# taz.de -- Fußballnation Österreich: Piefke der Herzen
       
       > Ralf Rangnick erreicht als Trainer nicht nur das Team, sondern das ganze
       > Land. Er hat Österreich den Glauben an den eigenen Fußball zurückgegeben.
       
 (IMG) Bild: Anerkanntes Leittier: Ralf Rangnick beim Training der österreichischen Auswahl
       
       WIEN taz | Ralf Rangnick und Österreich – das wirkt wie eine echte
       Liebesbeziehung. Nach dem Führungstreffer gegen Polen rannte Torschütze
       Christoph Baumgartner auf seinen Trainer zu, umarmte ihn, tätschelte ihm
       die Wangen, beide drückten ihre Gesichter fest aneinander – so nah, dass
       Rangnick gar seine Brille verrutschte. Ein ganzes Land liegt seither im
       Siegesrausch.
       
       Nach dem [1][3:1 gegen Polen] folgte ein 3:2 gegen die Niederlande. Im
       Achtelfinale wartet am Dienstag (21 Uhr) die Türkei. In Österreich wird
       bereits vom Europameistertitel geträumt. Ralf Rangnick, einst als
       verbissener, spröder Fußball-Professor bekannt, beschert dem Land ein
       Sommermärchen. Das erste – ja, seit wann eigentlich?
       
       Österreich und Fußball – das war lange eine Leidensbeziehung. Der letzte
       große Erfolg liegt fast fünfzig Jahre zurück; das 3:2 gegen Deutschland bei
       der WM 1978 im argentinischen Córdoba. Die geschundene Fußballseele hat
       seither viel erlebt: 1999 das 0:9 gegen Spanien. Oder 2021 ein 2:5 gegen
       Israel. Im Land dachte man: Skifahren, das können wir, aber Fußball, das
       ist halt nicht unser Sport.
       
       Österreich war bekannt für zerstrittene Funktionäre, müden Fußball und
       scherzende Trainer. Vor der EM 2008 meinte der damalige Teamchef Josef
       Hickersberger: „Wir haben nur unsere Stärken trainiert, darum war die
       Einheit nach 15 Minuten vorbei.“
       
       Im Österreichischen Fußballbund, ÖFB, wurden Trainer von ehrenamtlichen
       Provinzfunktionären ausgesucht. Oft lief das so ab: Der Tiroler stimmte für
       den Tiroler, der Wiener für den Wiener. Die viereinhalb Jahre vor Rangnick
       coachte der Deutsche Franco Foda das Team in die Misere. Foda wollte
       verteidigen, die Spieler angreifen.
       
       ## Maschinenraum des Angriffsfußballs
       
       Dabei stammt Österreichs Mittelfeldachse aus dem Red-Bull-Kosmos, dem
       Maschinenraum mutigen Angriffsfußballs: darunter die Ex-Leipziger Marcel
       Sabitzer und Konrad Laimer sowie Nicolas Seiwald und Christoph Baumgartner.
       Bei der Nationalmannschaft sei es eben „nicht wie im Verein“, hielt
       ÖFB-Sportdirektor Peter Schöttel fest.
       
       „Man hat ganz wenig Zeit, um zu trainieren.“ Ein offensiver Pressing-Stil
       sei deshalb nicht umsetzbar. „Wir haben nicht die Zeit, um Abläufe exakt
       hinzubekommen.“ Im ÖFB versuchte man lange zu erklären, weshalb etwas nicht
       klappt – anstatt das Naheliegende einfach zu versuchen.
       
       Bei Rangnick wurde halbherzig und auf öffentlichen Druck hin angefragt.
       Schöttel war sich im Grunde mit seinem Spezi Peter Stöger einig, der aber
       ebenso zur Vorsicht neigt. Dann funkte Rangnick dazwischen, sagte zu und
       verzichtete auf ein üppiges Gehalt. Seine Hoffnung: mit dieser Truppe
       Rangnick-Fußball spielen zu können.
       
       ## Verstummte Kritiker
       
       Der Plan ging auf. Österreich spielt nun mutig, angriffig – und hält mit
       den Großen mit. Italien, Kroatien und Deutschland wurden besiegt. Anfangs
       hätten einige Experten lieber einen echten Österreicher als Teamchef
       gesehen. Rangnick sei „kein Trainer“, bemängelte Córdoba-Held Hans Krankl.
       Nach dem 3:2 gegen Deutschland vergangenen November adelte die anfangs
       kritische Kronenzeitung Rangnick als „Lieblings-Piefke“.
       
       [2][Die Kritiker sind verstummt.] Und auch Rangnick fühlt sich wohl. Er hat
       ein Penthouse im Salzburger Umland gekauft. Dort sprach ihn zuletzt ein
       älteres Ehepaar an. Sie mögen Fußball nicht, verrieten sie ihm, doch seit
       er hier ist, verfolgen sie jede Partie. Rangnick kümmert sich um peppigeren
       Stadionsound, geeignete Spielstätten, den Nachwuchs.
       
       Zuletzt sprach er sich in der Nachrichtensendung ZIB2 gegen den
       Rechtsextremismus im Land aus. Rangnick ist nicht bloß Entwicklungshelfer,
       sondern auch eine Art gutes Gewissen im Land. Einst hat er Red Bull
       Salzburg zum Topklub geformt, wovon der österreichische Fußball bis heute
       zehrt.
       
       Nun hilft er dem verschlafenen ÖFB. Bei der Euro will Rangnick mit
       Österreich „die beste Mannschaft“ sein. Vorgänger Foda gab bei der EM 2021
       bloß einen Sieg als Ziel aus. Nun scheint alles möglich. Rangnick hatte in
       seiner Karriere meistens Erfolg, aber geliebt wurde er nie.
       
       Nun erreicht sein unbändiger Ehrgeiz auf einmal Herzen. Auch [3][Rangnicks
       Absage an den FC Bayern], wo er das Zehnfache hätte verdienen können, wurde
       in Österreich als Liebesschwur gewertet. Der Tenor im Land: Ein Piefke, der
       sich gegen Piefkes entscheidet, das muss ein halber Österreicher sein.
       
       2 Jul 2024
       
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       Einigermaßen peinlich ist es schon, das Hin und Her im FC Bayern München.
       Zu dumm auch, dass jedes Detail und Spekulationen gleich nach außen
       dringen.