# taz.de -- Berliner Ausstellung „Prinzip Held*“: Vom Nichts- und Allestun
       
       > Manche sterben für ihre Ideale, andere leben für sie. Was macht Menschen
       > zu Held:innen? Eindrücke von der Berliner Ausstellung „Prinzip Held*“.
       
 (IMG) Bild: Hier werden Held:innen gemacht: die tennisplatzgroße „Held*maschine“
       
       Der 26. Juni ist ein guter Tag, um [1][vor Hitze] zu sterben. Das Flugfeld
       Berlin-Gatow liegt so flimmernd-verlassen da, dass es zu einem Showdown à
       la [2][„The good, the bad and the ugly“] einlädt.
       
       Gehört schon [3][Heldenmut] dazu, das klimatisierte Auto zu verlassen und
       sich die 150 Meter zum Hangar 5 zu schleppen, der die Sonderausstellung
       [4][„Prinzip Held* – Von Heroisierungen und Heroismen“] beherbergt?
       
       Und was wäre dann der Polizistin zu bescheinigen, die zuvor auf der
       Heerstraße auf glühendem Asphalt anstelle der ausgefallenen Ampelanlage im
       Einsatz war und den Verkehrsfluss für eine kurze Pause im Schatten nutzte?
       
       Oder der Joggerin, die völlig unbeeindruckt ihr Pensum abspulte, den beiden
       jungen Menschen, die scherzend an der verloren wirkenden Haltestelle mitten
       im Wald auf einen Bus warteten, der gefühlt nie kommen wird, dem Paar, das
       hitzeresilient an der vielbefahrenen Potsdamer Chaussee entlangwandelte,
       dem Flaschensammler, den man hier in der properen, neuen Siedlung am
       Landschaftspark Gatow nicht unbedingt erwarten würde?
       
       Ist also ein Held schon jemand, der sich selbst rettet; oder impliziert
       Heldentum handeln für die Gesellschaft oder Gemeinschaft?
       
       ## Auch Ausharren ist heldenhaft
       
       Und was tun, wenn Letztere [5][völkisch-bösartig] wird: Ist dann nicht
       Ausharren heldenhaft, das jahrelange Sich-Verbergen, wie Tosia und Marcel
       Reich-Ranicki im von den Deutschen besetzten Polen; wie der Pianist
       Władysław Szpilman, dem Roman Polański seinen großartigen Film gewidmet hat
       – und wie eben hier im heißen Ausstellungshangar dargestellt der Journalist
       und Showmaster („Dalli, Dalli“) Hans Rosenthal (1925–1987), der sein Leben
       in einer Berliner Laubenkolonie dem ihm von seinen Nazinachbarn zugedachten
       Vergasungsschicksal entzog?
       
       Weil er Hilfe bekam von Menschen, die damit ihr Leben riskierten. Und was
       war ihnen mehr wert als ihr Leben? Welche innere Aufstellung, welche Werte,
       welcher Glaube haben sie bestärkt?
       
       Es sind existenzielle Fragen, die diese Ausstellung aufwirft. Und das,
       obwohl oder weil sie radikal spielerisch organisiert ist, wie ein Parcours,
       ein documenta-Raum (also: nicht die letzte!), alles gebaut mit der
       wunderschönen Olympia-Möbelkollektion 1972 von Otl Aicher, die nach der
       Benutzung bei den Spielen der Bundeswehr übergeben wurde – so modern war
       damals der Zeitgeist.
       
       Und so weit spannt sich der Heldenbogen vom Kampf bis zum Umfallen auf dem
       Sportfeld bis zum Märtyrertod auf dem Schlachtfeld. Auch Hans Rosenthals
       Laubenversteck in Berlin-Lichtenberg ist mit diesen Spinden nachgebaut.
       Dazu erläutert eine von ihm angefertigte Skizze, welche Nachbarn in der
       Kolonie Parteimitglieder oder Schlimmeres waren. Und aus einem Radio kommt
       seine Geschichte – für mich die bewegendste, die hier gezeigt wird.
       
