# taz.de -- Neonazi-Strukturen um Grevesmühlen: Die Glatzen waren nie weg
       
       > Der rassistische Angriff Jugendlicher auf eine Familie aus Ghana geschah
       > nicht im luftleeren Raum. Die rechtsextreme Szene ist hier seit Jahren
       > aktiv.
       
 (IMG) Bild: Das Unternehmen Abriß Krüger in Jamel. Der Chef ist ein überzeugter Nazi
       
       HAMBURG taz | In Grevesmühlen ist der Oldschool-Look der Rechtsextremen
       wieder en vogue. Bomberjacke, Army-Hose, Glatze und Springerstiefel – so
       sah die Kleidung von rund 20 Jugendlichen aus der rechten Szene aus, die in
       der Stadt in Mecklenburg-Vorpommern vor einer Woche [1][eine ghanaische
       Familie angegriffen hatten].
       
       Ein Video zeigt, wie die Mädchen von acht und zehn Jahren von den
       bedrohlich aussehenden Jugendlichen umringt wurden. Der Achtjährigen soll
       ein Rechtsextremer ein Bein gestellt haben, während sie mit einem Roller
       vorbei fuhr. Als die Eltern ihren Kindern helfen wollten, folgten
       rassistische Beleidigungen und körperliche Auseinandersetzungen. Der Vater
       wurde verletzt. [2][„Wir waren schon rechts, bevor es cool wurde“], soll
       zuvor einer der Täter bei Facebook gepostet haben.
       
       Im gleichen Look wie die Jugendlichen von heute lief in den 90er Jahren
       schon Sven Krüger in dieser Region herum. Der Mandatsträger prägt für die
       Wählergemeinschaft „Heimatliebe“ aus Jamel hier bis heute die rechte Szene.
       Grevesmühlen liegt nur rund zehn Kilometer entfernt von Jamel. Das ist ein
       Katzensprung in der regional eng verbundenen Szene in
       Mecklenburg-Vorpommern. In dem Dorf leben fast nur Neonazis, die
       Dorfgemeinschaft versteht sich als „frei-sozial-national“ und richtet
       völkische Feste aus. Bis heute strahlt das Netzwerk mit seinen Aktivitäten
       in der Region aus.
       
       In Grevesmühlen unterhielt Krüger, der heute Glatze mit Bart trägt, über
       Jahre ein rechtsextremes Zentrum – das Thinghaus. Auf der ehemaligen
       Website des rechtsextremen Zentrums hieß es, das das Wort „Thing“ im
       altgermanischen Sprachgebrauch etwa so viel wie Volksversammlung bedeute.
       „Und so soll es auch weitergeführt werden, als Versammlungshaus der
       gesamten nationalen Bewegung“, hieß es. „Egal ob Partei oder freie
       Kameradschaft, Einzelkämpfer oder Familienkreis, im Thing-Haus ist jeder zu
       Hause, dem Begriffe wie Vaterland und Freiheit noch nicht fremd geworden
       sind“.
       
       ## „Happy Holocaust“
       
       Das Grundstück war am Rande von Grevesmühlen mit einem blickdichten
       Holzzaun abgeschirmt. Über dem Hauseingang hing ein Schild mit dem
       germanischen Motiv der Irminsul und dem niederdeutschen Widerstandsspruch
       „Lever dood as Slav!“ („Lieber tot als ein Sklave!“). Mehr als zehn Jahre
       lang bespielte Krüger, der auch mal für die NPD – heute „Die Heimat“ – ein
       Kommunalmandat inne hatte, den Ort mit einem rechtsextremen Programm.
       
       Das Haus nutzte die Szene für Schulen und Tagungen sowie Feste und
       Konzerte. Zu Festen kamen rechte Eltern mit ihren Kindern. Es gab
       Kampfsporttraining und Buchmessen. In einen Metallgrill auf dem Gelände war
       der Schriftzug „Happy Holocaust“ eingelassen. Ebenso hatten die Neonazis
       auf dem Gelände einen Wachturm errichtet. Die ehemalige NPD richtete ein
       Bürgerbüro in dem Haus ein, als sie im Landtag saß. Erst 2022 schloss das
       Zentrum. Die Covid-19-Pandemie erschwerte die Nutzung. Ihre Aktivitäten
       liefen aber weiter.
       
