# taz.de -- Rechtsstaatlichkeit in Polen: EU stoppt Verfahren gegen Warschau
       
       > Nach der Abwahl der PiS-Regierung sieht die EU-Kommission die Grundwerte
       > nicht mehr in Gefahr. Nun gibt es nur noch gegen Ungarn ein
       > Artikel-7-Verfahren.
       
 (IMG) Bild: Tusk hatte den EU-Partnern bereits im Februar einen Reformplan für die Beseitigung von rechtsstaatlichen Defiziten präsentiert
       
       BRÜSSEL dpa | Die EU sieht nach Jahren schwerster Bedenken keine Gefahr
       mehr für die Rechtsstaatlichkeit in Polen und beendet deswegen ein
       Verfahren zum Schutz der europäischen Grundwerte. Das kündigte die
       zuständige EU-Kommission am Mittwoch in Brüssel an.
       
       Die Entscheidung zur Einstellung des sogenannten Artikel-7-Verfahrens
       erfolgt rund sieben Monate nach der Abwahl der nationalkonservativen
       PiS-Regierung, die Polen von 2015 bis 2023 geführt hatte. Diese hatte das
       polnische Justizsystem umgebaut und damit nach Einschätzung von Experten
       die Gewaltenteilung eingeschränkt.
       
       Konkret wurde unter anderem die Möglichkeit geschaffen, Richter zu
       kontrollieren und zu sanktionieren. Zudem hinderten die Reformen polnische
       Richter daran, sich bei bestimmten Rechtsfragen an den Europäischen
       Gerichtshof zu wenden. Die neue Mitte-Links-Regierung von Ministerpräsident
       Donald Tusk ist derzeit dabei, die beanstandeten Maßnahmen wieder
       rückgängig zu machen.
       
       ## Verfahren gegen Polen war EU-Premiere
       
       Polen war 2017 der allererste EU-Staat, gegen den die Europäische
       Kommission ein Verfahren wegen der Gefährdung von elementaren Grundwerten
       der Europäischen Union eingeleitet hatte. Dieses hätte theoretisch sogar zu
       einem Entzug der Stimmrechte bei EU-Entscheidungen führen können.
       
       Das einzige EU-Land, gegen das jetzt noch ein Artikel-7-Verfahren läuft,
       ist Ungarn. Dort steht Ministerpräsident Viktor Orban unter dem Verdacht,
       die Unabhängigkeit der Justiz und die Meinungsfreiheit einzuschränken und
       Korruption zu fördern.
       
       ## Hoffnungsträger Tusk
       
       Um ein Ende des Verfahrens gegen Polen möglich zu machen, hatte die neue
       Regierung von Tusk den EU-Partnern bereits im Februar einen [1][Reformplan
       für die Beseitigung von rechtsstaatlichen Defiziten präsentiert]. Dieser
       führte auch dazu, dass die EU-Kommission unabhängig von dem
       Artikel-7-Verfahren EU-Fördergelder in Höhe von 6,3 Milliarden Euro
       freigab, die lange wegen der Rechtsstaatlichkeitsbedenken zurückgehalten
       worden waren.
       
       ## PiS versucht Rückabwicklung zu erschweren
       
       Mit der [2][Entscheidung, das Verfahren gegen Polen zu beenden], drückt die
       EU-Kommission auch ihr Vertrauen in die neue Regierung in Warschau aus. Das
       [3][Zurückdrehen der beanstandeten Reformen der PiS-Regierung] wird nämlich
       noch einige Zeit in Anspruch nehmen. So sieht das „Reparaturpaket“ für den
       Umbau des Verfassungsgerichts vor, dass durch eine Verfassungsänderung alle
       bisherigen Richter aus dem Amt ausscheiden und die Posten neu besetzt
       werden, wobei Regierungslager und Opposition über die Besetzung entscheiden
       sollen. Doch für die Verfassungsänderung ist eine Zweidrittelmehrheit im
       Parlament nötig, die wegen des Widerstandes der PiS bislang nicht in Sicht
       ist.
       
       Die PiS-Regierung in Polen hatte gleich nach ihrem Antritt im November 2015
       unter Federführung von Justizminister Zbigniew Ziobro damit begonnen, das
       Justizwesen nach ihren Vorstellungen umzubauen. Der erste Schritt galt dem
       Verfassungsgericht. Die PiS-Regierung erkannte drei vor ihrer
       Machtübernahme ernannte Verfassungsrichter nicht an und besetzte die Posten
       mit eigenen Kandidaten, was später sowohl vom Verfassungsgericht selbst als
       auch von der EU-Kommission für verfassungswidrig erklärt wurde. Später
       wurde der Vorsitzende des Gerichts durch die Juristin Julia Przylebska
       ersetzt, einer engen Vertrauten von PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski.
       
       ## Gesetz braucht Unterschrift von Duda
       
       Auch der Rückbau von anderen Elementen der PiS-Justizreform gestaltet sich
       langwierig und zäh. Dies gilt etwa auch für eine Neuordnung des
       Landesjustizrats – des Gremiums, das Richter für freiwerdende Stellen
       nominiert. Nach einer 2018 von der PiS eingeführten Reform wurde 15 von 25
       Mitgliedern des Rates durch das Parlament ernannt. Auch dieser Schritt
       brachte Polen in Konflikt mit der EU-Kommission. Der Europäische
       Gerichtshof (EuGH) kritisierte nach einer Klage, der Landesjustizrat sei
       ein Organ, das „von der polnischen Exekutive und Legislative wesentlich
       umgebildet wurde“, an seiner Unabhängigkeit gebe es berechtigte Zweifel.
       
       Ein von Justizminister Adam Bodnar vorgelegtes Gesetzesprojekt sieht vor,
       dass künftig wieder allein Richter unterschiedlicher Gerichte über die 15
       Sitze im Landesjustizrat bestimmen sollen. Sobald das Gesetz in Kraft
       tritt, soll der Landesjustizrat neu gewählt werden – das alte, nach den
       Regeln der PiS gebildete Gremium, wird abgelöst. Das Gesetz muss noch das
       Parlament passieren und von Präsident Andrzej Duda unterzeichnet werden.
       Dieser stammt jedoch aus den Reihen der PiS und könnte es torpedieren.
       
       29 May 2024
       
       ## LINKS
       
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