       Und natürlich – um die bisherige sprachpraktische Ebene zu verlassen – geht
       es um Held:innen. Das Wort „Kampf“, erklärt das empfehlenswerte
       Begleitbuch, stammt wahrscheinlich vom lateinischen „campus“, also dem
       „Feld“, auf dem sich Männer zum Zweikampf treffen, sozusagen die Urform
       kriegerischer Auseinandersetzung. Aber es gibt Abweichungen von diesem
       Normalfall.
       
       ## „Heroische Wirksamkeit“
       
       So kämpft der Hl. Georg gegen einen zumeist klar als weiblich
       gekennzeichneten Drachen. Damit eine Frau Heldin wird, muss sie Pionierin
       sein wie Melli Beese, die als Erste in Deutschland den Pilotenschein machte
       – gegen erhebliche Widerstände selbstverständlich – und nicht minder
       unüberraschend sich „männlich“ gab und kleidete, um schlicht das tun zu
       können, wozu sie Lust hatte.
       
       Ein besonders hübscher, vom Publikum selbst zu öffnender Spind ist den
       „Tom’s Men“-Figuren des finnischen Zeichners Touko Laaksonen gewidmet. In
       Ihrer Muskelprotzigkeit und Überbestücktheit nehmen sie eine erstarkte und
       befreite schwule Sexualität voraus, der wissenschaftliche Text im
       Begleitbuch spricht von „heroischer Wirksamkeit“.
       
       Sie kann sich auch in Attributen ausdrücken. Die Kalaschnikow etwa, die der
       (rein) technischen Überlegenheit der US-Kriegsmaschine die
       primitiv-effektive Waffe der globalen Guerilla entgegenhält, feuert immer,
       komme, was wolle – das ist natürlich auch sexuell besetzt.
       
       Die Zeiten, da Befreiung unschuldig war, sind nun mal vorbei. Der Märtyrer
       hatte immer schon den Hang zum Geschmacklosen, spätestens seit dem
       Auftreten des IS und der Hamas. Gesellschaften, die gar nicht genug davon
       bekommen können, ihre Kinder in sogenannten heiligen Kriegen abschlachten
       zu lassen, können nicht mehr auf ungeteilte Solidarität hoffen.
       
       Wie Jörg Fauser mal sagte: „Für Ideale sterben, wie menschlich schön; aber
       dafür leben vielleicht doch nützlicher.“
       
       ## Obszöne Unbrauchbarkeit
       
       Aber eben das, reine (neoliberale) Nützlichkeit möchte sich der Held* nicht
       nachsagen lassen, heroisch soll es schon sein, altruistisch ja, aber ein
       bisschen sinnlos halt auch. Zuschauen sollte unbedingt wer und den Helden
       die Stange halten: Durch einen schmalen Gang geht es nach dem kleinteiligen
       in den zweiten Hangarraum. Hier wartet eine geniale, enorme Installation
       darauf, verwendet zu werden, die tennisplatzgroße „Held*maschine“.
       
       Mit 20 Hebeln kann Luft in Teile der ballonartigen Masse gepumpt werden,
       Licht- und Soundeffekte lenken die Aufmerksamkeit.
       
       Allein hier, bei diesem mechanischen Videogame, wäre ich gern eine Stunde
       geblieben – aber es wurde zu drückend. Draußen, in der echten harten Sonne
       steht dann jede Menge Kriegsgerät des eigentlichen Militärhistorischen
       Museums, irgendwie obszön in der spielzeughaften Unbrauchbarkeit.
       
       Und dann kommt, das schreibend, die Meldung rein von der russischen
       Bombardierung des Kinderkrankenhauses in Kyjiw. Held:in sein wäre
       plötzlich so einfach: Alle Patriot-Systeme umgehend in die Ukraine, von
       allen. Sich selbst erst mal wehrlos machen, damit andere sich wehren können
       – das wäre Heldentum, nicht allgemein immer, sondern konkret jetzt.
       
       10 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Folgen-des-Klimawandels/!6017758
 (DIR) [2] https://www.youtube.com/watch?v=aJCSNIl2Pls
 (DIR) [3] /Heldinnen-in-unserer-Zeit/!5993126
 (DIR) [4] https://www.mhm-gatow.de/de/ausstellungen/prinzip-held
 (DIR) [5] /Fascho-Prozess-in-Halle/!6019980
       
       ## AUTOREN
       
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