       In Jamel selbst richtete das Netzwerk um Krüger auch rechte Events wie ein
       Brauchtumsfeste aus. Hier standen schon 2015 Erwachsene und Kinder mit
       Fackeln ums Feuer und sangen Nazi-Lieder. Etwa eines vom Lyriker und
       Komponisten Hans Baumann, das er 1935 für einen Hitlerjungen geschrieben
       hatte: „Freiheit ist das Feuer“, heißt es darin, „dass die Heimat den
       Frieden soll finden, suchen wir nach dem Feind. Keiner soll seine Garben
       hier binden, der es falsch mit uns meint“.
       
       Robert Schiedewitz von der Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt,
       [3][LOBBI], sagt: „Während das Bestürzen über die Geschehnisse mehr als
       berechtigt ist, so dürften die Entwicklungen eigentlich wenig überraschen.“
       Die rechten Täter:innen fühlten sich von den andauernden Mobilisierungen
       und Wahlerfolgen der extremen Rechten ermächtigt, zur Tat zu schreiten und
       mit Gewalt gegen Menschen vorzugehen, die nicht in ihr Weltbild passen, so
       Schiedewitz.
       
       Das Ineinanderwirken von Debatten und Aktionen führt auch zu Gewalttaten,
       erklärt Schiedewitz, Mitarbeiter von LOBBI, einem Beratungsnetzwerk für
       Betroffene rechter Gewalt: „Wo rassistische Mobilisierung unwidersprochen
       bleibt, nimmt schließlich auch die Gewalt zu.“ Im vergangenen Jahr erfasste
       die Beratungsstelle allein in Mecklenburg-Vorpommern 113 Angriffe. [4][155
       Menschen waren betroffen].
       
       ## Erfolge bei der Kommunalwahl
       
       Die Wählergemeinschaft von Krüger trieb 2023 auch die Proteste gegen eine
       Flüchtlingsunterkunft in Upahl mit an. Der Ort ist knapp fünfzehn Kilometer
       von Grevesmühlen entfernt. Dort drangen Protestierende im Januar
       vergangenen Jahres fast in eine Sitzung des Nordwestmecklenburger
       Kreistages ein. Mit dabei: Krüger und seine Anhänger:innen.
       
       Die Kommunalwahl am 6. Juni lief für die Szene erfolgreich. In Gägelow zog
       die Wählergemeinschaft „Heimatliebe“ mit 16,1 Prozent in die
       Gemeindevertretung ein. In der Stadtvertretung Grevesmühlen holte die AfD
       22 Prozent. Krüger spielt in die Karten, aus der Region zu stammen. Der
       Abrissunternehmer ist in Jamel groß geworden. Bis zum Verbot der
       Hammerskins 2023 gehörte er zu den führende Kadern der
       Neonazi-Organisation. Seine Wähler stört offenkundig nicht, dass er
       verurteilt ist wegen schwerer Körperverletzung und Hehlerei.
       
       Aber nach den Angriffen auf die Familie aus Ghana gibt es in Grevesmühlen
       mittlerweile auch Widerspruch: Der lokale Sportverein solidarisierte sich
       mit den Angegriffenen, am Donnerstag hat das „Bündnis für Grevesmühlen“
       eine Menschenkette im Ortsteil Ploggenseering angekündigt – wo der Angriff
       durch die rechten Jugendlichen stattfand. In Schwerin hat die Nordkirche
       unter dem Motto „Zeigt Euer Gesicht gegen Rassismus“ zu einer Lichterkette
       rund um den Schweriner Dom und allen anderen Kirchen im Bundesland
       aufgerufen.
       
       20 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Rassistischer-Angriff-in-Grevesmuehlen/!6018351
 (DIR) [2] https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/wir-waren-schon-rechts-bevor-es-cool-wurde-die-neonazi-teenager-von-grevesmuhlen-11851055.html
 (DIR) [3] https://lobbi-mv.de/
 (DIR) [4] https://lobbi-mv.de/rechte-gewalt-2023/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Speit
       
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       nicht.