# taz.de -- Von Staatsbesuchen lernen: Eskorte für alle!
       
       > Bei Staatsoberhäuptern ist möglich, was sich andere vergeblich wünschen:
       > Für ihre beflaggten Karossen wird die Straße gerne frei geräumt.
       
 (IMG) Bild: Schnelle Fahrt auf abgesperrten Straßen: Staatsbesuch von Präsident Obama 2016 in Berlin
       
       Letztens wollte ich einen Kollegen am Bahnhof abholen. Er saß im ICE
       Richtung Berlin. Knapp eine Stunde vor der geplanten Ankunft textete er:
       „Stehen in Wolfsburg. Dauer ungewiss.“ „Zug kaputt?“, fragte ich. „Nein.
       [1][Streckensperrung wegen Staatsbesuch].“
       
       Vor ungefähr fünfzehn Jahren fand ich solche Staatsbesuche noch ganz nett:
       Kurzfristig wurden ein paar Ampeln umgeschaltet, eine schützende
       Motorradstaffel preschte heran, die repräsentable Kolonne samt Staatsgast
       folgte. Für ein Dorfkind wie mich, das sonst nur Kuhherden Vorrang
       einräumen musste, hatte das schon etwas Erhebendes. Ich gestehe: Einmal
       winkte ich einer beflaggten Limousine sogar zu.
       
       Vor gut zehn Jahren wurde so eine staatliche Visite dann für Autofahrer
       interessant. Straßen wurden nicht mehr minutenlang zur Durchfahrt
       abgesperrt, sondern für Stunden oder gar Tage. Ein Staatsgast sollte
       flexibel sein und geschützt, da mussten Kfz-Lenkende schon mal eine längere
       Wartezeit und einen Umweg auf der Strecke zur Arbeit in Kauf nehmen. Als
       Radfahrerin kam ich weiter überall durch.
       
       Allerdings nicht lange: Wo vorher ein Polizeiauto stand, wurden
       durchgehende Absperrungen errichtet. „Du kommst hier nicht rein“ galt bald
       auch für Radfahrerinnen und Fußgänger. Mobil waren nur noch die
       ÖPNV-Nutzenden – zumindest solange sie mit S- und U-Bahn unterwegs waren,
       denn Busse konnten ja eh nicht passieren. Vor vielleicht drei Jahren
       wartete ich dann erstmals vergeblich auf eine S-Bahn – der Verkehr war
       „wegen eines Staatsbesuchs“ unterbrochen.
       
       ## Schlimme gutmenschliche Idee
       
       „Jetzt stehen wir in Stendal“, schrieb mein Kollege. Ich hatte inzwischen
       einen Bekannten auf dem Bahnsteig getroffen. Der wartete seit siebzig
       Minuten auf die Abfahrt seines Zuges. Grund: Staatsbesuch. Wir waren
       beeindruckt, was im Mobilitätsbereich alles möglich ist. Also was als
       zumutbar gilt – und was nicht. Eine [2][temporäre Schul- oder Spielstraße,
       damit Kinder sicher ihre Wege beschreiten können]? Ganz schlimme
       gutmenschliche Idee, die Freiheitsrechte und Autobürger einschränkt!
       Zentrale Hauptstraßen wegen Staatsbesuch schließen? Notwendig und
       angemessen – nicht, dass jemandem noch etwas passiert, das können wir nicht
       verantworten!
       
       Mit zwei Stunden und dreißig Minuten Verspätung kam mein Kollege an. Wir
       machten uns zu Fuß auf den Weg, schließlich fuhren die S-Bahnen nicht. Das
       blieb auf den Hauptlinien auch während der kommenden drei Tage so. Wohl
       dem, der ein fahrtüchtiges Rad im Keller hat!
       
       Meines fuhr ich am Wochenende auf der Rad-Parade: Unter dem Motto [3][„30
       Stunden für Tempo 30“] waren auf zehn jeweils 30 Kilometer langen Touren
       durch Berlin jeweils einige Hundert Menschen mit dem Fahrrad unterwegs. Die
       Polizei eskortierte uns, alle Ampeln standen auf Grün, viele der Anwohner
       winkten. Eine Art Vintage-Staatsbesuch. Unterwegs kam mir eine Idee:
       Besonders aufwändig ist eine Demoanmeldung nicht. Wir sollten mit der Zeit
       gehen und als Radfahrende unsere täglichen Schul- und Arbeitswege einfach
       als Demos anmelden. Dann haben wir zwar [4][immer noch keine Infrastruktur]
       – aber Polizeieskorten. Das geht auch.
       
       23 Jun 2024
       
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