# taz.de -- Erfahrungen mit der deutschen Flagge: Unbehaglich mit Schwarz-Rot-Gold
       
       > Als ich nach Deutschland kam, ist mir die Flagge nur in
       > rechts-nationalistischen Kontexten begegnet. Doch sie kann für Exil-Syrer
       > eine Lücke füllen.
       
       Über meine Erfahrungen mit der deutschen Flagge [1][habe ich in der letzten
       Ausgabe dieser Kolumne geschrieben], und vor allem darüber, wie ich diese
       bei einem Spaziergang letztens gesehen habe und zunächst mit
       Rechtsextremismus verbunden habe. Ich habe die Kolumne genutzt, um dieses
       Gefühl zu hinterfragen, ich habe sozusagen durch das Schreiben nachgedacht.
       Der Artikel hat online viele Kommentare erhalten, jedenfalls mehr als viele
       andere Ausgaben dieser Kolumne.
       
       Einige Kommentator*innen fanden meine Position überempfindlich, andere
       wollten das Zeigen der Flagge rechtfertigen, andere hatten ähnliche
       Erfahrungen wie ich. Neben den Sub-sub-Diskussionen, die sich ja meistens
       in den Kommentarspalten im Internet ergeben, gab es leider auch einige sehr
       oberflächlich kritische Kommentare, wobei ich das Gefühl hatte, der/die
       Person hatte vielleicht keine Lust, den Artikel bis zum Ende zu lesen. Etwa
       wenn mir indirekt zu viel „wokeness“ vorgeworfen wird – meine tatsächlich
       woken Gen-Z-Kolleg*innen würden da wohl gerne widersprechen.
       
       Andere Kommentare waren interessanter und haben mich zum Nachdenken
       gebracht. Zum Beispiel wenn jemand schreibt, er/sie sei mit der Zeit „in
       mein Deutschsein hinein gewachsen“ und habe heute weniger Unbehagen, die
       Flagge zu sehen. Oder wenn jemand anderes findet, dass Schwarz, Rot, Gold
       auf der Nationalflagge „ein Zeichen für die Demokratie“ seien. Das zeigt
       mir, was für einen Unterschied die persönliche Erfahrung machen kann.
       
       ## Deutsche Flagge in Anti-Refugees-Kontexten
       
       Als ich 2015 nach Deutschland kam, ist mir die deutsche Flagge nur in
       [2][rechts-nationalistischen] und Anti-Refugees-Kontexten begegnet. Ich
       weiß, dass das kein repräsentatives Bild ist, aber es war das Bild in
       meinem Kopf. Dazu kommt, dass ich bis heute keine Deutschen ohne
       Migrationshintergrund kenne, die sich die Nationalflagge ins Fenster oder
       ans Auto hängen.
       
       Das Thema Nationalflagge ist auch über Deutschland hinaus besonders für
       mich als Syrer. Ich habe nach 2011 nicht nur mein Heimatland verloren,
       sondern auch jedes Gefühl der Identifikation mit der syrischen
       Nationalflagge. Als die Demonstrationen gegen das [3][Assad-Regime]
       angefangen haben, zeigten viele junge Leute eine alternative syrische
       Nationalflagge, die aus der Zeit vor der Baath-Partei kommt. Seitdem zeigt
       sich die Spaltung der syrischen Gesellschaft auch durch die verschiedenen
       Flaggen.
       
       ## Flaggenthema ist noch aktuell
       
       Dieses Flaggenthema ist immer noch aktuell, auch weil Nationalstolz in
       unserer Jugend in Syrien keine unwichtige Rolle spielte – wir hatten sogar
       ein Pflichtfach in der Schule, ungefähr „altarbiat alqawmiat
       aliashtirakia“, auf deutsch „Nationalsozialistische Bildung“.
       
       Heute müssen wir uns gegenseitig fragen: Welche Flagge zeigst du in den
       sozialen Medien? Auf welcher Seite bist du? Als ob es so einfach wäre.
       
       Als ich letztens wieder zu Fuß auf dem Weg ins Büro war, lief ich an einem
       roten Auto vorbei und auf der Heckscheibe klebten zwei Aufkleber: der
       Umriss der Landkarte von Syrien und die deutsche Nationalflagge. Es war,
       als ob der/die Besitzer*in des Autos Vergangenheit und Zukunft zeigen
       wollte. Vielleicht geht es auch darum zu signalisieren, dass Gefühle der
       Zugehörigkeit und der Identifikation nicht exklusiv sein müssen.
       
       ## Deutsche Flagge kann eine Lücke füllen
       
       Die deutsche Flagge kann also gerade für uns Exil-Syrer*innen eine Lücke
       füllen, wenn wir auf der Suche nach neuen Symbolen sind. Und damit bin ich
       wieder bei der These meiner letzten Kolumne: Es ist wohl an der Zeit, die
       deutsche Nationalflagge in einem neuen Licht zu sehen: als Symbol für ein
       Land ohne Krieg und als Gegenstück zu den zerstrittenen syrischen Flaggen.
       
       Die Nationalflagge kann auch als Symbol für den Zusammenhalt der
       Gesellschaft und für Deutschland als Einwanderungsland dienen – wenn es
       dafür eine Mehrheit gibt.
       
       16 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [2] /Schwerpunkt-Neonazis/!t5008534
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hussam Al Zaher
       
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