# taz.de -- Kontakt halten über soziale Medien: Ein Gefühl der Entwurzelung
       
       > Via soziale Medien konnte ich auf der Flucht mit Freunden Kontakt halten.
       > Aber die Plattformen haben sich verändert.
       
 (IMG) Bild: Auf Dauer schädlich, wenn man sie für persönliche Beziehungen nutzen will: Social Media-Apps
       
       Am 11. April war Eid al-Fitr (das erste Fest nach dem Ende des Ramadans),
       auch bekannt als Zuckerfest, das ich zusammen mit meiner Familie in Hamburg
       gefeiert habe. Seitdem ich in Deutschland lebe, verbringe ich diesen
       Feiertag meistens so: Morgens besuche ich das Eid-Gebet, entweder in der
       Moschee oder bei einem der Feste, die manche Moscheen zum Beispiel auf
       Sportplätzen veranstalten. In den meisten Moscheen hier wird es zu eng, da
       viele eher klein sind. Deswegen gibt es ab 7 Uhr morgens mehrere
       Gebetszeiten.
       
       Anschließend frühstücke ich mit der Familie meines Bruders, am liebsten
       Falafel, da wir den ganzen Ramadan auf Falafel verzichtet haben. Dann wird
       natürlich auch viel Süßes gegessen, viel Gebäck mit süßem Tee. Und dann
       kommt ein wichtiger Teil der „Zeremonie“: Ich rufe meine enge Familie an
       und wünsche ihnen Eid Mubarak, und dass sie jedes Jahr aufs Neue gesund und
       glücklich das Eid-Fest feiern mögen. Nach der engen Familie kommt die
       erweiterte, danach werden Nachrichten, Bilder oder GIFs an alle Freunde,
       Familienmitglieder und Bekannte geschickt.
       
       Dieses Jahr wollte ich diesen letzten Teil anders machen: Ich habe mich
       entschieden, viele meiner Freunde und Bekannte anzurufen, statt ihnen
       unpersönliche Massenchatnachrichten weiterzuleiten. Viele konnte ich nicht
       erreichen, da sie trotz Eid arbeiten sollten, weshalb sich die Anrufe bis
       spät in den Abend zogen.
       
       Ich wollte die Menschen, die mir nahe stehen oder mal nahe gestanden haben,
       persönlich sprechen. Ich glaube, weil ich in letzter Zeit immer mehr
       bemerkt habe, welche Auswirkungen die sozialen Medien auf unsere
       menschlichen Verbindungen haben. Facebook, Instagram, Snapchat, Tiktok,
       aber auch die Messenger wie Whatsapp haben nicht nur unsere Art zu
       kommunizieren, sondern auch das Wesen unserer Beziehungen verändert.
       
       ## Kontakt zu echten Kontakten
       
       Das sage ich, obwohl wir in Syrien erst relativ spät mit den sozialen
       Medien in Kontakt gekommen sind. Ich habe 2010 ein Facebook-Profil
       eröffnet, um mit meinen ehemaligen Schulkameraden, Nachbarn,
       Uni-Kommilitonen oder Arbeitskollegen in Kontakt zu bleiben. Dann brach der
       Krieg aus und ich flüchtete in die Türkei und später nach Deutschland.
       
       Zu vielen meiner Kontakte ging der direkte Kontakt verloren. Das enge
       Netzwerk, meine Communitys, alles war vom Krieg zerschlagen worden.
       [1][Facebook] war für mich und für viele Syrer*innen, die ich hier in
       Deutschland kennengelernt habe, ein Weg, um irgendwie auf dem Laufenden zu
       bleiben. Du konntest sehen, wo deine ehemaligen Schulfreunde heute waren,
       ab und zu kommentieren oder liken.
       
       Irgendwann änderte Facebook den zugrundeliegenden Algorithmus und es wurde
       immer schwieriger, mit echten Profilen zu interagieren. Ok, also weiter zu
       [2][Instagram]. Dann irgendwann [3][Tiktok]. Obwohl das Ziel aller dieser
       Plattformen angeblich das Soziale ist, wird meiner Erfahrung nach lieber
       der Kontakt zu Fremden gefördert statt der Kontakt zu unseren echten
       Kontakten. Besonders für uns, die im Exil oder als Geflüchtete leben, haben
       diese Entwicklungen ein Gefühl der Entwurzelung weiter verstärkt.
       
       Wie haben wir es akzeptiert, statt lange Unterhaltungen zu führen einen
       Like oder ein Herz zu senden? Wann genau haben wir aufgehört, echte
       Verbindungen am Leben zu halten? Früher riefen wir an, sprachen mit allen,
       die Zeit hatten, und fragten: „Wie geht's dir?“, oder auf Arabisch: „Shu
       fi, ma fi“, was so ungefähr bedeutet: „Was gibt es, was gibt es nicht?“
       
       Dieses Eid al-Fitr hat für mich bestätigt, dass ich wieder mehr Gespräche
       suchen möchte. Ich habe am Abend mit einem Freund aus meiner
       Universitätszeit in [4][Damaskus] telefoniert, den ich seit fünf Jahren
       nicht mehr gesprochen hatte – obwohl wir beide in Deutschland leben. Wir
       haben unsere Freundschaft mit einem Telefonat wiederbeleben können.
       
       Kann ein Tag voller Telefonate gegen das Gefühl der Entfremdung wirken, das
       die sozialen Medien jeden Tag auslösen? Ich weiß es nicht, aber ich denke,
       wenn wir uns bewusst machen, wie wir heute kommunizieren, können wir
       vielleicht doch mehr dagegen tun. Auch wenn uns Instagram & Co die Zeit
       klauen.
       
       6 May 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hussam Al Zaher
       
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