# taz.de -- Straßenverkehrsgesetz reformiert: Auto verliert Vorfahrt
       
       > Lange wurde verhandelt: Künftig können Städte und Gemeinden einfacher
       > Radwege, Zebrastreifen und Tempo-30-Zonen einrichten.
       
 (IMG) Bild: Mehr Platz für Busse und Fahrräder: Das neue Straßenverkehrsgesetz soll’s möglich machen
       
       BERLIN taz | Hauptsache, Autos kommen gut durch den Straßenverkehr – das
       galt laut dem Straßenverkehrsgesetz (StVG) bisher für Städte und Kommunen,
       wenn sie den Verkehr vor Ort regeln wollten. Jetzt haben sich Bund und
       Länder im Vermittlungsausschuss auf eine Reform des Gesetzes geeinigt, mit
       der sich das ändern soll.
       
       „Die [1][Kommunen können endlich das tun], was vor Ort gefordert wird“,
       sagte Swantje Michaelsen, Verkehrsexpertin der Grünen im Bundestag, nach
       der Einigung am Mittwochabend. „Sie erhalten eine Rechtsgrundlage, um
       Radwege, Tempo 30 und Zebrastreifen leichter anzuordnen oder den Busverkehr
       zu beschleunigen.“ In Zukunft dürfen Städte und Gemeinden die
       Verkehrsplanung auch am Klima- und Umweltschutz, der Gesundheit und der
       sogenannten städtebaulichen Entwicklung ausrichten.
       
       Im [2][November 2023 hatten die Bundesländer die Reform zunächst abgelehnt]
       – vor allem die Länder, in denen die Union mitregiert. Sie kritisierten:
       Die Verkehrssicherheit werde in der Gesetzesänderung nicht genug betont.
       Deshalb steht in dem Entwurf, den der Vermittlungsausschuss abgesegnet hat,
       dass die Sicherheit des Verkehrs nicht beeinträchtigt werden dürfe.
       
       In vielen Kommunen ist die Freude nach den langen Monaten des Stillstands
       groß. Freiburg etwa hat die „Initiative für lebenswerte Städte durch
       angemessene Geschwindigkeiten“ mitgegründet. Die Mitglieder der Initiative
       haben sich seit 2021 für ein neues StVG starkgemacht und dafür, dass
       Kommunen selbst entscheiden dürfen, wo welche Geschwindigkeiten gelten.
       
       ## Weniger Tempo, mehr Sicherheit
       
       Bislang herrscht im Freiburger Osten Tempochaos. In der Schwarzwaldstraße
       gilt tagsüber Tempo 50, nachts Tempo 30, weil die Lärmgrenze für ein
       Wohngebiet überschritten ist. Ein Stückchen weiter gelten tags und nachts
       Tempo 30, wegen eines Kindergartens. In der Parallelstraße, der
       Hansjakobstraße, ist es genau andersherum. Hier gilt nachts Tempo 50, weil
       die Lärmgrenze nicht überschritten ist und tagsüber Tempo 30, aufgrund
       eines weiteren Kindergartens.
       
       Jetzt will die Stadt den Flickenteppich aus unterschiedlichen
       Geschwindigkeitsregelungen endlich auflösen. Im ganzen Viertel soll
       einheitlich Tempo 30 eingeführt werden – tags und nachts, mit und ohne
       Kindergarten. Bürgermeister Martin Haag begründet seine Pläne damit, dass
       die Straßen keine Hauptverkehrsstraßen seien, die Gehwege schmal,
       Wohnhäuser ständen entlang der Straße.
       
       Die vielen verschiedenen Geschwindigkeitsregelungen seien unverständlich
       und würden wenig Akzeptanz erfahren, sagte Haag der taz. Das neue
       Straßenverkehrsgesetz mache eine einheitliche Regelung für das gesamte
       Viertel möglich. „Die Kommunen möchten mehr Verkehrssicherheit und mehr
       Umwelt- und Stadtverträglichkeit des Verkehrs“, erklärte der Freiburger.
       
       Auch die Stadt Augsburg wünscht sich, nach eigenem Ermessen
       Geschwindigkeitsbeschränkungen einführen zu können. Ein Beispiel ist dort
       die Zufahrtsstraße zu Zoo und Botanischem Garten.
       
       In dem ruhigen Wohngebiet sind viele Fußgänger:innen und
       Radfahrer:innen unterwegs, auch mit kleinen Kindern. „Hier hätten wir
       wirklich gerne Tempo 30, auch um das Sicherheitsempfinden zu erhöhen“,
       sagte Steffen Kercher (CSU), Baureferent der Stadt Augsburg der taz. „Das
       dürfen wir bisher aber nicht.“ Auch Kercher hofft, dass das neue StVG hier
       wichtige Veränderungen bringt. Das Ergebnis aus dem Vermittlungsausschuss
       sei „nach einem Marathon des Wartens, ein Schritt in die richtige
       Richtung“, sagte Kercher.
       
       ## Reform der StVO sollte schnell folgen
       
       Das StVG liefert nur die gesetzliche Grundlage, den konkreten
       Handlungsspielraum für die Kommunen legt die Straßenverkehrsordnung (StVO)
       fest. Über Anpassungen der StVO entscheidet der Bundesrat am 5. Juli.
       „Wichtig ist, dass die Reform der Straßenverkehrsordnung schnell folgt“,
       [3][sagte Michael Müller-Görnert, verkehrspolitischer Sprecher des
       ökologischen Verkehrsclubs VCD] am Donnerstag. Verbände wünschen sich
       langfristig sowohl für die Reform des StVG als auch die neue StVO
       ehrgeizigere Änderungen – zum Beispiel mehr Freiheit bei Parkgebühren.
       
       Aus dem Vermittlungsausschuss ging ein zweiter Kompromiss für eine Reform
       hervor: Das [4][sogenannte Bundesschienenwegeausbaugesetz (BSWAG)] soll so
       geändert werden, dass der Bund in Zukunft Geld in die Sanierung des
       Schienennetzes stecken kann. Bisher konnte er sich nur am Neubau von
       Gleisen beteiligen.
       
       Auch das hatten die Länder zunächst blockiert, Streitpunkt war die
       Finanzierung des Schienenersatzverkehrs (SEV). Die Vermittler:innen
       schlugen vor, dass die Länder 50 Prozent des SEV zahlen, der Bund 40
       Prozent und die Deutsche Bahn 10 Prozent.
       
       Beide Reformen müssen nun noch von Bundestag und Bundesrat angenommen
       werden. Die Länderkammer hat ihre nächste Sitzung am Freitag.
       
       13 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Leonie Vogelsang
 (DIR) Nanja Boenisch
       
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