# taz.de -- Deutsche Flaggen an Hausfassaden: Meine Angst und wo sie herkommt
       
       > Deutsche Flaggen an Wohnhäusern beängstigen mich. Das liegt an der AfD
       > und dem Ergebnis der Europawahl. Aber es ist Zeit, die Angst los zu
       > werden.
       
 (IMG) Bild: Deutsche Fahnen an Fenstern gibt es derzeit wieder gehäuft: Fassaden in Kamenz (Sachsen) während der WM 2010
       
       Ich habe das Glück, dass ich fast immer zu Fuß zur Arbeit laufen kann. Ich
       genieße es, diese halbe Stunde zu gehen, höre dabei Podcasts, bereite mich
       auf den Arbeitstag vor und beobachte meine Mit-Hamburger*innen. Letzte
       Woche sah ich auf meinem Weg in einem Fenster eine deutsche Flagge hängen.
       Eine große Flagge, Schwarz-Rot-Gold, dazu der Schriftzug „Deutschland“.
       Meine erste Reaktion: Angst. Ich fragte mich, ob da jemand wohnt, der
       politisch rechts ist? Und ob das ein [1][Zeichen gegen uns Ausländer ist?]
       
       Ein paar Schritte weiter erinnerte ich mich daran, dass die
       Fußball-Europameisterschaft gerade begonnen hat und dass es auch sonst
       viele Gründe geben kann, warum sich jemand die deutsche Nationalflagge
       aufhängen möchte. Den Rest meines Weges musste ich mich also fragen, warum
       meine erste Reaktion [2][diese Angst] war.
       
       Ich lebe seit mehr als acht Jahren in Deutschland und – inshallah – bekomme
       ich bald einen deutschen Pass und werde dann auch Deutscher sein. Ich habe
       eine deutsche Frau geheiratet, habe deutsche Freund*innen, Kolleg*innen
       und Bekannte, ich arbeite in Deutschland und zahle deutsche Steuern (als
       freiberuflicher Medienmacher sogar ziemlich viele). Warum also diese
       [3][Angst vor der Identität „Deutschland“?]
       
       Die aktuellen Nachrichten machen natürlich auch mir Angst, von
       [4][Remigrationsfantasien der AfD] bis hin zu „Deutschland den
       Deutschen“-Gesängen. Das Gefühl, dass ich als muslimischer, als syrischer
       Araber nicht auch gleichzeitig deutscher Staatsbürger sein könnte, wird
       wieder stärker. Für mich, aber auch für viele andere Muslim*innen ist
       auch die Rolle Deutschlands und der innerdeutsche Diskurs zum [5][Krieg in
       Palästina] ein Faktor.
       
       Die Ergebnisse der [6][Europawahl] zeigen, dass Deutschland weiter nach
       rechts gerückt ist. Auch Hamburg, obwohl ich das manchmal vergesse. Acht
       Prozent der Wählenden haben hier die AfD gewählt, das sind knapp 69.000
       Hamburger*innen. Wenn ich das nächste Mal in der S-Bahn nach Bergedorf
       sitze, werde ich daran denken, dass die AfD im Stadtteil Neuallermöhe 20
       Prozent geholt hat. Weitere knapp 2.300 Hamburger*innen haben für
       rechte und rechtsextreme Kleinstparteien gestimmt, zum Beispiel Heimat,
       „Aktion Bürger für Gerechtigkeit“ oder „Die Basis“.
       
       Viele Leser*innen denken sich sicher: Aber die Mehrheit in Hamburg hat
       die Grünen gewählt! Das stimmt. Trotzdem sind diese Wahlergebnisse für mich
       als Fast-Deutscher und Hamburger wie ein Stoppschild, das mir signalisiert:
       „Ha, nicht so schnell! Mach es dir nicht zu gemütlich, wer weiß, was noch
       kommt.“
       
       Irgendwie verbinden sich diese Gedanken mit der deutschen Flagge. Aber
       warum, weiß ich immer noch nicht genau. Mir wurde oft erzählt, dass viele
       Deutsche, auch jene ohne Migrationshintergrund, es peinlich, unangenehm
       oder auch zu rechts finden, die deutsche Flagge zu zeigen. Das hat für
       viele mit der deutschen Geschichte und dem Wissen zu tun, wo deutscher
       Nationalismus hinführen kann.
       
