# taz.de -- Polens Justizminister in Freiburg: Mühsame Rückkehr zum Rechtsstaat
       
       > An der Uni Freiburg sprach Polens Justizminister Adam Bodnar über die
       > Rückabwicklung der PiS-Justizreform. Doch noch gibt es dabei Hemmnisse.
       
 (IMG) Bild: Prominenter Gast in Freiburg: Polens Justizminister Adam Bodnar
       
       FREIBURG taz | „A Playbook for Reinstating the Rule of Law“ (Eine Anleitung
       zur Wiederherstellung des Rechtsstaats) war der selbstbewusste Titel der
       Tagung, die Ende letzter Woche an der Freiburger Universität stattfand. Im
       Mittelpunkt der Tagung stand Polen, nicht zuletzt, weil Adam Bodnar, der
       neue polnische Justizminister, teilnahm. Bodnar ist Minister [1][in der
       neuen Regierung] des gemäßigt-konservativen Donald Tusk, die im Dezember
       2023 ihre Arbeit aufnahm.
       
       Eines der großen Ziel von Tusk und Bodnar ist die Rückabwicklung der
       polnischen Justizreform der nationalpopulistischen PiS-Regierung. Die PiS
       (Recht und Gerechtigkeit) hatte seit Beginn ihrer Regierungsübernahme 2015
       versucht, die Justiz auf Linie zu bringen. Beim polnischen
       Verfassungsgericht gelang dies relativ schnell, da die Richter vom
       polnischen Parlament (Sejm) mit einfacher Mehrheit gewählt werden.
       
       Doch auch die Neueinstellung und Beförderung von Richtern kontrollierte die
       PiS, indem sie den zuständigen Landesjustizrat, eigentlich ein
       Selbstverwaltungsorgan der Justiz, unter die Kontrolle des Sejms brachte.
       
       ## Schwierigkeiten bei Reform der Reform
       
       Doch es gibt zwei große Hemmnisse [2][bei der Rückabwicklung der
       Justizreform], wie Adam Bodnar darlegte. Zum einen kann Präsident Andrzej
       Duda (PiS) gegen Gesetze der neuen Mehrheit sein Veto einlegen. Duda ist
       noch bis Mitte 2025 im Amt. Zum anderen agieren die polnischen
       Verfassungsrichter, die durchweg von der alten, PiS-geführten Koalition
       gewählt wurden, laut Bodnar sehr parteipolitisch und versuchen, Vorhaben
       der neuen Mehrheit zu stoppen.
       
       Bis zur Neuwahl des Staatspräsidenten können Gesetze zur Rückabwicklung der
       Justizreform nur vorbereitet, aber nicht verabschiedet werden. Neben der
       Neuzusammensetzung des Landesjustizrats will die neue Regierung vor allem
       einen Neustart am polnischen Verfassungsgericht vorschlagen. So soll die
       Amtszeit der jetzigen Verfassungsrichter per Gesetz beendet und ein neues,
       ausgewogen besetztes Verfassungsgericht geschaffen werden. Die Richter
       sollen dann mit 3/5-Mehrheit statt mit einfacher Mehrheit gewählt werden.
       Hierfür bräuchte die Tusk-Regierung jedoch eine verfassungsändernde
       Mehrheit. Es gilt aber als unwahrscheinlich, dass sich die PiS hieran
       beteiligt.
       
       Derzeit werden keine Richter für die ordentliche Gerichtsbarkeit
       eingestellt, damit der unreformierte Landesjustizrat nicht beteiligt werden
       muss. Die vom Landesjustizrat von 2018 bis Ende 2023 nominierten neuen
       Richter, die in Polen „Neo-Richter“ genannt werden, bleiben bis auf
       Weiteres im Amt. Nach Angaben Bodnars handelt es sich um mehr als 2.000 der
       rund 9.000 polnischen Richter. Geplant ist eine Evaluierung, sobald das
       entsprechende Gesetz beschlossen werden kann.
       
       ## Richter zur Rechenschaft ziehen
       
       Für ihr Verhalten in der PiS-Ära sollen Richter auch zur Rechenschaft
       gezogen werden. Etwa 30 Fälle seien wichtig genug, um strafrechtlich
       untersucht zu werden. „Wir sind erst am Anfang der Transformation“, sagte
       Justizminister Adam Bodnar in Freiburg. Diese werde vielleicht die ganze
       Wahlperiode dauern. Bodnar versicherte, dass er alle Schritte mit
       rechtsstaatlichen Mitteln vollziehen werde. Es werde keine revolutionären
       Aktivitäten geben.
       
       Besonders heikel ist dabei [3][der Umgang mit dem polnischen
       Verfassungsgericht.] Dessen Entscheidungen werden seit einigen Monaten
       einfach ignoriert. Grundlage ist eine Resolution des Sejms, die dem
       polnischen Verfassungsgericht Anfang März 2024 die Legitimität absprach,
       auch unter Verweis auf europäische Urteile. Bodnar lehnte aber Vorschläge
       ab, das polnische Verfassungsgericht einfach aufzulösen. „Wie soll das
       gehen?“, fragte er, „soll ich die Polizei hinschicken und den Strom
       abdrehen?“
       
       ## Rechtsstaatliches Vorgehen ignorieren?
       
       Es gibt in Polens neuer Mehrheit aber auch Stimmen, die ein allzu
       rechtsstaatliches Vorgehen ablehnen. Einer von ihnen ist Rechtsprofessor
       Wojciech Sadurski, der an der Uni Sydney lehrt. „Wenn es Regeln gibt, die
       gemacht wurden, um das Ancien Régime zu versteinern, dann kann man sie
       entweder beachten und sich damit selbst lähmen. Oder man ignoriert sie.“
       Unterstützt wurde er von Miroslaw Wyrzykowski, einem früheren
       Verfassungsrichter. „Wir können nicht das Haus putzen und saubere Hände
       behalten“, sagte er.
       
       Der deutsche Ex-Verfassungsrichter Johannes Masing machte einen
       vermittelnden Vorschlag. Er hält nicht-rechtsstaatliche Verfahren nur für
       legitim, wenn es um große strukturelle Änderungen geht und dabei
       rechtsstaatswidrige durch ausgewogene Lösungen ersetzt werden, die auch die
       Interessen der Opposition berücksichtigen. Zentral ist für Masing, dass
       eine Maßnahme auch von der Mehrheit der Öffentlichkeit als fair akzeptiert
       werden kann.
       
       27 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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