthalb Jahre dauert das Verfahren nun schon.
       
       B. war Offizier der türkischen Armee. 2019 sei er dreimal festgenommen und
       „rechtswidrig verhört“ worden, schreibt er in einer Erklärung, die der taz
       vorliegt; er habe dabei „emotionale Folter“ erlebt. 2020 wird er aus der
       Armee ausgeschlossen und zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und
       sechs Monaten verurteilt. Bis zum Revisionsverfahren wird der Haftbefehl
       unter Auflagen ausgesetzt; B. flieht. Im Herbst 2022 stellt er in
       Deutschland einen Asylantrag.
       
       Der Vorwurf, dem B. sich in der Türkei ausgesetzt sieht: Er gehöre der
       Gülen-Bewegung an. Der türkische Staatspräsident Erdoğan beschuldigt diese,
       für den Militärputsch von 2016 verantwortlich zu sein. In der Türkei steht
       B. also indirekt unter Terrorismus-Verdacht.
       
       „Wir wurden von der Gesellschaft geächtet, wir wurden von unseren Nachbarn
       geächtet, weil es sich um einen großen psychologischen Völkermord handelte,
       der von der Regierung durchgeführt wurde“, erklärt B. seine Flucht.
       
       ## Das Bamf lässt sich Zeit
       
       Von den deutschen Behörden hört B. anfangs viele Monate lang nichts, sagt
       er. Er habe gewartet, Mails geschickt, Briefe, sich einen Anwalt genommen.
       Schließlich sei die Bamf-Anhörung anberaumt worden. Danach sei aber wieder
       nichts passiert, monatelang. Als „schwere psychische Folter“ habe er das
       empfunden.
       
       Sein Anwalt droht eine Klage wegen Untätigkeit an. Als erneut nichts
       passiert, reicht er die Klage beim Verwaltungsgericht Hannover ein. Dann,
       endlich, kommt der Bescheid des Bamf: Es ist eine Ablehnung.
       
       Dabei hat B. dem Bamf die Anklageschrift und die Verurteilung vorgelegt.
       Auch, dass sein Anwalt dem Bamf versichert, Einsicht in das Online-Portal
       der türkischen Regierung „e-Devlet“ (deutsch: e-Staat) gehabt zu haben, in
       dessen Justiz-Informationssystem Uyap der Fall seines Mandanten geführt
       ist, zählt offenbar nicht.
       
       Dündar Kelloglu, Vorstandsmitglied des [1][Flüchtlingsrates Niedersachsen]
       und Rechtsanwalt B.s, findet das Verhalten des Bamf „empörend“, wie er der
       taz sagte. Das Bamf habe die Ablehnung damit begründet, dass B. nicht
       glaubwürdig gewirkt habe, zudem habe er während der Anhörung die
       Unterlagen im Uyap-System nicht aufrufen können.
       
       „Was kann denn glaubwürdiger sein als ein urkundlicher Nachweis?“, sagt
       Kelloglu. Der Fall sei „glasklar“. Dass das türkische E-Government-System
       temporär nicht zugänglich sei, könne vorkommen. „Aber das ist ja nicht die
       Schuld des Betroffenen.“
       
       Das Verfahren liegt jetzt bei Gericht, und das kann dauern. Zwei bis drei
       Jahre, wie Kelloglu sagt. „Ein bisschen habe ich mich selbst angegriffen
       gefühlt durch das Bamf.“ Das habe die vorgelegten Beweise ja einfach
       ignoriert.
       
       „Ich habe wirklich geglaubt, dass es in Deutschland Gerechtigkeit gibt und
       dass den Menschen hier die Menschenrechte am Herzen liegen“, schreibt B..
       Die [2][Bamf-Entscheidung] sei juristisch und moralisch falsch.
       
       B. hat jetzt Angst, dass seiner Familie in der Türkei Konsequenzen drohen,
       auch strafrechtlich. Er sei „psychisch am Ende“, sagt sein Anwalt. B. ist
       kein Einzelfall, betont der Flüchtlingsrat. Auch wenn das
       e-Devlet/Uyap-System zeige, dass eine Verurteilung vorliege, ziehe das Bamf
       dies „in etlichen Fällen mit fadenscheiniger Begründung in Zweifel“.
       
       ## Die „Staatswohl“-Karte sticht
       
       Und das Nürnberger Bundesamt? Es nehme „seine Verantwortung gegenüber den
       Schutzsuchenden sehr ernst“, schreibt Lena Treß, seine Sprecherin, der taz.
       Heißt: Keine Auskunft, zumindest nicht ohne Schweigepflicht-Entbindung,
       Identitätsnachweis des Antragstellers, Aufenthaltsnachweis …
       
       Bewertet werde „die in der Anhörung individuell vorgetragene
       Fluchtgeschichte“. [3][In das Asylverfahren eingebrachte Dokumente]
       betrachte man „differenziert“, schreibt Treß. „Dabei kommt Nachweisen aus
       Uyap anteilige Beweiskraft zu.“
       
       Das deckt sich teils wörtlich mit der Antwort der Bundesregierung auf die
       Kleine [4][Anfrage der Bundestags-Fraktion Die Linke zum „Rückgriff auf das
       türkische Informationssystem Uyap] in Asylverfahren“ vom Herbst 2023.
       
       Bei mehreren türkeikritischen Fragen zieht die Bundesregierung hier die
       „Staatswohl“-Karte: Eine öffentliche Einschätzung könne „erhebliche
       nachteilige Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen haben“: Ergo
       Verschlusssache.
       
       1 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Bezahlkarte-fuer-Gefluechtete/!6016194
 (DIR) [2] /Finanzierung-des-BAMF/!5973528
 (DIR) [3] /Asyldebatte-in-Deutschland/!6015927
 (DIR) [4] https://www.bundestag.de/parlament/fraktionen-gruppen/Gruppe-Die-Linke-
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Harff-Peter Schönherr
       
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