       Ich finde das interessant, gerade weil es viele Menschen mit
       Migrationsgeschichte gibt (egal ob mit oder ohne deutsche
       Staatsbürgerschaft), die gerne und stolz die Nationalflaggen ihrer
       familiären oder ehemaligen Heimatländern zeigen, zum Beispiel aus der
       Türkei, Polen oder Indien. Ich sehe auch immer wieder Veranstaltungen mit
       Bezug auf den Krieg in der Ukraine, wo auch kleine Kinder die ukrainische
       Flagge tragen. Diese Länder haben ihre eigenen Geschichten und die
       Menschen, die jetzt in Deutschland leben, verbinden damit ihre persönlichen
       Perspektiven.
       
       Am Wochenende war ich in einer Shisha-Bar, in der die deutsche Fahne hing.
       Vielleicht ist es für mich Zeit, die deutsche Nationalflagge in einem neuen
       Licht zu sehen. Dabei kann mir sogar die EM helfen.
       
       24 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Deutschlandfaehnchen-bei-der-EM/!6013576
 (DIR) [2] /Rassistische-Gewalt/!6014385
 (DIR) [3] /Rassismus-und-die-EM-2024/!6014076
 (DIR) [4] /Tuerken-in-Deutschland/!6001373
 (DIR) [5] /Schwerpunkt-Nahost-Konflikt/!t5007999
 (DIR) [6] /Schwerpunkt-Europawahl/!t5533778
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hussam Al Zaher
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kolumne Hamburger, aber halal
 (DIR) Alternative für Deutschland (AfD)
 (DIR) Schwerpunkt Fußball-EM 2024
 (DIR) Schwerpunkt Rassismus
 (DIR) Flagge
 (DIR) Social-Auswahl
 (DIR) Kolumne Hamburger, aber halal
 (DIR) Schwer mehrfach normal
 (DIR) Schwerpunkt Rassismus
 (DIR) Kolumne Über den Ball und die Welt
 (DIR) Schwerpunkt Fußball-EM 2024
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Erfahrungen mit der deutschen Flagge: Unbehaglich mit Schwarz-Rot-Gold
       
       Als ich nach Deutschland kam, ist mir die Flagge nur in
       rechts-nationalistischen Kontexten begegnet. Doch sie kann für Exil-Syrer
       eine Lücke füllen.
       
 (DIR) Politik und Fußball-EM: Rassisten am Arsch
       
       Die Fußball-EM macht mir Spaß. Solange Deutschland gewinnt, wird insgesamt
       weniger genörgelt. Und die AfD-Äußerungen sind überraschend amüsant.
       
 (DIR) Rassistische Gewalt: Kein Sommermärchen
       
       Die EM bringt vielen Menschen Freude, andere versetzt sie in Panik. Zum
       nationalen „Wir“-Happening sind nicht alle eingeladen.
       
 (DIR) Deutschlandfähnchen bei der EM: Flaggen am rechten Kotflügel
       
       Wer Fahnen hisst, markiert damit sein Revier. Wenn Schwarz-Rot-Gold gezeigt
       wird, setzt sich die Mehrheitsgesellschaft über andere Gruppen hinweg.
       
 (DIR) Rassismus und die EM 2024: Wir Meister des Selbstbetrugs
       
       Ein Sommermärchen 2.0 soll diese EM werden, wenn es nach dem DFB geht. Da
       muss man schon ausblenden, wie viel seit 2006 gesellschaftlich gekippt ist.